Nationalismus in Kurdistan (1993)

4. Das 19. Jahrhundert

Emir Bedir Khan von Botan und seine Revolte

Über die ersten Jahre der Herrschaft Bedir Khans als erblichen Emir von Botan wurden bis jetzt nur wenige verläßliche Nachrichten zutage gefördert. Man weiß nur, daß nach dem Tode seines Vaters, Abullah Khan, zunächst ein Cousin, Seyfeddin, die Herrschaft übernahm, dieser jedoch wegen angeblich übergroßer Zuwendung zur sufi-Meditation und Mystik die Amtsgeschäfte vernachlässigte und abgesetzt wurde. Angeblich wegen ähnlicher Neigungen wurde auch ein älterer Bruder Bedir Khans in der Erbfolge übergangen.[1] Das Jahr 1821 wird [− S.166 −] allgemein als Datum der Thronbesteigung Bedir Khans angenommen. Ganz wie Mir-i Kora hatte er langwierige Kämpfe zu bestehen, bevor seine Hoheit wenigstens im nominellen Radius des Emirats Botan anerkannt wurde.[2] Wie weiter oben schon geschildert, hielt er seine Position während des osmanisch-russischen Krieges 1828-1829 offenbar bereits für so gefestigt, daß er das vom Sultan angeforderte Hilfskontingent an Soldaten, welches im Kriegsfalle zu stellen höchste Vasallenpflicht war, nicht entsandte. 1834 verteidigten seine Gefolgsleute das Emirat erfolgreich gegen die Invasionsarmee Mir-i Koras, 1836 unterlagen sie den osmanischen Truppen, und Bedir Khan erneuerte seine Unterwerfung unter den Sultan. 1838 beteiligte er sich an der Bestrafung seines fürstlichen Nachbarn Said Beys, 1839 nahm er am gescheiterten Feldzug der Osmanen gegen die Ägypter in Syrien teil.[3] Die größte Ausdehnung erreichte Bedir Khans Herrschaftsbereich um 1846; als seine wichtigsten „Verbündeten“ zu diesem Zeitpunkt werden Nurullah Bey, Emir von Hakkâri, Şerif Bey, Emir von Bitlis, und Khan Mahmud, Herrscher von eigenen Gnaden über ein beträchtliches Gebiet südlich des Van-Sees, genannt.[4]

Es scheint mir aber, daß es sich hier weniger um Bündnisse als um Beziehungen von Vasallität handelte, was sich u.a. daran zeigt, daß Bedir Khan die Herrschaft seiner Vasallen aktiv zu sichern trachtete. Der Emir von Hakkâri beispielsweise hatte als Nachfolger eines verstorbenen Bruders erhebliche Mühe gehabt, seine Autorität über alle ihm nominell untertanen Stämme zu behaupten. Die traditionelle Residenz der Emire, Çölemerik, blieb unter der Hoheit des Sohnes seines Vorgängers, Süleyman, der zudem Rückhalt bei der mächtigsten Stammesgruppe im Hakkâri-Emirat, den militanten Nestorianerstämmen[5] unter [− S.167 −] ihrem erblichen Patriarchen, dem Mar Shimun, hatte.[6] Um sich gegenüber dem Mar Shimun besser durchsetzen zu können, hatte Nurullah Bey sogar beim osmanischen vali von Erzurum um Pardon und um offizielle Bestätigung durch die Pforte nachgesucht.[7] Knapp ein Jahr danach ließ er die Residenz des Mar Shimuns von seinen Gefolgsleuten einäschern, eine Machtdemonstration, die den Patriarchen für einige Zeit zum Einlenken bewegte.[8]

Es ist wichtig festzuhalten, daß dies kein Kampf zwischen ausgebeuteten Christen und muslimischen Unterdrückern war, sondern ein politischer Machtkampf innerhalb des tribalen Kräftesystems des Hakkâri-Emirats, ein Kampf von Gleich gegen Gleich. Denn die nestorianische Bevölkerungsgruppe setzte sich genau wie die muslimische aus einer aşiret- und einer reaya-Schicht zusammen, und die tribal organisierten Nestorianer standen ihren muslimischen Standesgenossen an militärischer Potenz in nichts nach.[9] Es gab sogar eine beträchtliche Zahl muslimischer reaya, die in Abhängigkeit von nestorianischen Herren lebten.[10] Als Nurullah Bey sich auch an seinen mächtigen Nachbarn Bedir Khan um Unterstützung gegen die Nestorianer wandte, war dies das offene [− S.168 −] Eingeständnis, daß seine Machtbasis so zerrüttet war, daß er seinen Anspruch auf Oberhoheit mit eigenen Kräften nicht mehr durchsetzen konnte.[11] Indem Bedir Khan 1843 seine Stammestruppen gegen die Nestorianer von Hakkâri ins Feld schickte[12], betätigte er sich als Protektor Nurullah Beys, genau wie er zuvor dem entmachteten Emir von Badinan Unterstützung gewährt hatte, bei dessen (vergeblichem) Versuch, sein Emirat zurückzugewinnen.[13] Zugleich festigte Bedir Khan dabei seine Stellung im eigenen Haus, denn die „Züchtigung“ der Nestorianer war auch eine ausgezeichnete Gelegenheit, seinen Gefolgsleuten Beute und Ruhm zukommen zu lassen.[14]

Die außerordentliche Härte der Attacken, denen nach einer Schätzung 7 000, nach einer anderen sogar fast 10 000 Nestorianer zum Opfer fielen[15], mag allerdings zum Teil auch der tiefen Irritation unter den Muslimen geschuldet sein, welche die Anwesenheit und offene Agitation ausländischer Missionare unter den Nestorianern hatte aufkommen lassen. Das Wirken dieser nordamerikanischen und britischen Missionare wurde von ihnen als politische Einmischung der christlichen Großmächte in die eigenen Angelegenheiten begriffen und mobilisierte diffuse Ängste vor einer möglichen christlichen Dominanz.[16]

Die heutigen kurdischen Nationalisten haben mit diesen Vorfällen einige Probleme, betont man doch heute gern das gemeinsame Leiden und die Kampfgemeinschaft mit dem „assyrischen Brudervolk“, also den Nestorianern.[17] Man [− S.169 −] schiebt daher die Schuld für die Massaker ganz auf die Missionare, die als Spitzel der Pforte die Christen zu ihrem eigenen Schaden gegen den „nationalen Kampf“ Bedir Khans aufgehetzt hätten. In dieser Version erscheint der Schlag gegen die Nestorianer als bedauerliche, aber notwendige Polizeiaktion, um ‚Wehrkraftzersetzung und Subversion im Inneren‘ zu stoppen.[18] Der überwiegend tribale Aspekt des Konflikts wird dabei völlig ignoriert, während der religiöse sich in einen nationalen zu verwandeln scheint. Interessanterweise verzichtet man hier implizit auf die Fiktion vom „freiwilligen Bündnis“ und von der Selbständigkeit Nurullah Beys, denn schließlich war der Mar Shimun ihm und nicht Bedir Khan tributpflichtig. Wenn eine ‚provokative‘ Tributverweigerung ihm gegenüber unmittelbar Bedir Khans Vergeltung zur Folge haben ‚mußte‘, dann war Nurullah Bey nicht mehr als dessen Statthalter in Hakkâri.[19]

Was die anderen Verbündeten, Şerif Bey und Khan Mahmud, angeht, so ist über den ersteren fast gar nichts bekannt und das wenige spricht eher gegen ein Bündnis mit Bedir Khan.[20] Über die Verbindung Khan Mahmuds zu Bedir Khan gibt es hingegen reichlich Nachricht, sie scheint aber keineswegs immer von gemeinsamen Interessen geprägt gewesen zu sein. Schon 1838 mußte er sich [− S.170 −] zur Verteidigung gegen einen Angriff von Seiten des letzteren rüsten, sechs Jahre später (nach dem großen Angriff auf die Nestorianer) unterwarf Bedir Khan einen Bruder Khan Mahmuds gewaltsam und zwar jenen, dessen Residenz als die größte und stärkste Festung von allen galt.[21] Ein Wink, den auch Khan Mahmud nicht mißverstehen konnte. Ebenso sprechen die Berichte von Augenzeugen über den persönlichen Verkehr zwischen Bedir Khan und seinen „Verbündeten“ klar für ein Verhältnis von Herr und Vasallen.[22]

Ein weiteres Argument, das gegen eine ‚nationale‘ Interpretation Bedir Khans Bestrebungen spricht, ist die Tatsache, daß es deutliche Anzeichen dafür gibt, daß der Emir zu keinem Zeitpunkt seiner sogenannten „Rebellion“ die Hoheit des Sultans ernstlich angezweifelt hat; vielmehr bemühte er sich, selbst nachdem seine Macht gewaltig angewachsen war, seinem Status als Vasallen des Sultans wenigstens der Form nach gerecht zu werden.[23] Umkehrt schien die Pforte ihrerseits bemüht, unter allen Umständen einen friedlichen Interessensausgleich mit Bedir Khan zu bewerkstelligen. 1842 beispielsweise, als eine ernste Krise um die vom vali in Mosul angestrebte Gebietsreform ausbrach, die Bedir Khan um beträchtliche Revenuen gebracht hätte, entschied der Sultan auf Vermittlung des valis in Diyarbakır zugunsten Bedir Khans. Zur Beschwichtigung des erbosten Emirs wurde er sogar mit einem Ehrenschwert ausgezeichnet.[24] Und im Jahre 1844 wurde Bedir Khan von höchster Stelle dafür belobigt, bei der Bestrafung eines „räuberischen“ Stammes geholfen zu haben, der einen für [− S.171 −] Bagdad bestimmten Lebensmitteltransport geplündert hatte.[25] In das gleiche Jahr fällt die folgende, von einem nordamerikanischen Missionar berichtete Episode, die in diesem Zusammenhang charakteristisch ist:

„Sie werden schon zuvor gehört haben von der Unterredung Keimal Effendis, des türkischen Sonderbeauftragten, mit Bader Khan Bey, davon daß er Position zugunsten der Nestorianer bezog und von der darauffolgenden Freisetzung von über vierzig Gefangenen. Der Sonderbeauftragte tat dies, als er auf dem Weg von Konstantinopel hierher [der Autor schreibt aus Mosul, G.B.] war. Etwa zur gleichen Zeit erging Befehl von der Pforte an Bader Khan Bey, all seine Gefangenen freizugeben. Er gehorchte allerdings nur soweit, als hinlänglich war, um den Anschein von Gehorsam zu wahren — bei geringstmöglicher realer Befolgung des Befehls; d.h., er ließ ein paar Menschen frei, damit es so aussah, als komme er der Anordnung der Regierung nach, während er gleichzeitig den größeren Teil weiterhin in Gefangenschaft hält.“[26] (meine Übers.; engl. Original)

Der gleiche Geist spricht aus Bedir Khans zahlreichen Eingaben an die Pforte, in denen es vor Ergebenheitsfloskeln nur so wimmelt, die aber in der Sache durchaus von wohlverstandenem Eigennutz geprägt sind.[27]

Die Pforte ihrerseits schien es nicht übermäßig eilig zu haben, ihre staatliche Autorität in Bedir Khans Herrschaftsbereich gewaltsam durchzusetzen, wurde aber von den Großmächten massiv zu Strafmaßnahmen wegen der Massaker an den Nestorianern — als deren Schutzpatrone sich England und Frankreich aufwarfen — gedrängt.[28] Das ganze Jahr 1846 über schleppten sich die zögerlichen Vorbereitungen für eine militärische Strafexpedition hin, gleichzeitig wurde durch spezielle Regierungsemissäre intensiv mit dem ‚aufsässigen‘ Emir verhandelt. Anfang 1847 bot Bedir Khan im untertänigsten Ton — er hatte mittlerweile vom Aufmarsch einer starken Armee in Diyarbakır erfahren — an, für all seine Missetaten geradestehen zu wollen, denn „sofern ich tatsächlich unfreundliche Akte verübt habe, für die die gebührende Strafe zu akzeptierten ich klar bereit bin, und eventuell auch jetzt noch Fehler begehe, so doch nur weil ich in eingestandener Unkenntnis vorging.“ Weiter beteuert er demütig: „Und wenn ich tausend Leben hätte, ich gäbe sie alle freudig für meinen Großherrn hin.“[29] [− S.172 −] Allerdings geht aus Bedir Khans letztem Unterwerfungsangebot vom 19. April 1847 auch hervor, daß er sich mittlerweile ein wichtiges Prärogativ des Sultans angemaßt hatte: nämlich das Freitagsgebet (hutbe) in der Zentralmoschee in seinem Namen lesen zu lassen.[30] Woraus man deutlich erkennen kann, daß er bei aller Kompromißbereitschaft zielstrebig daran arbeitete, die eigene Machtstellung weiter auszubauen. Doch die osmanische Militärmaschine war — einmal angelaufen — nicht mehr zu stoppen. Im Juni 1847 kam es zur Entscheidungsschlacht, die mit einer Niederlage für den Emir endete. Bedir Khans Vasallen ließen ihn daraufhin sofort im Stich, und so mußte er am 29. Juli 1847 kapitulieren.[31] Im Oktober des gleichen Jahres wurde er unter höchst ehrenvollen Bedingungen nach Kreta verbannt.[32]

Die von Bedir Khans Nachfahren später in Umlauf gebrachte Geschichte von großartigen Schlachtensiegen und vom achtmonatigen heldenhaften Ausharren ihres Ahnen in seiner Bergzitadelle gegen eine erdrückende Übermacht darf getrost ins Reich der nationalistischen Mythenbildung verwiesen werden.[33] [− S.173 −] Ebenfalls unzutreffend ist die Behauptung, die ‚Alliierten‘ Bedir Khans hätten auch nach dessen Gefangennahme noch jahrelang weitergekämpft.[34] Was z.B. Nurullah Bey betrifft, so schrieb er selbst ein Jahr später in einer Petition an den Sultan:

„[...] als Osman Paşa gegen Bedir Khan Bey ins Feld geschickt wurde, leistete ich ihm Hilfe; indem ich mich samt meinen Soldaten dem Heer anschloß, war ich ihm eifrigst zu Diensten. In Anerkennung dieser meiner Dienste geruhte man Euerem Diener die Gunst der Ernennung zum Obertürhüter zu gewähren, und indem man mir ein Bataillon Soldaten mitgab, wurde dafür gesorgt, daß ich den Schutz meiner Festung und meiner Orte gewährleisten konnte.“[35] (meine Übers.; türk. Original)

Er erhielt also außer einem Ehrentitel vor allem militärische Unterstützung bei der Durchsetzung seiner Machtposition gegenüber seinem weiter oben bereits erwähnten Rivalen und Neffen Süleyman Bey.[36]

Genau betrachtet unterscheidet sich Bedir Khans Revolte kaum von der anderer derebeys vor ihm: In einer Zeit der Schwäche der Zentralgewalt dehnte er seinen Herrschaftsradius aus und beanspruchte innerhalb dessen alleinige Autorität. Erfolgreiche Feld/Raubzüge mehrten die Zahl seiner Gefolgsleute, die erhöhte militärische Schlagkraft wiederum erlaubte es ihm, seinen Schiedsspruch zum einzigen Gesetz zu machen.[37] Die Konkurrenz von osmanischen kadis und Steuereintreibern konnte er dabei nicht dulden, nicht weil sie ‚fremdnational‘ gewesen wären, sondern weil sie seine fürstliche Machtbasis schmälerten — materiell die einen, ideell die anderen. Die Oberhoheit der Osmanlı als Großherrn hingegen war ihm so lange unproblematisch, als dadurch seine eigene Herrschaft nicht in Frage gestellt wurde, im Gegenteil: Bedir Khan betonte auch auf dem Höhepunkt seiner Macht, daß er sich seinem Vasalleneid nach wie [− S.174 −] vor verpflichtet fühle.[38] Nichts deutet darauf hin, daß er oder Mir-i Kora „die Kurden“ oder „Kurdistan“ als eine präexistente Wesenseinheit aufgefaßt hätten, welcher allein schon durch das Faktum ihrer schieren Existenz ein Recht auf vollständige Freiheit von „Fremdbestimmung“ zugestanden hätte.[39] War Mir-i Koras Ziel ein universell vergrößertes Emirat Soran gewesen, so galt Bedir Khans Streben einem allumfassenden Emirat Botan. Beide waren sie von der Erschütterung des Reiches durch den Konflikt zwischen Muhammed Ali und Mahmud II. begünstigt worden, aber das mehrmalige Eingreifen der Europäer zugunsten des von ihnen erwünschten status quo verkürzte in beiden Fällen die ihnen verbleibende Zeitspanne zu sehr, als daß sie sich endgültig als Regionalherrscher hätten festsetzen können. Mit ihnen ging allerdings die ganze Ära der fürstlichen „kurdischen“ Sonderrechte ihrem Ende zu. Nach der Eroberung von Bitlis (1849) erlosch mit dem Emirat Baban (1850) die letzte der großen alten Dynastien.[40]

Mitte des Jahrhunderts hatte die Pforte also ihr Hauptziel weitestgehend erreicht, die meisten Provinzen unterstanden wieder dem direkten Zugriff der Zentralgewalt, und kein von ihr bestellter vali mußte mehr zittern, ob es den [− S.175 −] ihm mitgegebenen Truppen wohl auch gelingen möge, seinen Vorgänger gewaltsam aus dem Amt zu vertreiben. Selbst die über ein Jahrzehnt schwelende „ägyptische Krise“ war mit Hilfe europäischen Drucks in einer Weise bereinigt worden, die eine erneute Bedrohung der Souveränität des Sultans aus diesem Teil seines Reiches unmöglich machte. Aber eigentlich war die Beseitigung der übermächtigen Provinzherren nur als erster Schritt im Rahmen der „heilsamen Neuordnung“, der tanzimat, geplant gewesen, und gerade beim zweiten Schritt, der Gewährleistung einer regulären, zentral kontrollierten Verwaltung, Steuererhebung und Rechtssprechung auch in den entfernteren Provinzen, versagte die Pforte — zumindest was Kurdistan betrifft — auf ganzer Linie.

„Die Schwäche der türkischen Regierung können die Erfolge des Mohammed Pascha von Mosul nur auf kurze Zeit bemänteln. Man legt den Häuptlingen Tribut auf, treibt in den Gränzbezirken [sic] einige Rekruten ein und hält dazu einen oder zwei Plätze — wie Basch Kalah und Dschulamerk — und ich glaube auch Amadia — mit Truppen besetzt. — Inzwischen warten die Häuptlinge im Inneren, wo sie wie vorher unbekümmert um den Sultan und seinen Tansimat schalten und walten [...] die Zeit ab, da günstigere Umstände, etwa ein Angriff auf die Türkei von Rußland oder Persien her [...], das leichte Joch abzuschütteln erlauben mögen.“[41]

Nur zu bald hatte die Pforte erfahren müssen, daß sich an den Umständen, welche die Sultane vergangener Jahrhunderte dazu bewogen hatten, ihre überlegene Militärgewalt nicht zur Zerschlagung der aufsässigen lokalen Herrschaften in Kurdistan zu benutzen, nichts geändert hatte. Auch nachdem alle größeren Orte wie Cizre, Sulaymaniya, Bitlis, Amadiya oder Çölemerik von osmanischen Truppen besetzt waren[42], reichte die Macht ihrer Statthalter außerhalb der Mauern dieser Garnisonsstädte kaum weiter als bis zum jeweiligen Standort ihrer Armee.[43]

Das entscheidende Problem war, daß das Reich unverändert stark genug geblieben war, um für einmalige Schläge eine erdrückende Übermacht zu versammeln, es jedoch für eine dauerhafte Beherrschung Kurdistans an Kräften fehlte. Folglich stellte sich alsbald die alte Kräftebalance zwischen den eingesessenen Herren in der Provinz und der Zentralgewalt auf etwas niedrigerem Niveau wieder ein. Nunmehr arbeiteten statt Sultan und erblichen Emiren eben regionale Statthalter mit lokalen ağas und Stammeschefs zusammen.[44] So hatte [− S.176 −] Kurdistan allerdings zwei Herren und die Untertanen wurden doppelt besteuert: von der osmanischen Zentralgewalt nämlich, die in jährlichen, feldzugartigen Kampagnen die staatlich festgelegten Steuern (und mehr) eintrieb, und von den alteingesessenen ağas, die gar nicht daran dachten, auf den ihnen nach Gewohnheitsrecht zustehenden Tribut zu verzichten.[45] Der daraus resultierende wirtschaftliche Niedergang wurde weiter dadurch beschleunigt, daß die neuen osmanischen Statthalter weder über die gewachsene Autorität altehrwürdiger Dynastien noch über die materielle Macht verfügten, um im Falle schwerwiegender tribaler Konflikte die Funktion der abgesetzten Emire als übergeordnete Schlichtungs- und Entscheidungsinstanz übernehmen zu können.[46]

Als Konsequenz zerbrach die fragile Kräftebalance der kurdischen Gesellschaft in einem schier unentrinnbaren Strudel allseitiger Konflikte. Die großen Konförderationen der alten Emirate lösten sich auf in einander permanent bekämpfende und befehdende Stämme und Stammesabsplitterungen.[47] Die Allianz der osmanischen Statthalter mit einzelnen lokalen ağas verschlimmerte die Krise nur noch: ohne diese Zusammenarbeit konnten sie im Umland ihrer Residenzen nicht einmal die minimalste Ordnung aufrechterhalten; gleichzeitig trieb aber gerade diese Allianz die tribalen Rivalen der protegierten ağas zur offenen Rebellion gegen den Staat. Die periodischen Strafexpeditionen größerer Truppeneinheiten hatten dabei keinerlei bleibende Wirkung, und die öffentliche Sicherheit brach schlicht zusammen.[48]

Während die Reform- und Rezentralisierungsanstrengungen der Pforte in den osmanischen Kernlanden vor allem durch die ökonomische Schwäche der Zentralgewalt teilweise bis zum Stillstand gebremst wurden, aber trotzdem allmählich zu Veränderungen im Sinne der Pforte führten, wirkten sie im gänzlich anders gearteten Kontext der kurdischen Gesellschaft offenbar bloß destruktiv. Als Reaktion auf die Unfähigkeit der osmanischen Zentralgewalt, das von ihr selbst angerichtete Chaos in der östlichen Peripherie zu stoppen, erwuchs hier [− S.177 −] schließlich durch ‚Mutation‘ einer jahrhundertealten spirituell-sozialen Institution, den sheikhs, eine neue einheimische Machtelite, die die Gestalt der kurdischen Gesellschaft während der hundert Jahre zwischen 1850 und 1950 nachhaltig prägen sollten. Dem Aufstieg dieser neuen Schlüsselfiguren muß das Augenmerk daher als nächstes gelten.

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Fußnoten

1
Siehe: Gövsa „Stichwort: Bedirhan“ S.67
2
Laut Sevgen („Kürtler Teil VII“ S.49) dauerte es acht volle Jahre. Siehe auch: van Bruinessen Agha, Shaikh and State S.224 (dt.: S.239)
3
Da dies alles schon geschildert wurde, verweise ich nur auf die entsprechenden Seiten und Anmerkungen: 1828/29: S.154; 1834: Anm.13 S.149; 1836: S.153; 1838: Anm.32 S.153; 1839: Anm.36 S.154
4
Siehe z.B.: Jwaideh The Kurdish Nationalist Movement S.207 mit Anm.1; Nezan „Die Kurden unter der osmanischen Herrschaft“ S.54; die Nennung sonstiger „Allianzen“, etwa mit dem Emir von Ardalan in Persisch-Kurdistan, gehen alle auf eine Liste bei Chirguh (i.e. Bedir Khan) zurück, die ich für unzuverlässig halte. Der Hinweis etwa auf ein „Bündnis“ mit „Keur Hussein Bey, Chef der kurdischen Stämme von Kars“ nimmt sich sofort etwas anders aus, wenn man erfährt, daß dieser Bey entmachtet im ägyptischen Exil saß und als Bittsteller ohne Gefolge an den Hof in Cizre kam. Siehe: Chirguh [Bedir Khan] La question kurde S.14
5
Die Nestorianer sind eine von mehreren christlichen Glaubensgruppen, die aus der alten Kirche des Patriarchats von Antiochia hervorgegangen sind. Es herrscht allerdings bei der Bezeichung für die Christen in Kurdistan eine erhebliche Verwirrung, die Begriffe „Nestorianer“, „Chaldäer“, „Syrianer“ oder „Assyrer“ gehen oft durcheinander. Die Bezeichnung Assyrer wird erst seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert verwendet, die anderen drei hingegen haben schon eine über tausendjährige Geschichte; bis zum 17. Jahrhundert wurden sie abwechselnd und fast dekungsgleich für die Mitglieder der ost-syrischen Kirche benutzt, wobei „Syrianer“ eher auf die Gemeinsamkeit der Liturgiesprache (Syrisch/Aramäisch), „Nestorianer“ auf den Namen des Vorkämpfers der geläuterten Lehre und „Chaldäer“ auf den Siedlungsraum der betreffenden Gläubigen anspielen. Seitdem im 17. Jahrhundert eine Wiederannäherung von Teilen der Nestorianer an die päpstliche Lehre stattfand, beanspruchten diese „Unierten“ die Bezeichnung Chaldäer für sich. Als europäische Forschungsreisende die Spekulation über eine Verwandtschaft der Nestorianer mit den antiken Assyrern aufbrachten, nahmen diese den Namen als Ehrentitel an, um sich besser von ihren re-katholisierten Brüdern absetzen zu können. (Dies ist meine Kurzzusammenfassung des sehr informativen Abschnitts “I. Nestorians, Chaldeans, Syrians, Assyrians” bei: Joseph The Nestorians and their Muslim Neighbors S.3-21)
6
Siehe: Yonan Ein vergessener Holocaust S.30
7
Anders als Khan Mahmud, der diesen Kotau ein Jahr vor dem osmanischen Debakel bei Nisib vollzog, tat Nurullah Bey es 1840, also zu einem Zeitpunkt, da die osmanische Armee noch keine unmittelbare Bedrohung für ihn darstellte. “At Van [...] I had frequent and most friendly interviews with the head chief of the Hakary Koords, who had just been to Erzeroom and tendered his entire allegiance to the Turkish government; thus annexing his heretofore independent mountains to Turkey [...]” (Grant „Letter from Doct. Grant, dated July 7th, 1840“ S.432)
8
Wenn man Grants Gewährsmann, dem Paşa von Mosul, glauben darf, erhielt Nurullah Bey dafür sogar Waffenhilfe von osmanischen Truppen aus Van: “The pasha says that a united Turkish and Koordish army from Van, Jesireh, and Hakary, has subdued the Independent Nestorians and burned the house of their patriarch!” (Grant „Letter from Doct. Grant, dated Mosul 9th Oct., 1841“ S.90)
9
„Die türkische Regierung ist nur nominell Beherrscherin der inneren Gebirgspartien, deren Bewohner, die christlichen Nestorianer, de facto, sich bis zum heutigen Tage [1911, G.B.] ihre Unabhängigkeit gewahrt haben und keinen türkischen Beamten oder Soldaten unter sich dulden.“ (Bachmann „Bericht zur Routenkarten ...“ S.21)
«[...] les tribus assyriennes, lorsqu'elles vivaient, avant guerre, dans leur habitat primitif des montagnes de l'Hakîarî, ne présentaient aucun trait essentiel qui les distinguât des tribus kurdes voisines. Leur organisation intérieure, leur vie sociale étaient analogues. Leurs membres portaient les mêmes vêtements [...] Mieux encore: de même que, sous l'autorité des tribus kurdes, il y avait des chrétiens sujets ou ‹raïas› (reya), pauvres cultivateurs durement exploités, il y avait sous l'autorité des tribus assyriennes des Kurdes sujets qui n'étaient pas menés ni exploités moins durement.» (Rondot „Les tribus montagnardes de l'Asie antérieure“ S.6f)
“[...] the revenues of the Hakkary chief are small. On the other hand he can maintain his position only by continual and liberal presents to his adherents, to retain their allegiance, and to his enemies, to purchase their friendship. For so hindered and impeded is he by the faction of his rival and the hostility of the Nestorians, that when a village rebels he dares not suppress the insurrection by force, lest it should join his rival and afford occasion for an open outbreak [...]” “Alone he had already gone to the extend of his ability. To do more would have endangered his authori[t]y among his own people. He went to Bader Khan Bey [...]” (Laurie/Smith „Visits of Messrs. Laurie and Smith“ S.122)
Eine ausführliche Schilderung des Verlaufs der Kämpfe findet sich bei: Grant „Letters from Doct. Grant (5.7., 14.7., 29.7.1843)“ S.436-437
Siehe: Jwaideh The Kurdish Nationalist Movement S.167
“The contemplated expedition against the Nestorians offered Bedir Khan Beg a rich source of plunder with which to reward the growing number of his followers and at the same time provided him with a rare opportunity to prove his religious zeal. Both of these matters were of vital importance to his prestige and future plans.” (ebenda S.189)
“The number killed in the two campaigns was said to be about seven thousand; but this estimate may be too high.” (Breath „Letter from Mr. Breath, July 27, 1846“ S.407) Layard spricht von “nearly 10,000”. (Layard Nineveh and its Remains Bd.1 S.173 Anm.*)
Siehe: Jwaideh The Kurdish Nationalist Movement S.197; van Bruinessen „Vom Osmanismus zum Separatismus“ S.115f; Rondot „Les tribus montagnardes de l'Asie antérieure“ S.32f; Wright „Visits ... to Bader Khan Bey“ S.382
Zum Verhältnis der Begriffe Assyrer und Nestorianer zueinander siehe weiter oben: S.166 Anm.5; „Das assyrische Brudervolk [...] hat durch sein 50 Jahre währendes Elend unter dem englischen Imperialismus sehr viel gelernt. Seit dem Ausbruch unserer Revolution am 11.September 1961 bis zum heutigen Tag haben die Assyrer einen beachtlichen Anteil der Last des Freiheitskampfes heldenhaft getragen. Sie wissen, daß unsere beiden Völker ein gemeinsames Land und ein gemeinsames Schicksal haben.“ (Nebez Kurdistan und seine Revolution S.70)
„[...] die in Kurdistan eingesetzten englischen und amerikanischen Missionare [beschäftigten sich] auf Bitten der osmanischen Machthaber damit, die christlichen Stämme gegen den kurdischen Führer aufzuwiegeln und hatten dabei Erfolg. Jene lehnten es ab, an den Kämpfen teilzunehmen, und verweigerten mitten im Krieg die Zahlung von Steuern an Bedir Khan Bey.“ (Nezan „Die Kurden unter der osmanischen Herrschaft“ S.55) In die gleiche Kerbe schlägt Nebez: „Europäische und amerikanische Agenten und Spione, z.T. getarnt als ‚christliche Missionare‘, fuhren nach Kurdistan, um dort insgeheim Kurden-feindliche Aktivitäten zu betreiben.“ „[...] die Hetzereien der türkischen Beamten und die der europäischen Agenten unter dem assyrischen Brudervolk führten dazu, daß die Nestorianer sich weigerten, dem Badir Chân Steuern zu zahlen. Das führte zu erneuter Gewalttätigkeit.“ (Nebez Kurdistan und seine Revolution S.65 und S.66) Beide stützen sich ganz offenkundig auf die Darstellung von Chirguh: «En 1845, au milieu de ces préparatifs, les Nestoriens des régions des Tchal, Semjantchi et Tchoppi s'étaient révoltés contre l'autorité de l'Emir et avaient refusé de payer les impôts; l'Emir fut contraint d'envoyer une armée de 10.000 hommes pour les ramener à l'obéissance.» (Chirguh [Bedir Khan] La question kurde S.16)
Chirguh (i.e. Bedir Khan) spricht bzgl. der Massaker sogar ausdrücklich von einem «acte de suzeraineté de l'Emir» und meint damit Bedir Khan, nicht Nurullah Bey. (Siehe: ebenda) Yalçın-Heckmann weist darauf hin, daß Nurullah Bey mit der Abhängigkeit von Bedir Khan keineswegs zufrieden war und deshalb gleichzeitig mit dem paşa von Van in Verbindung stand, um seinen späteren Wechsel auf die Regierungsseite rechtzeitig vorzubereiten: “Nurullah Beg seems to have played along with the two forces [...]” (Yalçın-Heckmann Tribe and Kinship among the Kurds S.59)
Einziger Bürge für das angebliche Bündnis ist wiederum der parteiische Bericht (Chirguhs [Bedir Khan] La question kurde S.14). Hingegen erwähnen weder die amerikanischen Missionare, welche die Ereignisse aus der Nähe beobachteten, noch Layard, der die umkämpfte Region 1849 ausführlich bereiste, Şerif Beys Namen im Zusammenhang mit den Kämpfen gegen die Nestorianer oder die Osmanen. Ebensowenig findet er sich in den von Sevgen benutzten osmanischen Archiv-Dokumenten.
Noch einmal der britische Konsul Brant: “[...] the guide [...] preceded us to Vasán, as he said 800 men were assembled there in anticipation of a threatened attack on Khán Máḥmúd by the Bey of Jezírah, and he wished to inform them who we were, to prevent the possibility of an insult.” “The brothers possessed many strong places, the chief of which was the castle of Mamúdíyeh, where Khán Abdál, the next brother of Khán Maḥmúd, resided.” (Brant „Notes on a Journey Through a Part of Kurdistán. 1838“ S.389 und S.387) Genau diesen Khan Abdal mußten Bedir Khans Truppen davon überzeugen, daß es besser war, sich ihm nicht zu widersetzen. «Après avoir ramené à l'obéissance les Nestoriens, Bedr-Khan envoya ses troupes contre l'Emir Abdal, Chef des Mouks, qui fut obligé de faire sa soumission et devient l'allié de l'Emir de Botan.» (Chirguh [Bedir Khan] La question kurde S.16 Anm.2) Die Tatsache, daß Khan Abdal zuvor einem Verwandten Bedir Khans die Festung Hoşap entrissen hatte, dürfte den Konflikt zusätzlich geschürt haben. Siehe: Layard Niniveh und Babylon S.293 (engl. S.385)
“Even the Hakkary Bey [...] and Khan Mahmood [...] seemed to think themselves honored by being in waiting upon him. [...] The many spirited chiefs under him, though restive and extremely impatient of restraint, dare not lift a finger in opposition to him; as, in their own language, ‘God has given him the power, and it is in vain for us to strive for it.’” (Wright „Visits ... to Bader Khan Bey“ S.381)
Siehe z.B. das Urteil eines Zeitzeugen, Moritz Wagners, der 1845 die Region bereiste und betont, daß „Beder-Chan [...] trotz seiner Macht kein Interesse hatte, in offener Rebellion gegen die Pforte aufzutreten [...]“ (Wagner Reise nach Persien und dem Lande der Kurden S.155)
Sevgen kommt aufgrund seiner Lektüre des gesamten diesbezüglichen Briefverkehrs in den großherrlichen Archiven zu dem Schluß, daß 1842 von einer Revolte Bedir Khans in keiner Weise die Rede sein kann. Siehe: Sevgen „Kürtler Teil VII“ S.59
Dieses Lobesschreiben datiert vom 31.5.1844 (siehe: Sevgen „Kürtler Teil VIII“ S.47); bestätigt wird dieser Vorfall von einem russischen Zeitzeugen: „Während ich in Bagdad war, schickte der Pascha dem Khan einen kostbaren Chalat, eine Sklavin, einen prächtigen Sattel und mehrere Pferde für die Hilfe, die der Khan ihm gegen die Beduinen geleistet hatte (unweit von Hilla am Euphrat).“ (Dittel „Očerk putešestvija po vostoku“ S.208, ich danke Klaas Bähre für die Übersetzung aus dem Russischen)
Laurie „Letter from Mr. Laurie, April 13, 1844“ S.263
Sevgen hat einige dieser Briefe, die immer mit „Ihr Sklave“ oder „Ihr ergebener Diener Bedirhan ben Abdullah“ gezeichnet sind, dokumentiert. Siehe z.B. Dok.2 und Dok.4 in: Sevgen „Kürtler Teil VII“; Dok.6 und Dok.7 in: ders. „Kürtler Teil VIII“
Siehe die bei Sevgen reproduzierten Eingaben von britischer und französischer Seite in: Sevgen „Kürtler Teil IX“; siehe auch: van Bruinessen Agha, Shaikh and State S.227 (dt.: 241f); Rondot „Les tribus montagnardes de l'Asie antérieure“ S.34
Sevgen „Kürtler Teil VIII“ S.49; Dok.6 (meine Übers.; türk. Original)
«Bundan sonra kendi adını anan ve tekrarlayan hutbe okutmaktan vaz geçip hutbeyi Zat-ı şahane namına okutmayı taahhüt eder.» (ebenda S.51) Zu deutsch: „Er [Bedir Khan, G.B.] verspricht, fürderhin davon Abstand zu nehmen, im Freitagsgebet seinen eigenen Namen erwähnen und wiederholen zu lassen, und das Freitagsgebet im Namen seiner erhabenen Majestät sprechen zu lassen.“
Siehe: Sevgen „Kürtler Teil XII“ S.39; die von Sevgen angegebene Umrechnung der Hedschradaten ist falsch, ich habe sie überall wo nötig nach den Wüstenfeld-Mahler'schen Vergleichungs-Tabellen (dritte, von Bertold Spuler herausgegebene Auflage) korrigiert.
“[...] the chief, finding defence hopeless, succeeded in obtaining from the Turkish commander, Osman Pasha, the same terms which had been offered to him before the commencement of hostilities. He was to be banished from Kurdistan; but his family and attendants were to accompany him, and he was guaranteed the enjoyment of his property.” (Layard Nineveh and its Remains Bd.1 S.239) Eine ganz ähnliche Darstellung findet sich bei dem französischen Regierungsemissär Xavier Hommaire de Hell. Siehe: Hommaire de Hell Voyage en Turquie et en Perse 1.Teil, Bd.2 S.494; das vom 2.9.1847 datierte großherrliche Verbannungsdekret findet sich als Dok.1 in: Sevgen „Kürtler Teil XII“
Während Chirguh über die erste große Schlacht zwischen Osmanen und den vereinigten Kriegerscharen Bedir Khans und Khan Mahmuds behauptet: «Les forces turques furent battues et durent se replier.» (Chirguh [Bedir Khan] La question kurde S.17), geben sowohl die Times als auch Layard, Sevgen und Hommaire de Hell übereinstimmend an, daß sie mit einer Niederlage der letzteren endete. Der Bericht der Times lautet so: “A sanguinary battle, in which Bederhan Bey and Mehmoud, Khan of Van, were completely beaten and routed, was fought on the 18th June on the left bank of the Tigris. [...] The Kurds lost 800 men, and the regular troops between 300 and 400. Bederhan Bey, abandoned by Mahmoud Khan and the main body of his army, was unable to keep the field, and had retired with a few hundred men into a fortress of the interior [...]” (The Times London 1847 (Ausgabe vom 5.8.) S.5 Spalte d) Der offizielle Rapport des kommandierenden Generals Osman Paşa findet sich als Dok.4 in: Sevgen „Kürtler Teil XI“ S.55-58; siehe auch: Layard Nineveh and its Remains Bd.1 S.239; Hommaire de Hell Voyage en Turquie et en Perse 1.Teil Bd.2 S.494; letzterer traf am 13.9.1847 in Trapezunt auf den Gefangenentransport, der mit Bedir Khan auf dem Weg nach Istanbul war (siehe: ebenda S.423f). Allerdings muß man zugestehen, daß die Legendenbildung sehr früh einsetzte, so schrieb z.B. de Bianchi schon 1863: «Bederkàn Beg e Nuhullàh Beg, ambidue condottieri dei rivoltosi del Kurdistàn, con circa cinquantamila cavalieri seppero per vari anni mirabilmente resistere alla Turchia.» (de Bianchi Viaggi in Armenia, Kurdistàn e Lazistàn S.212f)
Bei Jwaideh (The Kurdish Nationalist Movement S.210f) heißt es z.B., Şerif Bey von Bitlis habe bis 1849 der Pforte Widerstand geleistet. Hommaire de Hells Bericht aus Bitlis (er traf dort am 23.10.1847 ein) zeichnet ein anderes Bild: Osman Paşas Truppen verließen Bitlis zu diesem Zeitpunkt gerade wieder, der Feldzug war abgeschlossen. Khan Mahmud habe sich übrigens gleich nach der Gefangennahme Bedir Khans kampflos ergeben. Siehe: Hommaire de Hell Voyage en Turquie et en Perse 1.Teil Bd.2 S.492f (zu Bitlis) und S.494 (zu Khan Mahmud); ähnlich: Sevgen „Kürtler Teil XI“ S.55
Sevgen „Kürtler Teil XIX“ Dokument I, S.70
Ein bleibender Erfolg blieb ihm allerdings verwehrt, denn 1848 findet man ihn im Exil in Täbris unter dem Schutz des dortigen britischen Konsuls. Nach umständlichen Verhandlungen, die sich bis 1849 hinzogen, kam Nurullah Bey schließlich zurück ins Osmanische Reich und wurde nach Kreta verbannt. «Bir müddet İstanbul'da kalan Nurullah bey, 16 Recep 1265 [...] günü ›Tair-i-Bahrî‹ vapur ile Girit'e sevkedilmiş [...]» Zu deutsch: „Nurullah Bey blieb eine Zeit in Istanbul, am 7. Juni 1849 [...] wurde er mit dem Dampfer ‚Tair-i-Bahrî‘ nach Kreta verbracht [...]“ (Sevgen „Kürtler Teil XX“ S.41; meine Übersetzung) Allzusehr darben mußte er offenbar nicht, denn späterhin erhielt er — ganz wie Emir Bedir Khan — den Rang eines paşas samt dem dazugehörigen Gehalt. Siehe: de Bianchi Viaggi in Armenia, Kurdistàn e Lazistàn S.213 Anm.1
Seine gnadenlose Justiz des Henkerschwertes sorgte dabei für ein ungewöhnliches Maß an Sicherheit vor Raub und Diebstahl. Dem 1844 durchreisenden Russen V. Dittel wurde dies von allen Seiten bestätigt. Siehe: Dittel „Očerk putešestvija po vostoku“ S.206-209
Der Missionar Wright berichtet von einem Gespräch mit Bedir Khan im Sommer 1846: “He prides himself upon being a man of ‘one word,’ a rare thing in these countries. In confirmation of this, he told us that eight years ago, when he was weak and Turkey strong, he entered into an engagement with the latter; and that now, though the power had changed hands, he did not violate his word.” (Wright „Visits ... to Bader Khan Bey“ S.381)
In diesem Punkt stimme ich ganz mit van Bruinessen überein: “There are no indications that these two Kurdish lords were thinking of establishing a Kurdish state (as later nationalists were to claim). [...] Such resistance against external government intrusions may, but need not be a first step in the development of more explicit nationalist ideas. It does not however presuppose an awareness among the resisting group (i.[e]. the Kurds) that it constitues a natural, separate unit [...] whose separateness warrants political independance. It is in fact unlikely that the Kurds in this period thought of themselves as such a group. Not only was there no name for ‘nation’ [...], but few seemed to care at all about the Kurds beyond their own horizons.” (van Bruinessen Origins and Development of Kurdish Nationalism S.4f)
Über Bitlis teilte Layard 1849 mit: „[...] Scherif Bey war erst in diesem Frühjahr nach der Hauptstadt geschickt worden, um die noch übrigen Tage seines Lebens mit den Anstiftern des nestorianischen Blutbades in der Verbannung zuzubringen.“ (Layard Niniveh und Babylon S.28 (engl.: S.35f); ähnlich: Soane To Mesopotamia and Kurdistan in Disguise S.374) Der Sturz der Dynastie von Baban sei hingegen ‚hausgemacht‘ gewesen, berichtet Longrigg: “[...] Amad Pasha['s] [...] rule was broken for a year in 1840 by a return of Maḥmud Pasha, his uncle. The Persian army which restored this veteran raised a diplomatic storm by its invasion of soil claimed as Ottoman [...] with the retirement of the Persians, Aḥmad again assumed the Baban government. In 1842 his deep and doubtful commitment in frontier quarrels led to his removal to Baghdad. Qadir Pasha, grandson of the founder of Sulaimaniyyah, was to succeed; ‘Abdullah, brother of Aḥmad, disputed his entry; and a Persian invasion, designed to restore Maḥmud, failed by the opposition of ‘Abdullah, who remained as ruler till Aḥmad returned on a change of pashas in Baghdad. Najib Pasha hoped by encouraging feuds finally to unseat the dynasty. He succeeded. ‘Abdullah was again preferred to his brother, and given Sualimaniyyah with the significant rank of Qa'immanqam. For years past the Baban had been tributary to Baghdad, and Sualimaniyyah contained Turkish troops; the tribute was now raised, the imperial garrison increased. The end came in 1850, when Isma‘il Pasha, a Turkish general, replaced the last Baban.” (Longrigg Four Centuries of Modern Iraq S.287)
Sandreczki Reise nach Mosul und durch Kurdistan. Zweiter Theil S.251
Zu detaillierteren Angaben, wo osmanische Garnisonen zu finden waren, siehe: Anm.4 und Anm.6 auf S.198
“Officially, Kurdistan was from then on ruled directly, by Ottoman governors. In practice, however, direct Ottoman rule was to prove very ineffective indeed. Near the cities, the governors had some power; nowhere did they have authority.” (van Bruinessen Agha, Shaikh and State S.221 (dt.: S.236))
“The abolition of the emirates did not mean the end of indirect rule and its replacement by direct rule. In fact, indirect rule continued to be practised for a long time (it still is, in many parts of Kurdistans), but it was reduced to ever lower levels of integration. After the mîrs, tribe aghas, and later village aghas [...] were the persons to whom government authority was delegated.” (ebenda S.229 (dt.: S.243f))
“[...] the government was strong enough to take its own taxes, but not sufficiently strong (or willing) to prevent tribal chieftains from taking theirs as well, so that the peasantry was doubly taxed.” (ebenda S.214 (dt.: S.230))
Siehe: Jwaideh The Kurdish Nationalist Movement S.212f; van Bruinessen Agha, Shaikh and State S.227 (dt.: S.242)
Siehe: van Bruinessen „Nationalismus und religiöser Konflikt“ S.385
Barth führt das Beispiel des Stammes der Hamawandî an: “Seeing the opportunities offered by the ineffetual nature of Ottoman governmental control, they entered on a career of brigandage, looting the caravans that passed between Persia and Iraq. [...] As they proudly assert: ‹For more than a generation we reaped our daily bread with our gunbarrels›.” (Barth Principles of Social Organization S.45)