Max sein SciFi-Blog (2024-05-14 bis 2024-09-28)
Übersicht
Hier finden sich die folgenden Rezensionen (ein Klick auf das entsprechende Cover führt direkt zum gewünschten Buch):
Hinweis am Rande:
Meine Bewertungsskala eicht sich an Werken wie The left hand of darkness von LeGuin, Es ist nicht leicht ein Gott zu sein von den Strugatzkis oder Eden von Lem. Die bekommen von mir volle fünf Sterne.
Der erste Satz (und der zweite)
„»Hier spricht Ihr Erster Offizier«, tönte es aus den Lautsprechern. »Noch zwei Minuten zum Start.«“
2024-09-28
Endlich mal wieder ein solider ScienceFiction-Roman, der eine gute Idee konsequent ausspinnt und innerhalb etwas mehr als 400 Seiten
vollständig erzählt! Die Hauptfigur Mike Warnock hat es schwer, er ist als Kriegsverbrecher und Verräter doppelt gebrandmarkt, weil
er im Krieg eine Massenvernichtungswaffe auf einen Planeten werfen ließ, anschließend Skrupel bekam und das Verbrechen öffentlich
machte. Er flieht mit Frau und Kind an Bord eines altersschwachen Sternenschiffs, um auf dem entlegenen Planeten Omicron 3 neu
anzufangen. Leider tritt die Figur seiner treuliebenden Frau Ellie kaum mehr als eine Stichwortgeberin in Erscheinung. Aber kurz vor
dem Buchende auf Seite 410 hat sie dann endlich einen starken Auftritt. Insgesamt ist die Gleichstellung von Mann und Frau gegenüber
2021 offenbar nicht wesentlich vorangekommen, das Kommando über das Raumschiff, auf dem der Roman ausschließlich spielt, hat zwar
eine Frau, aber wenn es um harte Action geht, müssen die Männer nach vorn. Als weibliche Randfigur wird immerhin eine toughe Soldatin
präsentierte, aber nach einem krassen Einsatz ist sie nur noch ein Nervenwrack und muss geschont werden. Gut, da ginge mehr. Die große
Stärke des Autors liegt tatsächlich im Erfinden von extrem wilden, aber grundsätzlich mit den Naturgesetzen noch vereinbaren und
irgendwie zumindest denkbaren Entwicklungen. Er verwendet daher auch einige Mühe darauf, eine theoretische Physik darzulegen, die
Raumsprünge über 100.000 Lichtjahre und mehr möglich macht. Der Storyplot kreist nun darum, dass bei dem Schiff, mit dem die Warnocks
fliegen, der Sprung schief geht – das Schiff landet im Nirgendwo und findet kein Weg zurück. Peterson lässt sich Zeit für die Exposition,
aber spätestens ab Seite 120 ist klar, dass die Bordcrew mit der unvorhergesehenen Situation völlig überfordert ist und die Passagiere
beginnen durchzudrehen. Das wird alles ziemlich kühl erzählt, Sympathieträger gibt es wenig in diesem Kammerspiel. Neben dem besagten
Kriegsverbrecher gibt es eine Kommandantin, die keine Ahnung von Personalführung, aber dafür ein Alkoholproblem hat, einen Bordingenieur,
der ein aufbrausender Kotzbrocken ist, einen Ersten Offizier, der notorisch die weiblichen Passagiere anbaggert und so weiter. Nett ist,
dass Peterson auch sein Alter-Ego im Roman, einen genialen Reaktoringenieur mit dem deutschen Namen Baumann, der zufällig immer die
richtige Interpretion des Geschehens liefern kann, als sozial inkompetenten und weinerlichen „idiot savant“ angelegt hat. Ganz
überraschend erweist sich der reuige Kriegsverbrecher in der Ausnahmesituation der Schiffskatastrophe als der wahre Held, der selbst
die übelsten Kamikaze-Missionen übernimmt, wenn es für Frau und Kind eine mögliche Rettung verspricht. Das wird alles ziemlich
konventionell, aber wirklich spannend erzählt. Dass es dann für einen nennenswerten Gesellschaftsentwurf im 22. Jahrhundert nicht
mehr gereicht hat, ist schade, spielt aber für diese Story ehrlich gesagt überhaupt keine Rolle. Und dieses Mal konnte ich die
wilden plot twists nicht 50 Seiten im Voraus erahnen, was will man mehr?
Phillip P. Peterson
Universum
Frankfurt a.M. 2021





größtenteils gut zu lesen.
© S. Fischer Verlag
Paperback (17 €)
442 Seiten
ISBN 978-3-596-70086-8
Der erste Satz (und der zweite)
„»Sie wundern sich wahrscheinlich, dass ich Sie heute zur mir gebeten habe, Mr. Bottom«, sagte Hiroshi Nakamura. »Nein«, antwortete Nick.“
2024-09-26
Recht eigentlich ist das kein ScienceFiction-Roman, sondern ein politisches Pamphlet, das ziemlich penetrant eine ultra-reaktionäre Weltsicht predigt:
der Sozialstaat ist Quell allen Übels, die Muslime sind eine Pest, von der die Welt gereinigt werden muss und die Briten haben sich nach 1945 für
ihren eigene Untergang entschieden, indem sie gegen Churchills Rat den Sozialismus eingeführt haben. Das letztere ist keine Satire, sondern wirklich
die Meinung des Autors. Denn die Briten haben ein Sozialsicherungssystem eingeführt und damit die sozialistische Umverteilung von den produktiven
Menschen zu den parasitären Taugenichtsen begonnen, was sie dann in den Abgrund gerissen hat. Und Windenergie ist eine ideologische Spinnerei, die
ebenso wenig funktioniert wie Solaranlagen. Entsprechend tauchen im Roman immer wieder die Ruinen solcher Windkraftanlagen oder verrottete Solarkollektoren
auf. Die wahre Kraft kommt letztlich nur aus echten V8-Motoren, die gallonenweise Sprit verbrennen, nicht aus schwächlichen Elektromotoren. Der Held
bezeichnet sein eAuto logischerweise nur als „Gelding“ („kastrierter Hengst“). Die Geschichte selbst ist eine eher banale Whodunit-Ermittlung in einem
Mordfall, die nur am Rande von einem Vater-Sohn-Drama gekreuzt wird. Der gescheiterte Cop Nick Bottom hat wegen seiner Drogensucht – verursacht durch den
unverarbeiteten Unfalltodes seiner Ehefrau – den Sohn vernachlässigt und zum Großvater abgeschoben. Selbiger gerät auf die schiefe Bahn und will
seinen Vater nur noch töten – in Simmons USA ist eine 9mm-Beretta in gewisser Weise die Antwort auf jede Frage. Aber noch lieber als mit altmodischer
Bleimunition werden in Simmons Romanen Menschen mit Fletchette-Glas-Geschossen zerfetzt. Er zeigt ein hohes Interesse an militärischen Details
und legt kenntnisreich dar, wie Menschenleiber in blutige Klumpen verwandelt werden. Seine andere Obsession, nämlich klassische britische Literatur,
lebt Simmons natürlich auch aus, nur macht die deutsche Übersetzung die zentrale Referenz auf Shakespeares „Sommernachtstraum“ zunichte: Dass Zettels
Traum eben der Traum des Helden Nick Bottom ist, versteht man nur, wenn man weiß, dass es in Shakespeares Original „Bottom‘s Dream“ heißt. Wer das – wie ich –
nicht weiß, sucht vergeblich nach einem nicht vorhandenen Zusammenhang mit Arno Schmidt. Aber zurück zur eigentlichen Geschichte: In der nahen Zukunft
sind die USA ein Trümmerhaufen und ein politischer Flickenteppich, der von allen Seiten bedrängt und zerstückelt wird: die Japaner beherrschen den Westen,
das Weltkalifat die Ostküste und den Süden wollen sich die Mexikaner holen (nur die soften Kanadier*innen kriechen lieber vor dem Kalifat, statt sich ihren Teil
zu sichern). Zur Herleitung seiner Version der Zukunft liefert Simmons immer wieder ebenso krude wie unnötige „Erklärungen“: Windenergie ist wie gesagt
Betrug und Obama hat die USA dem Islam ausliefert. Man kann diese haltlosen Ansichten pflegen, aber für die Story sind sie weder notwendig noch sonst erbaulich.
Und dann ist da auch noch die offenbar tief verankerte Angst vor einer Dominanz Japans, die ja schon Philip K. Dick 1962 zu „The Man in the High Castle“
angetrieben hat. Hier verseuchen die Japaner die USA mit Drogen, um sie zu versklaven – als wenn es dafür irgendeine externe Macht bräuchte, um die
Menschen wo auch immer auf der Welt zum Drogenkonsum zu verführen! Nun, am Ende löst der Held den Fall und damit es die unvermeidliche
Familienzusammenführung geben kann, überwindet er auch seine Drogensucht durch bloße Willenskraft. Immerhin leitet dieser Roman keinen Zyklus ein,
ein klarer Pluspunkt. Im übrigen nehme ich als Botschaft mit, dass ein Mann nur dann ein Mann ist, wenn er anderen Männern wuchtig in die
Eier tritt.
Dan Simmons
Flashback
München 2011 (TB 2019)





Kann man lesen, wenn nichts anderes da ist.
© Heyne Verlag
Paperback (11 €)
636 Seiten
ISBN 978-3-453-32009-3
Der erste Satz (und der zweite)
„Das Leben ist voller Löcher. Selbst im besten Fall ist die Spanne der Jahre eines Menschen niemal ein vollkommener Teppich,
auf dem die Tage, Monate und Jahre klar und deutlich ausgebreitet und in allen Details makellos gewebt sind und wo jede
einzelne Farbe immer noch so hell ist, wie sie zu jener Zeit war, als der Faden in das Ganze eingefügt wurde.“
2024-06-28
Irgendwo habe ich hier notiert, dass manche Fantasy-Romane praktisch nicht von ScienceFiction zu unterscheiden sind.
Nach Lektüre dieses Werkes, das meine sehr geschätzte Stadtbibliothek per Aufkleber auf dem Buchrücken zu ScienceFiction
erklärt hat, muss ich allerdings ergänzen, dass die bloße Übernahme einiger SciFi-Plotelemente aus einer Fantasy-Geschichte
keine ScienceFiction machen. Die Ausgangslage der Geschichte ist eine Erde in weit entfernter Zukunft, die keine Eigenrotation
mehr hat und daher auf der einen Seite verbrennt und auf der anderen erfroren ist. Leben ist nur noch in dem schmalen Band
zwischen Glut- und Eishälfte möglich. Und es gibt einige Artefakte aus einer weit entfernten Hightech-Vergangenheit. Die
Erzählgegenwart ist eine Art Steampunk-Feudalismus, der offenbar auf eine sehr lange Interims-Steinzeit gefolgt ist. Grausame
Mönche monopolisieren das erst ganz allmählich wieder errungene wissenschaftliche Wissen und manipulieren nicht minder grausame
Aristokraten für ihre obskuren Zwecke. Ein einzelnes Leben hat jedenfalls kaum einen Wert. Das hätte ein brauchbares Szenario
für eine individuelle Emanzipationsgeschichte sein können, die vielleicht Auslöser zu einer Revolution geworden wäre. Stattdessen
bekommen wir die Geschichte eines magisches Heilands, der die Kräfte des Guten gegen das Böse anführt. Der Heiland kommt hier
zwar in Gestalt eines 15jährigen blinden Mädchens daher, aber das ändert nichts daran, dass nur die eine Auserwählte uns alle
vor dem Schmoren im ewigen Höllenfeuer retten kann. Soweit, so US-amerikanisch. Zur eindimensionalen Fantasy wird das Ganze
aber weniger dadurch, dass die Heldin in der größten Not magische Kräfte in sich entdeckt und die schlimmsten Monster (von denen
diese stillstehende Erde nur so wimmelt) einfach wegsingen kann, sondern dass die Charaktere nicht die geringsten Ambivalenzen
aufweisen – es gibt halt nur Gute und Böse. Und manche Böse müssen noch entdecken, dass sie eigentlich Gute sind (was dann mit
ziemlicher Sicherheit ihren baldigen Opfertod für die gute Sache nach sich zieht). Grauwerte zwischen Schwarz und Weiß kommen
im Fantasy-Modus einfach nicht vor. Da also kein Platz für das Ausloten charakterlicher Entwicklungen ist, muss umsomehr Action
die Leere füllen. Und dieser Roman wummert nur so vor Explosionen, Todesschreien und klirrenden Schwerterhieben. Das ist für
einige Zeit ganz unterhaltsam, wird auf Dauer aber ermüdend, wenn die Heldin und ihr Team aus Supportern und keuschen Verehrern
eben erst monströsen Säbelzahntigern entronnen sind und sogleich in einen Giftpfeilregen geraten, worauf ein Bombardement aus
Flugschiffen folgt. Und dann stürmt eine feindliche Kavallerie heran usw. usw. Dass das Buch nach nicht weniger als 842 Seiten
mit einem offenen Ende schließt, dem natürlich noch weitere Bände folgen werden, brauche ich kaum noch zu erwähnen. Anders geht
heute Romanschreiben nicht mehr.
James Rollins
Erddämmerung
München 2022





Kann man lesen, wenn nichts anderes da ist.
© Heyne Verlag
Paperback (18 €)
842 Seiten
ISBN 978-3-453-32127-4
Der erste Satz (und der zweite)
„Ich habe eine Geschichte zu erzählen. Sie hat viele Anfänge und vielleicht auch einen Schluss.“
2024-06-14
Nach Abschluss der Lektüre dieses Buches fehlte mir die Lust, eine Rezension zu schreiben. Mit bald einem Jahr Abstand
fällt das noch schwerer, insbesondere bei diesem Buch, das über viele hunderte Seiten dutzende Geschichten erzählt, die
nicht zwingend miteinander zu tun haben. Da wäre z.B. eine Randgeschichte über einen Mord, der Jahrzehnte und Lichtjahre
später gerächt wird. Abgesehen davon, dass deren drei Protagonistinnen auch in der Hauptaktion eine Rolle haben, trägt
der öde Racheplot nichts zum Verständnis des Ganzen bei. Sodann gibt es einen ultrabösartigen Diktator – und damit einem
auch nicht entgeht, wie abgrundtief böse er ist, trägt er den Namen Luseferius –, der das Heimat-Sonnensystem der Helden
erobern will. Und am Ende wird Luseferius auf ganzen zwei Seiten wie eine lästige Fliege weggewischt, weil die Dweller
schlechte Manieren bei einer Konferenz nicht mögen. Damit wären wir bei den Dwellern, einer Alienrasse, die schon seit
10 Milliarden Jahren das Weltall vom einen Ende bis zum anderen erforscht hat. Und der dabei so furchtbar langweilig
geworden ist, dass sie sich nur noch mit sich selbst beschäftigt. Die Sache mit diesen Dwellern ist nämlich, dass sie
unsterblich sind (technisch gesehen ist eine individuelle Lebensspanne von 2 Milliarden Jahren zwar nicht richtig unsterblich,
aber ich akzeptiere das mal als eine ganz passable Annäherung). Wenn man einmal die ganzen Unmöglichkeiten außer Acht lässt,
die mit der Unsterblichkeit einer ganzen Population entstehen (wo sollen die Wesen der Gegenwart eigentlich Platz finden,
wenn überall die Gestalten aus den letzten Milliarden Jahren rumlungern?), dann bleibt immer noch die Frage, wie man sich
eine Persönlichkeit vorstellen soll, die bereits 2 Milliarden Jahre lebt? Als Ursula LeGuin die Ökumene entwarf, hatte sie
schon Probleme sich eine Zivilisation vorzustellen, die mehr als eine Million Jahre existiert und einfach schon alles
ausprobiert hat. Wie soll das mit Faktor 1000 und einem Einzelwesen funktionieren? Und dann herrscht auch noch Überfluss,
der Existenzkampf ist für die Dweller lange vorbei. Denn sie können alles, wissen alles und brauchen nichts. Da jedes
erwachsene Dweller-Individuum über so viel Ressourcen verfügen kann, wie er/sie/es möchte, leben sie recht eigentlich
im Kommunismus. Von Marx‘ Utopie bleibt allerdings in Banks Version ein ganzer Gasplanet voller gelangweilter Aristokraten,
denen das Leben eine Art Themenparty ist. Und dann haben sie die Langsamzeit erfunden, um den Pöbel, der sonst noch das
Weltall bevölkert (ganz besonders die Menschen), auf Abstand zu halten. Wozu diese Langsamzeit sonst noch gut sein könnte
– außer vielleicht die Zeit bis zum Tod etwas zu verkürzen und sich so weniger langweilen zu müssen – bleibt offen. Die
Menschen entwickeln extra Spezialisten, die Seher, die diese Zeitverlangsamung beherrschen, um mehr über die rätselhaften
Dweller herauszufinden. Und solch ein Spezialist ist der Held des Romans. Er wird schön umständlich auf eine geheime Mission
zu den Dwellern geschickt, was ungefähr ein Drittel des Buches ausmacht. Im Rest des Buches spielt die Langsamzeit nicht
die geringste Rolle mehr, da können sogar stumpfe Sturmtruppen in direkte Interaktion mit den Dwellern gehen. Tatsächlich
hat Banks eine beeindruckende Fantasie, aber nicht die Geduld, um aus der Überfülle von Ideen eine konsistente Geschichte
zu weben. Und bei all seiner Fantasie klebt er an Schablonen. Die Dweller sind für ihn alle „männlich“, nur wenn sie alle
Jahrmillionen mal ein Kind gebären wollen, werden sie für die Dauer der Schwangerschaft „weiblich“. Das sind gleich zwei
Denkfehler auf einmal: Wenn alle Exemplare einer Spezies männlich sind, dann ist die Kategorie „männlich“ sinnlos, weil
diese Wesen eben nicht zweigeschlechtlich sind. Und wenn jedes Exemplar dieser Spezies das Gebären beherrscht, dann ist
die Schwangerschaft kein Geschlechtswechsel, sondern bloß eine weitere Expression ihrer Eingeschlechtlichkeit. Aber dass
„Männer“ Kinder kriegen, ist für diesen Autor nicht denkbar. Auch nach dem nunmehr dritten Buch von Iain Banks verstehe
ich nicht, warum dieser Autor so gefeiert wird. Die ausgeklügelten Sadismen, die zur Ausschmückung des Superschurkenbösen
aneinander gereiht werden, ändern nichts daran, dass dieser Luseferius eine Karikatur bleibt. Auch das Plotgerüst reicht
für nicht viel mehr als eine simple Quest: Der Held, der Seher Taak, muss den Dwellern eine sagenhafte Liste entlocken,
die den Weg zu einem geheimen Netzwerk von Wurmlöchern weist, von dem sich manche die Herrschaft über das Universum
versprechen. Und so hetzt er von Hinweis zu Hinweis, während so ziemlich alle Mächte des Universums ihn hetzen, und
trifft auf immer abstrusere Aliens, bis er sich am Ende einmal vollständig im Kreis gedreht hat. Unterwegs verliert er
seine Gefährtin, sein ganzer Seherclan wird ausgelöscht, aber der Held bleibt unberührt, er entwickelt sich nicht, er
hastet einfach nur von Szene zu Szene. Wenigstens die Story seiner heimlichen Geliebten, die ihn nur benutzt um irgendeine
Revolte voranzubringen, hätte etwas emotionale Tiefe hinzufügen können, verläppert aber im Ungefähren. Und dass Taak am
Ende dem Zorn der gottgleichen Dweller nach seiner Enthüllung ihres bestgehüteten Geheimnis mit einem derart simplen
Trick entkommen kann, beleidigt die Intelligenz der Leser*in.
Iain Banks
Der Algebraist
München 2009





Kann man lesen
© Heyne Verlag
Paperback nur noch antiquarisch, lieferbar als eBook (8,99 €)
798 Seiten
ISBN 978-3-453-52537-5 (original Paperback)
Der erste Satz (und der zweite)
„Dahlia ruht sich während der planmäßigen Pause auf dem Bett aus und sucht ihre Haare nach Spliss ab. Sie entdeckt ein beschädigtes
Haar, schürzt konzentriert die Lippen und reißt es entzwei.“
2024-06-04
Vor dem Hintergrund einer alles lähmenden Seuche – originelle Idee im Jahr 2020 (als das US-Original erschien) – entfaltet die Autorin
eine Szenario, wie es ist, wenn man nach dem Tod weiterleben kann als Erinnerungsspeicher in einem künstlichen Körper. Das Buch macht
die Setzung, dass ein Bewußtsein schlicht an den Erinnerungen dranklebt, und hält sich nicht mit technischen Details auf, nur ganz
selten wird mal erwähnt, dass so ein Companion Strom für die Akkus braucht. Companions heißen diese mit Erinnerungen versehenen Maschinen,
weil sie den zwangsweise in Qurantäne isolierten Menschen – siehe Stichwort: „Seuche, tödliche“ – Gesellschaft spenden. Eine ziemlich
unwahrscheinliche Nutzung von verewigtem Bewußtseinen, sie zu künstlichen Ammen zu machen. Allzuviel macht die Autorin auch nicht aus
dieser Bestimmung, nachdem die erste Companion erzählerisch eingeführt ist, macht sie sich auch schon selbstständig und bewegt sich
von da ab in der Illegalität. Tja, und dann verliert der Roman irgendwie das Interesse an ihr, führt andere Charaktere ein, die auf
die eine oder andere Weise als Kunstmenschen (Companions) enden, wie den Filmstar, der erst noch herausfinden muss, dass er von seinem
Filmstudio zu seinem eignen Double umgeformt wurde. Oder die Forscherin, die ihre eigene Kopie in einen Companion gesteckt hat.
Es gibt auch eine Liebesgeschichte, die aber wohl Anspruch auf den Titel „nebensächlichste Lovestory ever told“ erheben kann.
Irgendwann verliert man komplett den Plan, wovon der Roman eigentlich handelt und von welcher Menschmaschine gerade die Rede ist.
Außerdem entwickelt sich in der geschilderten Welt so ziemlich gar nichts, obwohl die Geschichte viele Jahrzehnte umspannen soll.
Die Menschen in der Geschichte altern, aber die Geselllschaft bleibt unbewegt. Es wird angedeutet, dass viele Menschen an der Seuche
sterben und dass das vielleicht die Überausbeutung des Planeten gestoppt hat – aber wen interessiert‘s? Die Autorin jedenfalls nicht.
Es werden Städte und Inseln überschwemmt oder auch nicht. Anfangs sind überall am Himmel Überwachungsdrohnen, erstaunlicherweise über
all die Jahrzehnte immer dasselbe Drohnenmodell I8. Mal scheinen sie einem totalitären Staats zu dienen, mal sind sie mehr Medienpaparazzi.
Aber all das führt nirgens hin. Die Gesellschaft dahinter bleibt unfassbar, nicht einmal eine Skizze. Es ist alles wie heute, Kapitalismus,
viel Armut und Vernachlässigung. Vielleicht ist Vernachlässigung das eigentliche Thema. Die Geschlechterbeziehungen sind uninteressant,
der Filmstar und die zuerst eingeführte Companion sind vermutlich irgendwann ein Paar, tauschen mal die Körper, aber mehr als ein Satz
„wir probieren mal eine neue Konfiguration“ ist das nicht wert. Am Ende weiß ich nicht recht, was ich mit diesem Roman anfangen soll.
Dass es sich um das Erstlingswerk einer Autorin handelt, die bis dato vor allem Kurzgeschichten verfasst hat, habe ich hinterher
gelesen. Das könnte erklären, warum einzelne Abschnitte mich wirklich ansprachen und ich gespannt gelesen habe, aber einfach kein
Roman entstand.
Katie M. Flynn
Companions.
Der letzte Morgen
München 2021





Kann man lesen
© Heyne Verlag
Paperback (15 €)
347 Seiten
ISBN 978-3-453-32067-3
Der erste Satz (und der zweite)
„Hey Hoper! Ich bring dich mal auf den neuesten Stand, nicht, dass du Wasteland vor lauter Bäumen nicht siehst.“
2024-05-14
Wenn man in letzter Sekunde vor dem Urlaub vom Grabbeltisch in der Stadtbibliothek eben noch einen Science Fiction Roman
greift (kenntlich an der leuchtend gelben Buchrückenmarkierung „Science Fiction“), kann es passieren, dass man einen zweiten
Band aus einer Romanserie erwischt, ohne es zu merken. Beziehungsweise man merkt es dann auf den ersten Seiten des Buches,
die mich die ganze Zeit so merkwürdig an das „was bisher geschah“-Intro in TV-Serien erinnerte. Bis ich verstanden habe, dass
die Kapitelüberschrift „Was in Wasteland geschah“ sich auf den Inhalt des ersten Bandes der Reihe namens Wasteland
bezieht. Hätte ich wohl zuerst lesen sollen. Habe ich aber nicht. Das Autorinnen-Duo hat sich zwar alle Mühe gegeben, auch
Neueinsteiger*innen wie mich mitzunehmen, aber einige Setzungen für den vorgegebenen Weltentwurf kapiert man erst so nach und nach.
Die Grundstruktur ist schlicht eine Quest in einer postapokalyptischen Katastrophenwelt: das Held*innen-Paar bricht samt Baby
auf, das Heilmittel gegen die tödlichen Seuche zu finden, überwindet unüberwindbare Hindernisse, erklärt die Vorzüge einer
positiven Weltsicht und retten die Welt. Die längste Strecke des Romans erinnert ziemlich an Beyond Thunderdome aus der Mad
Max-Trilogie mit einer menschenverachtenden Königin, die alle und alles dominiert. Nur wird hier der Sprit für die Maschinen
nicht aus Schweinescheiße, sondern aus Plastikmüll destilliert. Diese Königin stellt allerdings das konstituierende gesellschaftliche
Prinzip des Jahres 2064 infrage: die ewig fragile Balance von Sesshaften und Nomaden. Sie will dieses System durch eine reine
Sklavenwirtschaft ersetzen, die allerdings offenkundig nach dem Prinzip „Vernichtung durch Arbeit“ organisiert ist, da hier ein
faschistisches Neuer-Mensch-Projekt das eigentliche Ziel ist. Interessant ist, um auch mal was Gutes zu erwähnen, die Erweiterung
des Pärchens zu einem polyamourösen Trio, indem noch ein Transmann einsteigt, was zumindest dem Werwolfanteil in der weiblichen
Paarhälfte nicht auf Anhieb gefällt (ich vergaß zu erwähnen, dass es Werwölfe gibt, die natürlich viel stärker als Normalmenschen
sind und natürlich ist die Königin eine Werwölfin). Und, nunja, die neuste Mode des Jahres 2022, jede schriftliche Nachricht
mit einer Gebrauchtsanweisung zum Personalpronomen zu versehen, das bei einer Antwort zu benutzen ist, gilt offenbar auch im Jahr 2064.
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(2023-05-27 bis 2024-05-03)
Judith Vogt,
Christian Vogt
Laylayland
München 2022





Kann man lesen
© Plan9-Verlag
Paperback (18 €)
328 Seiten
ISBN 978-3-948700-77-5