Nationalismus in Kurdistan (1993)

4. Das 19. Jahrhundert

Der Aufstieg der sheikhs in der kurdischen Gesellschaft

Als sheikh bezeichnet man in Kurdistan von alters her jene spirituellen Führer, die sich durch asketische Lebensführung, Weisheit (einschließlich heilpraktischer Kenntnisse) und Vertiefung in mystisch-religiöse Lehren einen Ruf als heilige und verehrungswürdige Persönlichkeiten erworben haben.[1] Man darf sich diese sheikhs dabei nicht als entrückte ‚Säulenheilige‘ vorstellen. Sie schossen, ritten und kämpften wie jeder andere Stammeskrieger, und etliche von ihnen erwarben sich auch einen großen Ruf als militärische Führer. Im übrigen verschmähten sie auch weltlichen Reichtum nicht, denn ein großer Teil ihres Prestiges beruhte darauf, daß sie ihre Gefolgsleute und andere Gäste häufig großzügig bewirteten und im Falle der Not gelegentlich mit materieller Hilfe (z.B. Saatgut) beiseite standen.[2] Umgekehrt brachten ihre Anhänger bei jedem Besuch kleine (oder sofern sie reich waren große) Geschenke mit.[3] Landschenkungen wurden offenbar recht häufig vorgenommen.[4]

Diese materiellen Beziehungen waren jedoch von kapitalistischen Warentauschgesetzen weit entfernt, denn der Gastgeschenke darbietende Besucher eines sheikhs ‚bezahlte‘ diesem nicht etwa ein ‚Äquivalent‘ für eine empfangene ‚Dienstleistung‘, sondern er bestätigte damit dessen sozialen Status. Umgekehrt wäre die bloße Akkumulation von Gaben als Selbstzweck — etwa im Sinne einer „Schatzbildung“ — ohne die gleichzeitige Bereitschaft zur demonstrativen [− S.178 −] Verschwendung, wie z.B. die überreichliche Bewirtung Hunderter von Gästen an besonderen Feiertagen, für den sheikh einem sozialen Selbstmord gleichgekommen.[5] Die folgende Beobachtung, die der Anthropologe Leach im tribalen Milieu Irakisch-Kurdistans machte, zeigt, daß dieser soziale Mechanismus selbst in den 30er Jahren dieses Jahrhunderts ungebrochen in Kraft war:

„Je ausufernder die Gastfreundlichkeit des Aghas, desto höher steigt er in der Wertschätzung seiner Gefolgsleute; dies gilt in solchem Maße, daß das einem Mann dank seiner Qualität als guter und freigebiger Gastgeber zustehende Prestige auf der Ebene der Ehre Handicaps aufgrund geringer Geburt vollständig aufzuwiegen vermag. Hamid Amin Agha aus Naupurdan beispielsweise genoß trotz Armut und nur recht schwacher verwandtschaftlicher Nähe zum herrschenden Chef des Klans ein unglaubliches Ansehen im ganzen Distrikt — allein aufgrund seiner Gastfreundschaft. Überall konnte man hören, daß er viel mehr Ehre im Leib habe [...] als sein nomineller Herr, Sheikh Mohammad Agha von Walosh [...] Sheikh Mohammad sei geizig und ein altes Weib [...] Die gesellschaftliche Struktur ist derart gestaltet, daß diese Art des Ansehens höher als alle anderen geschätzt wird.“[6] (meine Übers.; engl. Original)

In dieser vorbürgerlichen Sozialwelt erlangte man Macht weniger durch Anhäufung von Besitz als durch exzessive Verausgabung von Gütern — mit dem dadurch erhöhten sozialen Status konnte man allerdings unter bestimmten Umständen um so mehr Leistungen und Abgaben einfordern[7] —, weil Reichtum letztlich als eine abgeleitete Funktion des Status erschien.

Teilweise vermochte sich das besondere Prestige eines sheikhs auf seine Nachkommen zu vererben. Sofern diese jedoch nicht selbst den entsprechenden Lebenswandel an den Tag legten, verflachte die aktive Verehrung rasch zu einem diffusen Respekt. Sheikh war (und ist) daher ein Titel, der vorwiegend durch praktischen Lebenswandel errungen und behauptet werden mußte und nicht wie ein Amt von irgend jemand verliehen werden konnte.[8] Wer allerdings [− S.179 −] als Lehrmeister eines der bestehenden sufi-Orden akzeptiert sein wollte, bedurfte der Einführung und Lossprechung durch einen etablierten sheikh der betreffenden Gruppierung. Daneben sind aber auch Einzelgänger ohne jede Verbindung zu einem bestimmten Orden zu weithin akzeptierten sheikhs aufgestiegen. Von diesen vermochte jedoch keiner seinen Einfluß dauerhaft auf Nachfolger zu übertragen.[9] Im Gefolge der sufi-Orden hingegen entstanden regelrechte sheikh-Dynastien, in denen Prestige und Einfluß in gewisser Weise akkumulierbar gewesen zu sein scheinen.[10] So waren die einflußreichsten sheikhs in Kurdistan allesamt entweder Mitglieder der „Kadiriye“ oder der „Nakşbendî“, jener beiden Orden, welche allein — aus der Vielzahl der sufi-Gemeinschaften im ganzen islamischen Raum — in Kurdistan zu größerer Bedeutung gelangten.[11]

Die sufis boten ihren Anhängern im Vergleich zur rationalen und eher äußerlichen Ritual-Theologie der sunnitischen ulema eine sinnlich erfahrbare und popularisierte Glaubensvariante, die den immer noch stark vorislamisch, schamanistisch geprägten Glaubensbedürfnissen der breiten Mehrheit der Bergbewohner mehr entgegenkam.[12] Besonders das Moment der persönlichen Verehrung und unbedingten Gefolgschaft der sufi-Schüler für ihren sheikh, die bisweilen selbst die Grenzen zur Vergöttlichung überschreiten konnte, wurde allgemein angenommen.[13] In jedem Fall wurde den sheikhs ein mehr oder minder direkter Kontakt zum Allmächtigen zugeschrieben. Nach einer weit verbreiteten bildhaften Vorstellung durfte der gehorsame Anhänger eines sheikhs darauf hoffen, nach dem Tode von seinem Meister in einer Tasche sicher durch [− S.180 −] die göttliche Prüfung ins Paradies gebracht zu werden.[14] So etwas propagierten die sheikhs allerdings nicht selbst. Die „inneren Mysterien“ der Nakşbendî beispielsweise waren eher orthodox und auch von der sunnitischen ulema anerkannt.[15] Das hinderte ihre Anhänger nicht daran, sie als wundertätige Magier und Heilige zu verehren, und die sheikhs unternahmen auch nichts dagegen, da solch eine Reputation der Entfaltung ihres Einfluß' nur dienlich sein konnte.[16] Die Erstellung wundertätiger Amulette und Briefchen, z.B. zum Schutz vor Verletzung durch Gewehrkugeln, gehörte dabei durchaus zu den akzeptablen Betätigungen eines seriösen sheikhs.

Natürlich hatte ein sheikh auch ganz irdische Funktionen, denn sein Rat wurde in allen wichtigen Entscheidungen (Heirat, weite Reisen, Krankheit) eingeholt, vor allem aber trat er als Schlichter bei schwerwiegenden Konflikten auf.[17] Je größer das Prestige des sheikhs, desto eher fanden die beiden Streitparteien sich bereit, seinen Schiedsspruch zu akzeptieren. Umgekehrt erhöhte jeder geschlichtete Streitfall das Prestige des erfolgreichen Schlichters. Die Funktion des obersten Schlichters war in der Vergangenheit jedoch eindeutig von den Emiren aus den großen Dynastien wie Baban, Soran oder Botan besetzt, und solange diese Herrscherhäuser noch existierten, wurden den sheikhs nur weniger bedeutsame Streitigkeiten vorgetragen. Die Schlichtung eines gewichtigen Konflikts, beispielsweise zwischen den Chefs zweier großer Stämme, wäre nämlich einer Herausforderung der Souveränität des Emirs gleichgekommen, denn durch die Unterwerfung unter seinen Schiedsspruch hätten die Konfliktparteien den Status des Schlichters als über dem ihren stehend hingenommen und den sheikh dadurch mehr oder weniger als Herrn akzeptiert.[18] Zudem qualifizierten sich die Emire, abgesehen von ihrem Prestige, zusätzlich durch die ihnen zu Gebote stehende, überlegene Streitmacht für das Amt des obersten Richters: eine Streitpartei, die einem fürstlichen Schlichtungsspruch zu trotzen wagte, mußte mit einer vernichtenden Strafexpedition rechnen.[19] [− S.181 −]

Die Beseitigung der mehr oder weniger unabhängigen Herrschaften in den Bergen Kurdistans und der Aufstieg der sheikhs von lokal verehrten weisen Männern zu überregionalen Machthabern gehören daher ursächlich zusammen. Die sheikhs standen als einzige weit genug außerhalb der Stammesorganisation, um nicht selbst automatisch Partei werden zu müssen in jenem Strudel ungebändigter segmentärer Konflikte, in welchem die gesellschaftlich dominante Schicht der Stammesleute nach dem Verschwinden der Emiratsstrukturen unterzugehen drohte. Gleichzeitig waren sie akzeptierter Teil des Systems — anders als die osmanischen Statthalter, deren offizielle Herrschaft das Chaos nur noch verschlimmerte — und konnten durch geschickte politische Allianzen und Heiraten die militärisch potenten Stämme an sich binden und so allmählich wieder eine gewisse gesellschaftliche Stabilität etablieren.[20] Auf diese Weise hatten sich binnen weniger Jahrzehnte die drei großen sheikh-Dynastien der Şamdinan, Barzan und Barzinci zu den eigentlichen Herren Kurdistans aufgeschwungen.[21]

Dieser Prozeß wurde beschleunigt durch den gänzlichen Zusammenbruch der staatlichen Autorität in den östlichen Provinzen des Reiches während des sogenannten „Krimkrieges“ (1853-1856) und das dadurch bedingte Chaos. All jene Potentaten, die sich früher in ihrem Einflußgebiet einer autonomen Herrschaft erfreut hatten, beeilten sich, von der neuerlichen Schwäche der Pforte zu profitieren. So versuchte sich auch ein Neffe Bedir Khans, İzzeddin Şir, an der Wiedererrichtung des zerschlagenen Emirats von Botan.

Seinerzeit durch frühzeitigen Frontwechsel dem Schicksal des Onkels entgangen und sogar mit einem Gouverneursposten belohnt, war er einige Zeit vor dem Krieg in Ungnade gefallen und seines Posten wieder enthoben worden.[22] Erst bei Kriegsausbruch besann man sich eines anderen und gab ihm den [− S.182 −] Auftrag, eine Truppe von einigen tausend irregulären Reitern aufzustellen.[23] İzzeddin Şir lagerte mit den ersten 1 500 Freiwilligen in der Nähe Cizres, als sich herausstellte, daß der versprochene Sold für seine Leute veruntreut worden war.[24] Daraufhin bemächtigte sich İzzedin Şir an der Spitze seiner düpierten Truppe der Stadt und ließ sich dort selbst zum Herrscher ausrufen.[25] Ein Vorstoß der Rebellen auf Zakho wurden zunächst abgeschlagen, doch Siirt konnte praktisch kampflos eingenommen werden. Mitte Dezember 1854 schließlich beherrschte İzzeddin Şir unangefochten Siirt, Cizre und Zakho.[26] Die Pforte brauchte mehrere Monate, um der Sache Herr zu werden, zumal die Rücksichtslosigkeit, mit welcher die im Frühjahr 1855 herbeigezogene, größere Armee unter Ferik Mehmet Paşa auch in unbeteiligten Gebieten zu Werke ging, diese ebenfalls zur Rebellion trieb.[27] Im Juni 1855 kam es zur Entscheidungsschlacht, die mit einer Niederlage der Rebellen endete. İzzeddin Şir gab Cizre daraufhin preis, verschanzte sich in einer Bergfestung und nahm Verhandlungen mit Mehmet Paşa auf. Da er aber den Garantien des osmanischen paşas nicht trauen wollte, flüchtete sich İzzeddin Şir schließlich nach Mosul und unterstellte sich dem Schutz des dortigen britischen Vize-Konsuls Rassam, der ihm tatsächlich [− S.183 −] solange Asyl gewährte, bis eine vergleichsweise glimpfliche Strafe (Verbannung nach Vidin) mit der Pforte ausgehandelt war.[28]

Es wird wohl hauptsächlich an der verwandtschaftlichen Verbindung İzzeddin Şirs zu Bedir Khan liegen, daß diese Revolte in der einschlägigen Literatur besonders hervorgehoben wird.[29] Tatsächlich gab es während des Krimkrieges (besonders nach dem Fall Kars') etliche solcher Versuche, lokaler oder regionaler Art, die Kontrolle der Zentralgewalt wieder abzuschütteln. Ein Aufstand unter einem gewissen Mohammed Ağa führte z.B. zur Eroberung von Başkale, woraufhin für einige Zeit ein neuer Emir für Hakkâri ausgerufen wurde.[30] Der nordamerikanische Missionar Samuel Rhea schrieb im Februar 1856 aus Mosul:

„Die Kapitulation von Kars hat zweifelsohne diesem gesetzlosen Treiben Vorschub geleistet. Man hat gegenwärtig in den Bergen wohl allgemein den Eindruck, daß die Türken am Ende sind; und da die Engländer und Russen zu weit weg und überhaupt zu sehr mit anderem beschäftigt sind, als daß sie um den Schutz der christlichen Bevölkerung kümmern würden, glauben die Kurden, sie könnten nach Belieben rauben und plündern. Ihr Motto ist zur Zeit: ‚Laßt uns essen und trinken, denn morgen werden wir sterben.“[31] (meine Übers.; engl. Original)

Der Krimkrieg allerdings ist — als ein Wendepunkt in der osmanischen [− S.184 −] Geschichte — von zu großer Bedeutung, als daß er hier nur als ‚Hintergrund‘ diverser Aufstände abgehandelt werden könnte.

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Fußnoten

1
„Er ist einerseits Geistlicher [...] im Sinne eines freien ‚Schriftgelehrten‘. Er kann natürlich den Koran auswendig, kann lesen und schreiben (türkisch oder arabisch) und erteilt geistliche Ratschläge. [...] Andererseits ist er aber auch Heilkundiger, kennt zahlreiche Medizinen und Heilpraktiken und vererbt diese Kenntnis auf seinen Sohn. Nebenher ist er meist Bauer [...] Auf den Saumpfaden des Gebirges begegnet man oft Männern und selbst reisenden Frauen, die als Zweck der Reise den Besuch beim Sheh nennen [...]“ (Hütteroth „Beobachtungen zur Sozialstruktur kurdischer Stämme“ S.34) “In short, the sheikhs fulfilled the roles of doctor, lawyer, priest, and psychiatrist.” (Olson The Emergence of Kurdish Nationalism S.3)
2
Siehe: Jwaideh The Kurdish Nationalist Movement S.136
3
«Installé dans une région, le cheikh reçoit d'innombrables visiteurs, venus souvent de très loin, et qui lui apportent divers cadeaux. Les richesses ainsi accumulées sont souvent très importantes, et permettent au cheihk de devenir gros propriétaire foncier.» (Rondot „Les tribus montagnardes de l'Asie antérieure“ S.44)
4
Mokri beschreibt eine Schenkungsurkunde (allerdings aus dem 16. Jahrhundert), in welcher einem heiligen Manne gleich ein ganzes Dorf aus Dankbarkeit übertragen wurde. Siehe: Mokri „Étude d'un titre de propriété“
5
Die folgende Bemerkung des Mittelalterspezialisten Gurjewitsch trifft auch auf die Verhältnisse in Kurdistan, selbst im 19. Jahrhundert, zu: „Der Reichtum ist für den Feudalherrn ein Mittel zur Unterhaltung gesellschaftlichen Einflusses und der Bestätigung seiner Ehre. Der Reichtum allein bringt keinerlei Achtung [...] Ein Herr aber, der ohne Berechnung sein Einkommen und die Beute vergeudet, verdient, sogar wenn er über seine Verhältnisse lebt, noch Gelage veranstaltet und Geschenke verteilt, jegliche Hochachtung und Ruhm.“ (Gurjewitsch Das Weltbild des mittelalterlichen Menschen S.284) Man vergleiche dies mit einem Bericht über Bedir Khan aus dem Jahr 1846: “[...] heralds had been sent through the surrounding country, to summon the lame, the blind, and the poor of every class, to attend at the castle at a certain hour, when the Bey would distribute presents among them. At the appointed time the yard was filled with several hundred widows, orphans &c. The Bey took his seat by the outer gate, with a bag of money at his side; and the poor came out, one by one. As they passed him he inquired of his attendants in relation of the wants of each one, and dispensed his gifts according to the answers. [...] Each individual, upon receiving his portion, raised his eyes towards heaven, and invoke the blessing of God upon his generous benefactor.” (Wright „Visits ... to Bader Khan Bey“ S.381)
6
Leach Social and Economic Organisation of the Rowanduz Kurds S.28
7
So kann ein sheikh in seiner Eigenschaft als Grundherr, im Gegensatz zu seinen weltlichen Kollegen, selbst heute noch von ‚seinen‘ Bauern Frondienste verlangen, da Arbeit für einen Heiligen Segen einbringe. Siehe: van Bruinessen Agha, Shaikh and State S.318 (dt.: S.330)
8
Siehe: Jwaideh The Kurdish Nationalist Movement S.130f
9
Siehe den Abschnitt “Other saints in Kurdistan” in: van Bruinessen Agha, Shaikh and State S.275-277 (dt.: S.287-289)
Siehe: ebenda S.277; der entsprechende Abschnitt in der deutschen Übersetzung (S.290) hat durch Bearbeitung eine etwas andere Schwerpunktsetzung erhalten.
Siehe: Rondot „Les tribus montagnardes de l'Asie antérieure“ S.43; Edmonds Kurds, Turks and Arabs S.63
“Islam, as propounded in the Mosque, is a formal, coldly intellectualized doctrine of the complete separation of God and Man, of God's supreme wisdom and power and Man's knowledge of it only through the Koran, accompanied by a scholarly legal and ritualistic interpretation of this basic tect. Fundamental is the complete separate nature of God and Man, and Man's inability to bridge this gap. The whole heterodox gamut from Sufi mystics to essentially shamanistic spirit-medium cults represent attempts at direct communication with God — at brigding this very un-brigdeable gap. The Kurdish derwish sects occupy a position towards the shamanistic pole of this continuum.” (Barth Principles of Social Organization S.82) Siehe auch: Edmonds Kurds, Turks and Arabs S.61f
Ein besonders grotesker Fall ist der des unglücklichen Sheikhs Abdussalam von Barzan, dessen Anhänger so überzeugt von der göttlichen Identität ihres Meisters waren, daß sie ihn am Ende aus Wut darüber, daß er sich aus — wie sie annahmen — übergroßer Bescheidenheit nicht zu erkennen gab, durch wiederholte schwere Prügel dazu zwingen wollten, seine Göttlichkeit endlich zu bekennen. Die sufis von Barzan mußten auf seinen Nachfolger und Sohn warten, der dankbar den Titel mahdi aus ihrem Munde annahm und mit ihnen zum Sturz des Sultans antrat. Allerdings war sein Ende kaum glücklicher als das seines Vaters. Siehe: Nikitine „Les Kurdes racontés par eux-mêmes“ S.149-151
Siehe: van Bruinessen Agha, Shaikh and State S.312 (dt.: S.324)
Siehe: Bois u.a. „Stichwort: Kurds, Kurdistan“ S.475
“In theory the performance of miracles is neither an essential nor (according to some) a particulary desirable part of the stock in trade of a dervish Murshid [i.e. sheikh, G.B.], but popular esteem does in practice depend to a large extent on the degree of his success in convincing the public that he in fact possesses thaumaturgical power (karáma). In Kurdistan, not surprisingly, the most highly appreciated of such gifts is the ability to confer immunity against fire-arms by written charms worn on the person [...]” (Edmonds Kurds, Turks and Arabs S.74)
Siehe: van Bruinessen „Vom Osmanismus zum Separatismus“ S.150
Ein Rivale Bedir Khans zum Beispiel zog u.a. deshalb eine Strafexpedition auf sich, weil er es gewagt hatte, eine gravierende Stammesfehde zu schlichten. Siehe: van Bruinessen Agha, Shaikh and State S.224 (dt.: S.239)
Allerdings scharten die sheikhs auch zu diesen Zeiten schon nicht nur verklärte Wahrheitssuchende um sich, sondern hatten mit ihren Gefolgsleuten im Bedarfsfalle eine Truppe ganz handfester Gesellen aufzubieten.
Wenn de Bianchi 1863 schrieb: «Ogni tribù kurda vive sotto il governo di un capo chiamato Scèik, la cui parola, essendo legge per gl'individui soggetti, decide della vita e della morte; egli è tratto dall'aristocrazia della tribù.», weist das darauf hin, daß die Vormachtstellung der sheikhs im tribalen Milieu damals schon ein so gewöhnliches Phänomen geworden war, daß er es für den Normalfall hielt. (de Bianchi Viaggi in Armenia, Kurdistàn e Lazistàn S.187)
Siehe: Jwaideh The Kurdish Nationalist Movement S.214; die sheikhs von Şamdinan und Barzan gehörten zu den Nakşbendî, die von Barzinci zu den Kadiriye.
İzzeddin Şir ging sofort auf die osmanische Seite über, als die Meldung von der Sammlung des Anatolischen Heeres in Diyarbakır nach Cizre durchdrang. Für seine Kooperation wurde er ehrenhalber zum „Obertürhüter des Sultans“ ernannt. (Siehe: Sevgen „Kürtler Teil X“ S.59) Hommaire de Hell berichtete von İzzeddin Şir als dem einzigen Verwandten Bedir Khans, der der Exilierung entging: «Tous ses parents, sauf un seul qui, grâce sans doute à des services rendus à la Porte dans cette expédition, a reçu un commandement dans le Haut-Kurdistan, portageaient son sort.» (Hommaire de Hell Voyage en Turquie et en Perse 1.Teil Bd.2 S.423f) Falsch ist die auf Chirguh zurückgehende und seither häufig wiederholte Behauptung, İzzeddin Şir sei erst gegen Ende der Kämpfe durch Bestechung zum „Verräter“ geworden. Siehe: Chirguh [Bedir Khan] La question kurde S.17; Safrastian Kurds and Kurdistan S.60; Chalfin Bor'ba za Kurdistan S.57
Ich stütze mich hier hauptsächlich auf die zeitgenössischen Darstellungen von Schläfli und Lobdell, die sich — bis auf einen Datierungsfehler bei Schläfli — weitgehend decken. Siehe: Schläfli Reisen in den Orient S.53-56; Lobdell „Letters from Dr.Lobdell (Mosul, 15.12.1854)“
Siehe: Schläfli Reisen in den Orient S.54; ähnlich Colonel Williams, der Kommandant von Kars: “Sinister rumours of the insurrection of the Koords at Sert, and in the direction of Bitlis, have reached me: this is the natural result of the robbery of the Bashi-Bozouks's pay by Zarif Mustafa Pasha, and Hassan Yazigi of Damaskus. These men returned to their camps full of discontent and vengeance against those who, instead of robbing them, should have led them against the enemy [...]” („No.72: Colonel Williams to the Earl of Clarendon, Erzeroom, 12.12.1854“ in: The House of Commons „Papers Relative to Military Affairs in Asiatic Turkey 1856“ S.68)
“Yezdînshîr Bey, a son of Mîr Saif ed-Dîn, the Abaside, from whom Beder Khan Bey, his brother, wrested the chieftainship of the Koords about Jezireh some years ago, is now in rebellion [...] Yezdînshîr Bey, has been confined in Mosul, though not so confined as to prevent us from receiving frequent visits from him. [...] A short time since, he received permission from the government to organize five thousand Koords, and conduct them to Anatolia. He arrived at Jezireh with a part of them, and there, under pretence of rectifying certain disorders [...] proclaimed himself Governor! Osman Pasha, from Mardin, gathered a large force of mounted Arabs and Albanians, and a few hundred nizâm [...] and then attempted the siege of Jezireh. [...] Attempts were made in vain to induce the rebel to return to Mosul, even while promised a safe conduct by the authorities here. Osman Pasha's forces have been scattered, and he himself has retreated to Mardin.” (Lobdell „Letters from Dr.Lobdell (Mosul, 15.12.1854)“ S.111f)
“Meanwhile Yezdînshîr Bey, leaving the command of Jezireh to his brother, is reported to have taken Sert, and to have given Zakho to the son of Saîd Bey [...] Naamet Agha, Chief of the Zibâr Koords, [...] and Alamât Efendi, of Amadieh, are marching their retainers to the aid of the government professedly; but lest their aid prove opposition, a detachment of the troops in Mosul are now en route with cannon for the castle of Amadieh.” (ebenda S.112)
Die Times berichtet im Mai 1855: “Kurdistan is not yet perfectly quiet. [...] Mehemet Pasha, on his march to suppress the insurrection of Ezdinshehr Bey [i.e. İzzeddin Şir, G.B.], committed such atrocities, and so ravaged the peaceful villages, Christian, Yezedee, and Mussulman, that numbers of men are driven desparate, and are exciting others to rise.” (The Times London 1855 (Ausgabe vom 29.5.) S.9 Spalte d)
Siehe: Schläfli Reisen in den Orient S.56; in der von kurdisch-nationalistischer Seite (z.B.: Chalfin Bor'ba za Kurdistan S.75f; Nezan „Die Kurden unter der osmanischen Herrschaft“ S.57) verbreiteten Version, Vize-Konsul Rassam habe İzzeddin Şir durch Bestechung und Betrug aus seiner sicheren Festung gelockt und verräterischerweise den Osmanen ausgeliefert, sind die Fakten etwas durcheinander geraten. Zwar gab es tatsächlich einen britischen Offizier, der İzzeddin Şir zur Aufgabe überredete, doch war dies nicht Rassam, sondern ein spezieller Kurier des britischen General Williams aus Kars. Rassam spielte nur die Rolle des Asylgewährenden für einen gescheiterten Aufständischen.
Ghassemlou hält sie für die „wichtigsten Revolte“ der Zeit von 1830 bis 1900, bei Blau sollen İzzeddin Şirs Rebellen gleich „etliche Jahre“ den osmanischen Truppen getrotzt haben und in Chalfins Version nahmen sie sogar Mosul ein — Kendal Nezan fügt ausschückend hinzu, diese Eroberung sei „ohne größere Schwierigkeiten“ vonstatten gegangen. (Siehe: Ghassemlou Kurdistan and the Kurds S.39; Blau „Le mouvement national kurde“ S.451; Chalfin Bor'ba za Kurdistan S.74; Nezan „Die Kurden unter der osmanischen Herrschaft“ S.56) Interessanterweise erwähnt de Bianchi, der als Offizier in osmanischen Diensten von 1855 bis 1859 in Ostanatolien war, diese Revolte mit keinem Wort — «l'ultima grande rivoluzione del Kurdistàn» war für ihn der Aufstand Bedir Khans von 1847. Siehe: de Bianchi Viaggi in Armenia, Kurdistàn e Lazistàn S.212
“Recently some thirty-five hundred Koords from the different tribes, headed by Mohammed Agha and other subordinate chiefs, gathered at Bash Kulla to oust the Turkish Pasha. He, with his three hundred Turks, had taken refuge in the old castle of Noor Allah Beg, not daring with his feeble force to meet the enemy on the open field. [...] Having devided the spoils, they then brought to the place of rendezvous a son of the old Moodebbir, who died a captive in the hand of the Turks at Erzroom, and were soon to bring him to Gawar, there to inaugurate Koordish misrule by his elevation to the chieftainship of the Hakkary country.” (Rhea „Letter from Mr. Rhea, February 6, 1856“ S.175) Tatsächlich scheint es mit dieser neuen Selbständigkeit nicht sehr lange gedauert zu haben, schon im Juni des gleichen Jahres konnte Rhea nach Gawar zurückkehren: “What a change has taken place in this region within the past five months! When we left here the Koords were all in arms against the Pasha; and a few days afterward we heard that they had killed him. [...] Now the tables are turned. Those old Koordish Chiefs flee in dismay before the advancing Ottoman troops.” (Rhea „Letter from Mr. Crane, June 16, 1856“ S.303)
Rhea „Letter from Mr. Rhea, February 6, 1856“ S.175