Nationalismus in Kurdistan (1993)

4. Das 19. Jahrhundert

Emir Bedir Khan von Botan und seine Revolte

Über die ersten Jahre der Herrschaft Bedir Khans als erblichen Emir von Botan wurden bis jetzt nur wenige verläßliche Nachrichten zutage gefördert. Man weiß nur, daß nach dem Tode seines Vaters, Abullah Khan, zunächst ein Cousin, Seyfeddin, die Herrschaft übernahm, dieser jedoch wegen angeblich übergroßer Zuwendung zur sufi-Meditation und Mystik die Amtsgeschäfte vernachlässigte und abgesetzt wurde. Angeblich wegen ähnlicher Neigungen wurde auch ein älterer Bruder Bedir Khans in der Erbfolge übergangen.[1] Das Jahr 1821 wird allgemein als Datum der Thronbesteigung Bedir Khans angenommen. Ganz wie Mir-i Kora hatte er langwierige Kämpfe zu bestehen, bevor seine Hoheit wenigstens im nominellen Radius des Emirats Botan anerkannt wurde.[2] Wie weiter oben schon geschildert, hielt er seine Position während des osmanisch-russischen Krieges 1828-1829 offenbar bereits für so gefestigt, daß er das vom Sultan angeforderte Hilfskontingent an Soldaten, welches im Kriegsfalle zu stellen höchste Vasallenpflicht war, nicht entsandte. 1834 verteidigten seine Gefolgsleute das Emirat erfolgreich gegen die Invasionsarmee Mir-i Koras, 1836 unterlagen sie den osmanischen Truppen, und Bedir Khan erneuerte seine Unterwerfung unter den Sultan. 1838 beteiligte er sich an der Bestrafung seines fürstlichen Nachbarn Said Beys, 1839 nahm er am gescheiterten Feldzug der Osmanen gegen die Ägypter in Syrien teil.[3] Die größte Ausdehnung erreichte Bedir Khans Herrschaftsbereich um 1846; als seine wichtigsten „Verbündeten“ zu diesem Zeitpunkt werden Nurullah Bey, Emir von Hakkâri, Şerif Bey, Emir von Bitlis, und Khan Mahmud, Herrscher von eigenen Gnaden über ein beträchtliches Gebiet südlich des Van-Sees, genannt.[4]

Es scheint mir aber, daß es sich hier weniger um Bündnisse als um Beziehungen von Vasallität handelte, was sich u.a. daran zeigt, daß Bedir Khan die Herrschaft seiner Vasallen aktiv zu sichern trachtete. Der Emir von Hakkâri beispielsweise hatte als Nachfolger eines verstorbenen Bruders erhebliche Mühe gehabt, seine Autorität über alle ihm nominell untertanen Stämme zu behaupten. Die traditionelle Residenz der Emire, Çölemerik, blieb unter der Hoheit des Sohnes seines Vorgängers, Süleyman, der zudem Rückhalt bei der mächtigsten Stammesgruppe im Hakkâri-Emirat, den militanten Nestorianerstämmen[5] unter ihrem erblichen Patriarchen, dem Mar Shimun, hatte.[6] Um sich gegenüber dem Mar Shimun besser durchsetzen zu können, hatte Nurullah Bey sogar beim osmanischen vali von Erzurum um Pardon und um offizielle Bestätigung durch die Pforte nachgesucht.[7] Knapp ein Jahr danach ließ er die Residenz des Mar Shimuns von seinen Gefolgsleuten einäschern, eine Machtdemonstration, die den Patriarchen für einige Zeit zum Einlenken bewegte.[8]

Es ist wichtig festzuhalten, daß dies kein Kampf zwischen ausgebeuteten Christen und muslimischen Unterdrückern war, sondern ein politischer Machtkampf innerhalb des tribalen Kräftesystems des Hakkâri-Emirats, ein Kampf von Gleich gegen Gleich. Denn die nestorianische Bevölkerungsgruppe setzte sich genau wie die muslimische aus einer aşiret- und einer reaya-Schicht zusammen, und die tribal organisierten Nestorianer standen ihren muslimischen Standesgenossen an militärischer Potenz in nichts nach.[9] Es gab sogar eine beträchtliche Zahl muslimischer reaya, die in Abhängigkeit von nestorianischen Herren lebten.[10] Als Nurullah Bey sich auch an seinen mächtigen Nachbarn Bedir Khan um Unterstützung gegen die Nestorianer wandte, war dies das offene Eingeständnis, daß seine Machtbasis so zerrüttet war, daß er seinen Anspruch auf Oberhoheit mit eigenen Kräften nicht mehr durchsetzen konnte.[11] Indem Bedir Khan 1843 seine Stammestruppen gegen die Nestorianer von Hakkâri ins Feld schickte[12], betätigte er sich als Protektor Nurullah Beys, genau wie er zuvor dem entmachteten Emir von Badinan Unterstützung gewährt hatte, bei dessen (vergeblichem) Versuch, sein Emirat zurückzugewinnen.[13] Zugleich festigte Bedir Khan dabei seine Stellung im eigenen Haus, denn die „Züchtigung“ der Nestorianer war auch eine ausgezeichnete Gelegenheit, seinen Gefolgsleuten Beute und Ruhm zukommen zu lassen.[14]

Die außerordentliche Härte der Attacken, denen nach einer Schätzung 7 000, nach einer anderen sogar fast 10 000 Nestorianer zum Opfer fielen[15], mag allerdings zum Teil auch der tiefen Irritation unter den Muslimen geschuldet sein, welche die Anwesenheit und offene Agitation ausländischer Missionare unter den Nestorianern hatte aufkommen lassen. Das Wirken dieser nordamerikanischen und britischen Missionare wurde von ihnen als politische Einmischung der christlichen Großmächte in die eigenen Angelegenheiten begriffen und mobilisierte diffuse Ängste vor einer möglichen christlichen Dominanz.[16]

Die heutigen kurdischen Nationalisten haben mit diesen Vorfällen einige Probleme, betont man doch heute gern das gemeinsame Leiden und die Kampfgemeinschaft mit dem „assyrischen Brudervolk“, also den Nestorianern.[17] Man schiebt daher die Schuld für die Massaker ganz auf die Missionare, die als Spitzel der Pforte die Christen zu ihrem eigenen Schaden gegen den „nationalen Kampf“ Bedir Khans aufgehetzt hätten. In dieser Version erscheint der Schlag gegen die Nestorianer als bedauerliche, aber notwendige Polizeiaktion, um ‚Wehrkraftzersetzung und Subversion im Inneren‘ zu stoppen.[18] Der überwiegend tribale Aspekt des Konflikts wird dabei völlig ignoriert, während der religiöse sich in einen nationalen zu verwandeln scheint. Interessanterweise verzichtet man hier implizit auf die Fiktion vom „freiwilligen Bündnis“ und von der Selbständigkeit Nurullah Beys, denn schließlich war der Mar Shimun ihm und nicht Bedir Khan tributpflichtig. Wenn eine ‚provokative‘ Tributverweigerung ihm gegenüber unmittelbar Bedir Khans Vergeltung zur Folge haben ‚mußte‘, dann war Nurullah Bey nicht mehr als dessen Statthalter in Hakkâri.[19]

Was die anderen Verbündeten, Şerif Bey und Khan Mahmud, angeht, so ist über den ersteren fast gar nichts bekannt und das wenige spricht eher gegen ein Bündnis mit Bedir Khan.[20] Über die Verbindung Khan Mahmuds zu Bedir Khan gibt es hingegen reichlich Nachricht, sie scheint aber keineswegs immer von gemeinsamen Interessen geprägt gewesen zu sein. Schon 1838 mußte er sich zur Verteidigung gegen einen Angriff von Seiten des letzteren rüsten, sechs Jahre später (nach dem großen Angriff auf die Nestorianer) unterwarf Bedir Khan einen Bruder Khan Mahmuds gewaltsam und zwar jenen, dessen Residenz als die größte und stärkste Festung von allen galt.[21] Ein Wink, den auch Khan Mahmud nicht mißverstehen konnte. Ebenso sprechen die Berichte von Augenzeugen über den persönlichen Verkehr zwischen Bedir Khan und seinen „Verbündeten“ klar für ein Verhältnis von Herr und Vasallen.[22]

Ein weiteres Argument, das gegen eine ‚nationale‘ Interpretation Bedir Khans Bestrebungen spricht, ist die Tatsache, daß es deutliche Anzeichen dafür gibt, daß der Emir zu keinem Zeitpunkt seiner sogenannten „Rebellion“ die Hoheit des Sultans ernstlich angezweifelt hat; vielmehr bemühte er sich, selbst nachdem seine Macht gewaltig angewachsen war, seinem Status als Vasallen des Sultans wenigstens der Form nach gerecht zu werden.[23] Umkehrt schien die Pforte ihrerseits bemüht, unter allen Umständen einen friedlichen Interessensausgleich mit Bedir Khan zu bewerkstelligen. 1842 beispielsweise, als eine ernste Krise um die vom vali in Mosul angestrebte Gebietsreform ausbrach, die Bedir Khan um beträchtliche Revenuen gebracht hätte, entschied der Sultan auf Vermittlung des valis in Diyarbakır zugunsten Bedir Khans. Zur Beschwichtigung des erbosten Emirs wurde er sogar mit einem Ehrenschwert ausgezeichnet.[24] Und im Jahre 1844 wurde Bedir Khan von höchster Stelle dafür belobigt, bei der Bestrafung eines „räuberischen“ Stammes geholfen zu haben, der einen für Bagdad bestimmten Lebensmitteltransport geplündert hatte.[25] In das gleiche Jahr fällt die folgende, von einem nordamerikanischen Missionar berichtete Episode, die in diesem Zusammenhang charakteristisch ist:

„Sie werden schon zuvor gehört haben von der Unterredung Keimal Effendis, des türkischen Sonderbeauftragten, mit Bader Khan Bey, davon daß er Position zugunsten der Nestorianer bezog und von der darauffolgenden Freisetzung von über vierzig Gefangenen. Der Sonderbeauftragte tat dies, als er auf dem Weg von Konstantinopel hierher [der Autor schreibt aus Mosul, G.B.] war. Etwa zur gleichen Zeit erging Befehl von der Pforte an Bader Khan Bey, all seine Gefangenen freizugeben. Er gehorchte allerdings nur soweit, als hinlänglich war, um den Anschein von Gehorsam zu wahren — bei geringstmöglicher realer Befolgung des Befehls; d.h., er ließ ein paar Menschen frei, damit es so aussah, als komme er der Anordnung der Regierung nach, während er gleichzeitig den größeren Teil weiterhin in Gefangenschaft hält.“[26]

Der gleiche Geist spricht aus Bedir Khans zahlreichen Eingaben an die Pforte, in denen es vor Ergebenheitsfloskeln nur so wimmelt, die aber in der Sache durchaus von wohlverstandenem Eigennutz geprägt sind.[27]

Die Pforte ihrerseits schien es nicht übermäßig eilig zu haben, ihre staatliche Autorität in Bedir Khans Herrschaftsbereich gewaltsam durchzusetzen, wurde aber von den Großmächten massiv zu Strafmaßnahmen wegen der Massaker an den Nestorianern — als deren Schutzpatrone sich England und Frankreich aufwarfen — gedrängt.[28] Das ganze Jahr 1846 über schleppten sich die zögerlichen Vorbereitungen für eine militärische Strafexpedition hin, gleichzeitig wurde durch spezielle Regierungsemissäre intensiv mit dem ‚aufsässigen‘ Emir verhandelt. Anfang 1847 bot Bedir Khan im untertänigsten Ton — er hatte mittlerweile vom Aufmarsch einer starken Armee in Diyarbakır erfahren — an, für all seine Missetaten geradestehen zu wollen, denn „sofern ich tatsächlich unfreundliche Akte verübt habe, für die die gebührende Strafe zu akzeptierten ich klar bereit bin, und eventuell auch jetzt noch Fehler begehe, so doch nur weil ich in eingestandener Unkenntnis vorging.“ Weiter beteuert er demütig: „Und wenn ich tausend Leben hätte, ich gäbe sie alle freudig für meinen Großherrn hin.“[29] Allerdings geht aus Bedir Khans letztem Unterwerfungsangebot vom 19. April 1847 auch hervor, daß er sich mittlerweile ein wichtiges Prärogativ des Sultans angemaßt hatte: nämlich das Freitagsgebet (hutbe) in der Zentralmoschee in seinem Namen lesen zu lassen.[30] Woraus man deutlich erkennen kann, daß er bei aller Kompromißbereitschaft zielstrebig daran arbeitete, die eigene Machtstellung weiter auszubauen. Doch die osmanische Militärmaschine war — einmal angelaufen — nicht mehr zu stoppen. Im Juni 1847 kam es zur Entscheidungsschlacht, die mit einer Niederlage für den Emir endete. Bedir Khans Vasallen ließen ihn daraufhin sofort im Stich, und so mußte er am 29. Juli 1847 kapitulieren.[31] Im Oktober des gleichen Jahres wurde er unter höchst ehrenvollen Bedingungen nach Kreta verbannt.[32]

Die von Bedir Khans Nachfahren später in Umlauf gebrachte Geschichte von großartigen Schlachtensiegen und vom achtmonatigen heldenhaften Ausharren ihres Ahnen in seiner Bergzitadelle gegen eine erdrückende Übermacht darf getrost ins Reich der nationalistischen Mythenbildung verwiesen werden.[33] Ebenfalls unzutreffend ist die Behauptung, die ‚Alliierten‘ Bedir Khans hätten auch nach dessen Gefangennahme noch jahrelang weitergekämpft.[34] Was z.B. Nurullah Bey betrifft, so schrieb er selbst ein Jahr später in einer Petition an den Sultan:

„[...] als Osman Paşa gegen Bedir Khan Bey ins Feld geschickt wurde, leistete ich ihm Hilfe; indem ich mich samt meinen Soldaten dem Heer anschloß, war ich ihm eifrigst zu Diensten. In Anerkennung dieser meiner Dienste geruhte man Euerem Diener die Gunst der Ernennung zum Obertürhüter zu gewähren, und indem man mir ein Batallion Soldaten mitgab, wurde dafür gesorgt, daß ich den Schutz meiner Festung und meiner Orte gewährleisten konnte.“[35]

Er erhielt also außer einem Ehrentitel vor allem militärische Unterstützung bei der Durchsetzung seiner Machtposition gegenüber seinem weiter oben bereits erwähnten Rivalen und Neffen Süleyman Bey.[36]

Genau betrachtet unterscheidet sich Bedir Khans Revolte kaum von der anderer derebeys vor ihm: In einer Zeit der Schwäche der Zentralgewalt dehnte er seinen Herrschaftsradius aus und beanspruchte innerhalb dessen alleinige Autorität. Erfolgreiche Feld/Raubzüge mehrten die Zahl seiner Gefolgsleute, die erhöhte militärische Schlagkraft wiederum erlaubte es ihm, seinen Schiedsspruch zum einzigen Gesetz zu machen.[37] Die Konkurrenz von osmanischen kadis und Steuereintreibern konnte er dabei nicht dulden, nicht weil sie ‚fremdnational‘ gewesen wären, sondern weil sie seine fürstliche Machtbasis schmälerten — materiell die einen, ideell die anderen. Die Oberhoheit der Osmanlı als Großherrn hingegen war ihm so lange unproblematisch, als dadurch seine eigene Herrschaft nicht infrage gestellt wurde, im Gegenteil: Bedir Khan betonte auch auf dem Höhepunkt seiner Macht, daß er sich seinem Vasalleneid nach wie vor verpflichtet fühle.[38] Nichts deutet darauf hin, daß er oder Mir-i Kora „die Kurden“ oder „Kurdistan“ als eine präexistente Wesenseinheit aufgefaßt hätten, welcher allein schon durch das Faktum ihrer schieren Existenz ein Recht auf vollständige Freiheit von „Fremdbestimmung“ zugestanden hätte.[39] War Mir-i Koras Ziel ein universell vergrößertes Emirat Soran gewesen, so galt Bedir Khans Streben einem allumfassenden Emirat Botan. Beide waren sie von der Erschütterung des Reiches durch den Konflikt zwischen Muhammed Ali und Mahmud II. begünstigt worden, aber das mehrmalige Eingreifen der Europäer zugunsten des von ihnen erwünschten status quo verkürzte in beiden Fällen die ihnen verbleibende Zeitspanne zu sehr, als daß sie sich endgültig als Regionalherrscher hätten festsetzen können. Mit ihnen ging allerdings die ganze Ära der fürstlichen „kurdischen“ Sonderrechte ihrem Ende zu. Nach der Eroberung von Bitlis (1849) erlosch mit dem Emirat Baban (1850) die letzte der großen alten Dynastien.[40]

Mitte des Jahrhunderts hatte die Pforte also ihr Hauptziel weitestgehend erreicht, die meisten Provinzen unterstanden wieder dem direkten Zugriff der Zentralgewalt, und kein von ihr bestellter vali mußte mehr zittern, ob es den ihm mitgegebenen Truppen wohl auch gelingen möge, seinen Vorgänger gewaltsam aus dem Amt zu vertreiben. Selbst die über ein Jahrzehnt schwelende „ägyptische Krise“ war mit Hilfe europäischen Drucks in einer Weise bereinigt worden, die eine erneute Bedrohung der Souveränität des Sultans aus diesem Teil seines Reiches unmöglich machte. Aber eigentlich war die Beseitigung der übermächtigen Provinzherren nur als erster Schritt im Rahmen der „heilsamen Neuordnung“, der tanzimat, geplant gewesen, und gerade beim zweiten Schritt, der Gewährleistung einer regulären, zentral kontrollierten Verwaltung, Steuererhebung und Rechtssprechung auch in den entfernteren Provinzen, versagte die Pforte — zumindest was Kurdistan betrifft — auf ganzer Linie.

„Die Schwäche der türkischen Regierung können die Erfolge des Mohammed Pascha von Mosul nur auf kurze Zeit bemänteln. Man legt den Häuptlingen Tribut auf, treibt in den Gränzbezirken [sic] einige Rekruten ein und hält dazu einen oder zwei Plätze — wie Basch Kalah und Dschulamerk — und ich glaube auch Amadia — mit Truppen besetzt. — Inzwischen warten die Häuptlinge im Inneren, wo sie wie vorher unbekümmert um den Sultan und seinen Tansimat schalten und walten [...] die Zeit ab, da günstigere Umstände, etwa ein Angriff auf die Türkei von Rußland oder Persien her [...], das leichte Joch abzuschütteln erlauben mögen.“[41]

Nur zu bald hatte die Pforte erfahren müssen, daß sich an den Umständen, welche die Sultane vergangener Jahrhunderte dazu bewogen hatten, ihre überlegene Militärgewalt nicht zur Zerschlagung der aufsässigen lokalen Herrschaften in Kurdistan zu benutzen, nichts geändert hatte. Auch nachdem alle größeren Orte wie Cizre, Sulaymaniya, Bitlis, Amadiya oder Çölemerik von osmanischen Truppen besetzt waren[42], reichte die Macht ihrer Statthalter außerhalb der Mauern dieser Garnisonsstädte kaum weiter als bis zum jeweiligen Standort ihrer Armee.[43]

Das entscheidende Problem war, daß das Reich unverändert stark genug geblieben war, um für einmalige Schläge eine erdrückende Übermacht zu versammeln, es jedoch für eine dauerhafte Beherrschung Kurdistans an Kräften fehlte. Folglich stellte sich alsbald die alte Kräftebalance zwischen den eingesessenen Herren in der Provinz und der Zentralgewalt auf etwas niedrigerem Niveau wieder ein. Nunmehr arbeiteten statt Sultan und erblichen Emiren eben regionale Statthalter mit lokalen ağas und Stammeschefs zusammen.[44] So hatte Kurdistan allerdings zwei Herren und die Untertanen wurden doppelt besteuert: von der osmanischen Zentralgewalt nämlich, die in jährlichen, feldzugartigen Kampagnen die staatlich festgelegten Steuern (und mehr) eintrieb, und von den alteingesessenen ağas, die gar nicht daran dachten, auf den ihnen nach Gewohnheitsrecht zustehenden Tribut zu verzichten.[45] Der daraus resultierende wirtschaftliche Niedergang wurde weiter dadurch beschleunigt, daß die neuen osmanischen Statthalter weder über die gewachsene Autorität altehrwürdiger Dynastien noch über die materielle Macht verfügten, um im Falle schwerwiegender tribaler Konflikte die Funktion der abgesetzten Emire als übergeordnete Schlichtungs- und Entscheidungsinstanz übernehmen zu können.[46]

Als Konsequenz zerbrach die fragile Kräftebalance der kurdischen Gesellschaft in einem schier unentrinnbaren Strudel allseitiger Konflikte. Die großen Konförderationen der alten Emirate lösten sich auf in einander permanent bekämpfende und befehdende Stämme und Stammesabsplitterungen.[47] Die Allianz der osmanischen Statthalter mit einzelnen lokalen ağas verschlimmerte die Krise nur noch: ohne diese Zusammenarbeit konnten sie im Umland ihrer Residenzen nicht einmal die minimalste Ordnung aufrechterhalten; gleichzeitig trieb aber gerade diese Allianz die tribalen Rivalen der protegierten ağas zur offenen Rebellion gegen den Staat. Die periodischen Strafexpeditionen größerer Truppeneinheiten hatten dabei keinerlei bleibende Wirkung, und die öffentliche Sicherheit brach schlicht zusammen.[48]

Während die Reform- und Rezentralisierungsanstrengungen der Pforte in den osmanischen Kernlanden vor allem durch die ökonomische Schwäche der Zentralgewalt teilweise bis zum Stillstand gebremst wurden, aber trotzdem allmählich zu Veränderungen im Sinne der Pforte führten, wirkten sie im gänzlich anders gearteten Kontext der kurdischen Gesellschaft offenbar bloß destruktiv. Als Reaktion auf die Unfähigkeit der osmanischen Zentralgewalt, das von ihr selbst angerichtete Chaos in der östlichen Peripherie zu stoppen, erwuchs hier schließlich durch ‚Mutation‘ einer jahrhundertealten spirituell-sozialen Institution, den sheikhs, eine neue einheimische Machtelite, die die Gestalt der kurdischen Gesellschaft während der hundert Jahre zwischen 1850 und 1950 nachhaltig prägen sollten. Dem Aufstieg dieser neuen Schlüsselfiguren muß das Augenmerk daher als nächstes gelten.


Der Aufstieg der sheikhs in der kurdischen Gesellschaft

Als sheikh bezeichnet man in Kurdistan von alters her jene spirituellen Führer, die sich durch asketische Lebensführung, Weisheit (einschließlich heilpraktischer Kenntnisse) und Vertiefung in mystisch-religiöse Lehren einen Ruf als heilige und verehrungswürdige Persönlichkeiten erworben haben.[49] Man darf sich diese sheikhs dabei nicht als entrückte ‚Säulenheilige‘ vorstellen. Sie schossen, ritten und kämpften wie jeder andere Stammeskrieger, und etliche von ihnen erwarben sich auch einen großen Ruf als militärische Führer. Im übrigen verschmähten sie auch weltlichen Reichtum nicht, denn ein großer Teil ihres Prestiges beruhte darauf, daß sie ihre Gefolgsleute und andere Gäste häufig großzügig bewirteten und im Falle der Not gelegentlich mit materieller Hilfe (z.B. Saatgut) beiseite standen.[50] Umgekehrt brachten ihre Anhänger bei jedem Besuch kleine (oder sofern sie reich waren große) Geschenke mit.[51] Landschenkungen wurden offenbar recht häufig vorgenommen.[52]

Diese materiellen Beziehungen waren jedoch von kapitalistischen Warentauschgesetzen weit entfernt, denn der Gastgeschenke darbietende Besucher eines sheikhs ‚bezahlte‘ diesem nicht etwa ein ‚Äquivalent‘ für eine empfangene ‚Dienstleistung‘, sondern er bestätigte damit dessen sozialen Status. Umgekehrt wäre die bloße Akkumulation von Gaben als Selbstzweck — etwa im Sinne einer „Schatzbildung“ — ohne die gleichzeitige Bereitschaft zur demonstrativen Verschwendung, wie z.B. die überreichliche Bewirtung Hunderter von Gästen an besonderen Feiertagen, für den sheikh einem sozialen Selbstmord gleichgekommen.[53] Die folgende Beobachtung, die der Anthropologe Leach im tribalen Milieu Irakisch-Kurdistans machte, zeigt, daß dieser soziale Mechanismus selbst in den 30er Jahren dieses Jahrhunderts ungebrochen in Kraft war:

„Je ausufernder die Gastfreundlichkeit des Aghas, desto höher steigt er in der Wertschätzung seiner Gefolgsleute; dies gilt in solchem Maße, daß das einem Mann dank seiner Qualität als guter und freigebiger Gastgeber zustehende Prestige auf der Ebene der Ehre Handicaps aufgrund geringer Geburt vollständig aufzuwiegen vermag. Hamid Amin Agha aus Naupurdan beispielsweise genoß trotz Armut und nur recht schwacher verwandtschaftlicher Nähe zum herrschenden Chef des Klans ein unglaubliches Ansehen im ganzen Distrikt — allein aufgrund seiner Gastfreundschaft. Überall konnte man hören, daß er viel mehr Ehre im Leib habe [...] als sein nomineller Herr, Sheikh Mohammad Agha von Walosh [...] Sheikh Mohammad sei geizig und ein altes Weib [...] Die gesellschaftliche Struktur ist derart gestaltet, daß diese Art des Ansehens höher als alle anderen geschätzt wird.“[54]

In dieser vorbürgerlichen Sozialwelt erlangte man Macht weniger durch Anhäufung von Besitz als durch exzessive Verausgabung von Gütern — mit dem dadurch erhöhten sozialen Status konnte man allerdings unter bestimmten Umständen um so mehr Leistungen und Abgaben einfordern[55] —, weil Reichtum letztlich als eine abgeleitete Funktion des Status erschien.

Teilweise vermochte sich das besondere Prestige eines sheikhs auf seine Nachkommen zu vererben. Sofern diese jedoch nicht selbst den entsprechenden Lebenswandel an den Tag legten, verflachte die aktive Verehrung rasch zu einem diffusen Respekt. Sheikh war (und ist) daher ein Titel, der vorwiegend durch praktischen Lebenswandel errungen und behauptet werden mußte und nicht wie ein Amt von irgend jemand verliehen werden konnte.[56] Wer allerdings als Lehrmeister eines der bestehenden sufi-Orden akzeptiert sein wollte, bedurfte der Einführung und Lossprechung durch einen etablierten sheikh der betreffenden Gruppierung. Daneben sind aber auch Einzelgänger ohne jede Verbindung zu einem bestimmten Orden zu weithin akzeptierten sheikhs aufgestiegen. Von diesen vermochte jedoch keiner seinen Einfluß dauerhaft auf Nachfolger zu übertragen.[57] Im Gefolge der sufi-Orden hingegen entstanden regelrechte sheikh-Dynastien, in denen Prestige und Einfluß in gewisser Weise akkumulierbar gewesen zu sein scheinen.[58] So waren die einflußreichsten sheikhs in Kurdistan allesamt entweder Mitglieder der „Kadiriye“ oder der „Nakşbendî“, jener beiden Orden, welche allein — aus der Vielzahl der sufi-Gemeinschaften im ganzen islamischen Raum — in Kurdistan zu größerer Bedeutung gelangten.[59]

Die sufis boten ihren Anhängern im Vergleich zur rationalen und eher äußerlichen Ritual-Theologie der sunnitischen ulema eine sinnlich erfahrbare und popularisierte Glaubensvariante, die den immer noch stark vorislamisch, schamanistisch geprägten Glaubensbedürfnissen der breiten Mehrheit der Bergbewohner mehr entgegenkam.[60] Besonders das Moment der persönlichen Verehrung und unbedingten Gefolgschaft der sufi-Schüler für ihren sheikh, die bisweilen selbst die Grenzen zur Vergöttlichung überschreiten konnte, wurde allgemein angenommen.[61] In jedem Fall wurde den sheikhs ein mehr oder minder direkter Kontakt zum Allmächtigen zugeschrieben. Nach einer weit verbreiteten bildhaften Vorstellung durfte der gehorsame Anhänger eines sheikhs darauf hoffen, nach dem Tode von seinem Meister in einer Tasche sicher durch die göttliche Prüfung ins Paradies gebracht zu werden.[62] So etwas propagierten die sheikhs allerdings nicht selbst. Die „inneren Mysterien“ der Nakşbendî beispielsweise waren eher orthodox und auch von der sunnitischen ulema anerkannt.[63] Das hinderte ihre Anhänger nicht daran, sie als wundertätige Magier und Heilige zu verehren, und die sheikhs unternahmen auch nichts dagegen, da solch eine Reputation der Entfaltung ihres Einfluß' nur dienlich sein konnte.[64] Die Erstellung wundertätiger Amulette und Briefchen, z.B. zum Schutz vor Verletzung durch Gewehrkugeln, gehörte dabei durchaus zu den akzeptablen Betätigungen eines seriösen sheikhs.

Natürlich hatte ein sheikh auch ganz irdische Funktionen, denn sein Rat wurde in allen wichtigen Entscheidungen (Heirat, weite Reisen, Krankheit) eingeholt, vor allem aber trat er als Schlichter bei schwerwiegenden Konflikten auf.[65] Je größer das Prestige des sheikhs, desto eher fanden die beiden Streitparteien sich bereit, seinen Schiedsspruch zu akzeptieren. Umgekehrt erhöhte jeder geschlichtete Streitfall das Prestige des erfolgreichen Schlichters. Die Funktion des obersten Schlichters war in der Vergangenheit jedoch eindeutig von den Emiren aus den großen Dynastien wie Baban, Soran oder Botan besetzt, und solange diese Herrscherhäuser noch existierten, wurden den sheikhs nur weniger bedeutsame Streitigkeiten vorgetragen. Die Schlichtung eines gewichtigen Konflikts, beispielsweise zwischen den Chefs zweier großer Stämme, wäre nämlich einer Herausforderung der Souveränität des Emirs gleichgekommen, denn durch die Unterwerfung unter seinen Schiedsspruch hätten die Konfliktparteien den Status des Schlichters als über dem ihren stehend hingenommen und den sheikh dadurch mehr oder weniger als Herrn akzeptiert.[66] Zudem qualifizierten sich die Emire, abgesehen von ihrem Prestige, zusätzlich durch die ihnen zu Gebote stehende, überlegene Streitmacht für das Amt des obersten Richters: eine Streitpartei, die einem fürstlichen Schlichtungsspruch zu trotzen wagte, mußte mit einer vernichtenden Strafexpedition rechnen.[67]

Die Beseitigung der mehr oder weniger unabhängigen Herrschaften in den Bergen Kurdistans und der Aufstieg der sheikhs von lokal verehrten weisen Männern zu überregionalen Machthabern gehören daher ursächlich zusammen. Die sheikhs standen als einzige weit genug außerhalb der Stammesorganisation, um nicht selbst automatisch Partei werden zu müssen in jenem Strudel ungebändigter segmentärer Konflikte, in welchem die gesellschaftlich dominante Schicht der Stammesleute nach dem Verschwinden der Emiratsstrukturen unterzugehen drohte. Gleichzeitig waren sie akzeptierter Teil des Systems — anders als die osmanischen Statthalter, deren offizielle Herrschaft das Chaos nur noch verschlimmerte — und konnten durch geschickte politische Allianzen und Heiraten die militärisch potenten Stämme an sich binden und so allmählich wieder eine gewisse gesellschaftliche Stabilität etablieren.[68] Auf diese Weise hatten sich binnen weniger Jahrzehnte die drei großen sheikh-Dynastien der Şamdinan, Barzan und Barzinci zu den eigentlichen Herren Kurdistans aufgeschwungen.[69]

Dieser Prozeß wurde beschleunigt durch den gänzlichen Zusammenbruch der staatlichen Autorität in den östlichen Provinzen des Reiches während des sogenannten „Krimkrieges“ (1853-1856) und das dadurch bedingte Chaos. All jene Potentaten, die sich früher in ihrem Einflußgebiet einer autonomen Herrschaft erfreut hatten, beeilten sich, von der neuerlichen Schwäche der Pforte zu profitieren. So versuchte sich auch ein Neffe Bedir Khans, İzzeddin Şir, an der Wiedererrichtung des zerschlagenen Emirats von Botan.

Seinerzeit durch frühzeitigen Frontwechsel dem Schicksal des Onkels entgangen und sogar mit einem Gouverneursposten belohnt, war er einige Zeit vor dem Krieg in Ungnade gefallen und seines Posten wieder enthoben worden.[70] Erst bei Kriegsausbruch besann man sich eines anderen und gab ihm den Auftrag, eine Truppe von einigen tausend irregulären Reitern aufzustellen.[71] İzzeddin Şir lagerte mit den ersten 1 500 Freiwilligen in der Nähe Cizres, als sich herausstellte, daß der versprochene Sold für seine Leute veruntreut worden war.[72] Daraufhin bemächtigte sich İzzedin Şir an der Spitze seiner düpierten Truppe der Stadt und ließ sich dort selbst zum Herrscher ausrufen.[73] Ein Vorstoß der Rebellen auf Zakho wurden zunächst abgeschlagen, doch Siirt konnte praktisch kampflos eingenommen werden. Mitte Dezember 1854 schließlich beherrschte İzzeddin Şir unangefochten Siirt, Cizre und Zakho.[74] Die Pforte brauchte mehrere Monate, um der Sache Herr zu werden, zumal die Rücksichtslosigkeit, mit welcher die im Frühjahr 1855 herbeigezogene, größere Armee unter Ferik Mehmet Paşa auch in unbeteiligten Gebieten zu Werke ging, diese ebenfalls zur Rebellion trieb.[75] Im Juni 1855 kam es zur Entscheidungsschlacht, die mit einer Niederlage der Rebellen endete. İzzeddin Şir gab Cizre daraufhin preis, verschanzte sich in einer Bergfestung und nahm Verhandlungen mit Mehmet Paşa auf. Da er aber den Garantien des osmanischen paşas nicht trauen wollte, flüchtete sich İzzeddin Şir schließlich nach Mosul und unterstellte sich dem Schutz des dortigen britischen Vize-Konsuls Rassam, der ihm tatsächlich solange Asyl gewährte, bis eine vergleichsweise glimpfliche Strafe (Verbannung nach Vidin) mit der Pforte ausgehandelt war.[76]

Es wird wohl hauptsächlich an der verwandtschaftlichen Verbindung İzzeddin Şirs zu Bedir Khan liegen, daß diese Revolte in der einschlägigen Literatur besonders hervorgehoben wird.[77] Tatsächlich gab es während des Krimkrieges (besonders nach dem Fall Kars') etliche solcher Versuche, lokaler oder regionaler Art, die Kontrolle der Zentralgewalt wieder abzuschütteln. Ein Aufstand unter einem gewissen Mohammed Ağa führte z.B. zur Eroberung von Başkale, woraufhin für einige Zeit ein neuer Emir für Hakkâri ausgerufen wurde.[78] Der nordamerikanische Missionar Samuel Rhea schrieb im Februar 1856 aus Mosul:

„Die Kapitulation von Kars hat zweifelsohne diesem gesetzlosen Treiben Vorschub geleistet. Man hat gegenwärtig in den Bergen wohl allgemein den Eindruck, daß die Türken am Ende sind; und da die Engländer und Russen zu weit weg und überhaupt zu sehr mit anderem beschäftigt sind, als daß sie um den Schutz der christlichen Bevölkerung kümmern würden, glauben die Kurden, sie könnten nach Belieben rauben und plündern. Ihr Motto ist zur Zeit: ‚Laßt uns essen und trinken, denn morgen werden wir sterben.“[79]

Der Krimkrieg allerdings ist — als ein Wendepunkt in der osmanischen Geschichte — von zu großer Bedeutung, als daß er hier nur als ‚Hintergrund‘ diverser Aufstände abgehandelt werden könnte.


Der Krimkrieg und seine Folgen

Der Krimkrieg, in welchem die Osmanen an der Seite der Briten, Franzosen und zuletzt auch der Sarden (Königreich Sardinien-Piemont) gegen das Russische Reich kämpften und ‚siegten‘, bedeutete für die westlich-kapitalistische Penetration des Osmanischen Reiches den endgültigen Durchbruch, vor allem verwandelte er Istanbul in einer Art Radikalkur von einem Zentrum des Islams zu einer europäischen Hauptstadt. Noch 1833, als Istanbul durch den unaufhaltsamen Vorstoß der Armeen Muhammed Alis unmittelbar bedroht zu sein schien, hatte ein russisches Expeditionskorps, das in Erfüllung eines Beistandsversprechens nahe der Hauptstadt gelandet war, wegen der allgemeinen Empörung über das Auftauchen bewaffneter Ungläubiger im „Haus des Islams“ unverrichteter Dinge wieder abziehen müssen.[80] Während der Kriegsjahre 1854 bis 1856 nun wurden ganze Stadtteile Istanbuls von französischen, englischen und sardischen Truppen, Generalstäben, Lazaretten und Materialdepots in Beschlag genommen.[81] Zu Zehntausenden bevölkerten uniformierte Europäer die Straßen und benahmen sich daselbst wie Herren in einem eroberten Land.[82]

Man darf dabei nicht aus den Augen verlieren, daß der Konflikt ursprünglich ein russisch-osmanischer gewesen war, denn der unmittelbare Anlaß für den Ausbruch der Kämpfe im Jahre 1853 war das unablässige Drängen des Russischen Reiches auf eine privilegierte Sonderstellung für alle orthodoxen Christen im Osmanischen Reich, die durch ein direktes Kontrollrecht des Zaren zu garantieren sei. Ein Begehren, das um so offenkundiger auf die endgültige Demontage des Reiches abzielte, als Zar Nikolaus I. es durch die Besetzung der Donaufürstentümer Wallachei und Moldau — als eine Art ‚Faustpfand‘ — meinte durchsetzen zu können.[83] Die Pforte nahm dies jedoch als casus belli; die Regierungen Frankreichs und Großbritanniens, ihrerseits in innenpolitischen Nöten, blockierten durch verbale anti-russische Kraftakte eine diplomatische Lösung, und so geriet Europa in einen der blutigsten Kriege des 19. Jahrhunderts.[84]

Dabei wäre ein Ende der Kämpfe bereits nach knapp einem halben Jahr möglich gewesen, die russischen Truppen kamen nämlich aufgrund des hartnäckigen osmanischen Widerstandes weder auf dem Balkan noch im Kaukasus voran, weshalb die Petersburger Führung den österreichischen Vorschlag annahm, die Donaufürstentümer an Habsburger Interimstruppen zu übergeben und erneut mit der Pforte zu verhandeln. Im Juli 1854 war so der status quo ante fast wiederhergestellt. Die Entscheidung, trotzdem in einem gemeinsamen Vorstoß über das Schwarze Meer den russischen Kriegshafen Sewastopol auf der Krim zu zerstören, diente in dieser Situation allein dazu, den tatenlos in der Etappe wartenden französischen und britischen Expeditionstruppen einen siegreichen Abgang zu verschaffen und so den unnützen, aber kostspieligen Truppenaufmarsch durch eine eindrucksvolle Demütigung Rußlands doch noch zu ‚rechtfertigen‘.[85]

Die Osmanen hatten bei diesem Prestigeunternehmen nichts zu gewinnen; während Zehntausende osmanischer Soldaten sinnlos auf der Krim verbluteten und das Reich insgesamt durch die Belastung der Verproviantierung der riesigen alliierten Armee an den Rand einer Hungerkatastrophe geriet[86], gewährten die westlichen Alliierten kaum Unterstützung an der Kaukasusfront, wo die russischen Truppen auf Dauer die Oberhand gewannen und letztlich sogar Kars erobern konnten.[87] Obendrein hatte sich die Pforte, die vor 1854 noch nie eine Anleihe im Ausland aufgenommen hatte, bei westeuropäischen Banken so stark verschuldet, daß die Begleichung der kriegsbedingten Auslandsverbindlichkeiten eins der größten fiskalischen Probleme der folgenden Jahrzehnte wurde. Tatsächlich vergingen zwischen der ersten Auslandsanleihe und dem Staatsbankrott gerade einmal zwanzig Jahre, in denen laufend neue Kredite aufgenommen werden mußten, anfänglich noch zur Tilgung älterer Anleihen, später allein schon, um den Zinsdienst aufrechtzuerhalten.[88]

Auf dem Papier allerdings hatte das Osmanische Reich mit dem Friedensschluß von Paris, der den Krimkrieg formell beendete, erhebliche Erfolge zu verzeichnen. Nicht nur mußte Rußland alles besetzte Territorium (vor allem Kars) räumen und seine Schwarzmeerflotte abwracken, sondern die territoriale Integrität des Reiches in seinen damaligen Grenzen wurde von allen unterzeichnenden Mächten[89] als unverletzlich anerkannt; gleichzeitig verpflichteten sie sich dazu, sich fürderhin jeder Einmischung in die Beziehungen des Sultans zu seinen Untertanen zu enthalten.[90] Im Gegenzug hatte der Sultan jedoch in einem neuen Reformedikt (Islahat Fermanı), dessen Text ihm Satz für Satz von den Botschaftern Großbritanniens, Frankreichs und Österreich-Ungarns diktiert worden war, die vollständige rechtliche Gleichstellung all seiner Untertanen ungeachtet ihrer Religion feierlich versprechen müssen.[91] In diesem Edikt wurden — anders als im Hatt-ı Şerif von 1839 — die zukünftigen Rechte der Christen im Reiche genau spezifiziert, insbesondere sollten ihnen sämtliche Staatsämter und auch der Militärdienst offenstehen.[92] Und während die Nichteinmischung der Großmächte in die inneren Angelegenheiten des Reiches ein leeres Versprechen blieb — so landete z.B. keine fünf Jahre nach Vertragsunterzeichnung eine französische Expeditionstruppe im Libanon —, wurde die Pforte immer wieder zur Erfüllung der notgedrungen versprochenen, tatsächlich aber kaum zu realisierenden Emanzipation der Christen angehalten.[93] Letztlich hatte der ungeheuere Preis an Kriegsopfern — von der langfristigen Zerrüttung der Staatsfinanzen einmal ganz abgesehen — kaum mehr bewirkt, als eine Ablösung der permanenten Drangsalierung seitens Rußlands durch eine nicht minder dreiste Drangsalierung durch alle Großmächte zusammen.

Die Erringung vorläufiger Ruhe an den äußeren Grenzen war der einzige positive Aspekt für die Regierung, die sich nun stärker auf ihre eigenes Reformprogramm (tanzimat) konzentrieren konnte. War diese tanzimat ursprünglich auch kaum mehr gewesen als ein Versuch, die verkrustete osmanische Zentralbürokratie etwas effektiver zu machen, so entwickelte sie doch allmählich eine solche Eigendynamik, daß die Reformbestrebungen sich über den traditionellen Horizont des Apparates hinaus auszubreiten begannen. Wichtigster Katalysator hierfür waren die schon in der Frühphase der tanzimat errichteten Militär-, Verwaltungs- und Medizinfachschulen, die — mit westlichem Lehrpersonal und -material bestückt — eine neue Generation von Funktionären heranzogen. Die Absolventen dieser Schulen sowie die auslandserfahrenen Mitarbeiter der 1834 wieder eröffneten diplomatischen Vertretungen in den europäischen Hauptstädten bildeten den Kern einer neuen Machtelite, die nach 1856 ernsthafte Anstrengungen unternahm, die Reichweite der staatlichen Kontrolle auszudehnen.[94]

Wichtige Etappen hierbei waren auf der institutionellen Ebene das Landgesetz (1858), das Nationalitätengesetz (1869), der Start eines breiteren Bildungssystems im selben Jahr und die Ausarbeitung eines ‚Bürgerlichen Gesetzbuches‘ (1869-1876), das die Grundlage eines von der ulema losgelösten, rein staatlichen Rechtswesens bilden sollte.[95] In infrastruktureller Hinsicht ist vor allem der rasche Ausbau jener ersten Telegraphenlinien zwischen Istanbul und Bukarest bzw. Belgrad, welche die abziehenden britischen und französischen Truppen den Osmanen hinterlassen hatten, von Bedeutung.[96] Nach nur knapp einem Jahrzehnt erfaßte das osmanische Telegraphennetz bereits alle wesentlichen Provinzzentren, Bagdad beispielsweise wurde schon 1861 direkt mit Istanbul verbunden.[97] Da die Postlinie nach Bagdad über Mosul, Cizre und Diyarbakır verlief, stand nun auch die Verwaltung Kurdistans unter unmittelbarer Kontrolle der Zentrale, denn der durch die Telegraphie gewährleistete, fast verzögerungsfreie Informationsaustausch bedeutete vor allem einen direkteren Zugriff der zentralen Bürokratie auf ihre Stellvertreter in diesen entlegenen Winkeln des Reiches.[98]

Welche Veränderungen sich daraus ergaben, mag die folgende Gegenüberstellung verdeutlichen: Als sich im Jahre 1847 Emir Bedir Khan seinen osmanischen Belagerern ergeben wollte, verhandelte er allein mit Osman Paşa, dem obersten Militärkommandanten vor Ort. Dieser gewährte ihm — trotz aller blutigen Kämpfe — exakt dieselben, überaus günstigen Übergabebedingungen, welche die Pforte im Vorfeld der Auseinandersetzung Emir Bedir Khan für den Fall einer kampflosen Kapitulation offeriert hatte.[99] In Istanbul erfuhr man hiervon erst, als der gefangene Emir sich bereits mit den Garantien des paşas auf dem Weg dorthin befand. Und obwohl man es in Palastkreisen als sicher annahm, daß sich Osman Paşa seine ‚Milde‘ gut hatte bezahlen lassen, wurden seine Versprechungen erfüllt.[100] 1878/9 hingegen mischte sich der Sultan via Telegraph direkt in einen Konflikt mit einem rebellischen Nachkommen Emir Bedir Khans ein: Diesmal war er es, der — zur Verärgerung des verantwortlichen paşas vor Ort — Amnestie und sogar Belohnung versprach, falls der Empörer sich ergeben wolle.[101] Die Gouverneure trauten sich bald nicht mehr, Entscheidungen von größerer Reichweite ohne Rückfrage in Istanbul selbst zu treffen.[102] Mit der Zeit begriffen allerdings auch die einheimischen Machteliten in Kurdistan ihrerseits die Bedeutung dieser Direktverbindung, und gegen Ende des 19. Jahrhunderts waren telegraphische Appelle und Proteste zu einem geläufigen Politikmittel geworden. Ein frühes Beispiel für solch eine Direktintervention in Istanbul berichtet Rassam im Jahre 1877 aus Siirt, wo das Vorhaben der örtlichen chaldäisch-christlichen Gemeinde, eine neue Kirche zu errichten, die Gemüter der Muslime erregte:

„Wie es scheint, war die notwendige Summe für den Bau eines neuen Gotteshauses in einem anderen Stadtteil durch Kollekten zusammen gekommen, doch die Muslime hatten seine Errichtung verhindert. Kaum hatten die Chaldäer ihre amtliche Erlaubnis erwirkt und Baumaterial zusammengetragen, telegraphierten der kadı und andere Fanatiker nach Konstantinopel, um gegen den Bau zu protestieren [...]“[103]


Das Landgesetz von 1858

Kein anderer einzelner Aspekt der tanzimat sollte die kurdische Gesellschaft langfristig so nachhaltig beeinflussen wie das 1858 verkündete Gesetz über die Neuordnung des Landbesitzes, das die Neuregistrierung des gesamten Landes vorschrieb und darauf abzielte, das urbare Land der Verfügungsgewalt der sheikhs, Stammes-ağas, ehemaligen Steuerpächter, ayan und aller anderen selbsternannten Grundherren zu entziehen und es jenen als staatlich garantierten Besitz zuzuweisen, die es nachweislich bearbeiteten.1[104]

„Wesentlichster Punkt war die Einführung des ›Tapu‹, eines Rechtstitels [...] der Bauer [hatte] lediglich zur Kreisbehörde zu gehen, anzugeben, welches Land in seinem unbestrittenen Besitz war, und eine bestimmte Gebühr zu bezahlen. Sein Land wurde damit ›Tapulu Arazi‹, ›Land mit Besitztitel‹, für das er zwar Steuern zahlen mußte, das er aber auch jetzt verkaufen, vererben und beleihen konnte. Der Titel entsprach also nahezu dem des Eigentums, lediglich die Bedingung permanenter Bebauung war an die Übertragung geknüpft.“[105]

Insbesondere jene Passage des Gesetzes, welche ausdrücklich verbot, ganze Dorfeinheiten auf eine Person einzutragen oder Land als Kollektivbesitz anzuerkennen, zeigt deutlich die ursprüngliche Intention der Gesetzesmacher.[106]

Offenbar glaubte man durch eine erzwungene Individualisierung des Landbesitzes mit einem Schlag die Machtbasis der großgrundbesitzenden städtischen Notabeln sowie der Stammeschefs brechen zu können.[107] Die Umsetzung des Gesetzes verlief jedoch mehr als schleppend — angesichts der gigantischen Aufgabe und der zur Verfügung stehenden Ressourcen kein Wunder —, und wo es durchgeführt wurde, erzeugte es ganz andere Ergebnisse als geplant. Die alte Kooperation der unteren Ebenen der Staatsmacht mit den lokalen Patronen funktionierte nämlich auch bei der Durchführung dieses Gesetzes ungebrochen. Und da die osmanischen Beamten auf diese Weise in der Regel keinen Kontakt zu den einzelnen Bauern hatten, sondern nur mit deren Patronen, seien es städtische Notabeln, seien es sheikhs oder Stammeschefs, verhandelten, konnten diese häufig ganze Landstriche und Dörfer auf ihren Namen eintragen lassen, ohne daß die wirklichen Bearbeiter des Landes überhaupt je von ihren Rechten Kenntnis erhalten hätten.[108] Die passenden Zeugen oder ‚Dokumente‘ fanden sich allemal.[109]

Tatsächlich stärkte die Staatsmacht mit dieser verunglückten ‚Reform‘ die Macht der ağas und sheikhs, deren vormaligen Gewohnheitsrechte (oder durch nackte Gewalt erzwungenen ‚Anrechte‘) auf das Mehrprodukt der direkten Produzenten sich nun in staatlich garantierte Besitztitel verwandelten.[110] Langfristig hatte dies auch Folgen für die traditionellen Stammesstrukturen: Aus vormals freien Stammesleuten wurden nach der Seßhaftwerdung oftmals rechtlose Habenichtse auf dem Grundbesitz des Stammeschefs, da dieser, dank seines Monopols auf alle Behördenkontakte, in der Lage gewesen war, das ursprünglich kollektiv besessene Weideland unter der Hand auf seinen Namen registrieren zu lassen.[111]

Vorläufig allerdings entstanden daraus nicht überall praktische Konsequenzen: Hoch oben in den Bergen, wo das Stammeswesen unverändert stark verankert war, konnte der ağa es nicht wagen, aufgrund seiner neuen Besitzrechte die Abgaben zu erhöhen oder anderweitig gegen den Willen der Nutzer über das Land zu verfügen. In den Ebenen und im Bergvorland hingegen, wo die nicht-tribale Bauernschaft überwog und der staatliche Einfluß stärker war, kam es in der Regel schneller zu Veränderungen.[112] Die Auswirkungen der Landregistrierung zeigten sich in ihrem ganzen Ausmaß jedoch erst mit der Mechanisierung der Landwirtschaft in den 50er Jahren dieses Jahrhunderts, denn vor der massenhaften Einführung von Traktoren und Erntemaschinen war Arbeitskräftemangel das eigentliche Problem der Landwirtschaft.[113] „Bauernlegen“ machte wenig Sinn, solange der ağa keine Lohnknechte finden konnte, die das ‚freigewordene‘ Land für ihn bearbeitet hätten. Die theoretische Macht der neuen Landbesitzer, auf Grund ihrer formalen Rechte die Bauern von deren angestammtem Boden zu vertreiben, blieb daher eher eine vage Drohung.[114]

Die mangelnde Effektivität des osmanischen Staatsapparats bei der Durchsetzung seiner eigenen Gesetze in so entlegenen Regionen wie Kurdistan trug ihrerseits dazu bei, die Verhältnisse lange Zeit in der Schwebe zu halten. Gerade in den Bergen wurde die auf dem Papier vollzogene Besitzveränderung vielerorts ignoriert, und die alteingespielten Beziehungen wurden unbeirrt fortgeführt, d.h. der ‚legale‘ Landbesitzer verpachtete den Bauern ihr Land einfach zu den alten Tributbedingungen.[115] Wenn auch erheblich langsamer als im Einzugsbereich der größeren Provinzstädte, in denen die nunmehr legalisierten Großgrundbesitzer dank ihres wachsenden Reichtums endgültig zur einflußreichsten Machtfraktion aufstiegen, vergrößerte sich die Polarisierung zwischen Arm und Reich allmählich auch im tribalen Milieu. Zugleich entwickelten sich neue Patronagebeziehungen zwischen den Eliten von Stadt und Land; meistens dergestalt, daß die tribalen Chefs des Umlandes Klienten einflußreicher städtischer Patrone wurden, um von deren guten Kontakten zur osmanischen Staatsbürokratie zu profitieren.[116]

Die Einführung westlich-kapitalistisch inspirierter Rechtsformen des Landbesitzes hatte also letztlich recht zwiespältige Ergebnisse: einerseits wurden dadurch in manchen Regionen (beispielsweise im Raume Arbil) überkommene Herrschaftsverhältnisse ihres paternalistischen und personalen Scheins entkleidet, indem viele Bauern ihrer angestammten Landnutzungsrechte verlustig gingen und zu landlosen Pächtern rentenziehender Großgrundbesitzer in der Provinzhauptstadt herabsanken, andererseits stabilisierte die Landregistrierung à la ottomane aber auch traditionelle Formen personaler Abhängigkeiten. So konnten etliche ağas und sheikhs, die bis dahin hauptsächlich kraft ihrer tribalen Gefolgschaft und ihrer traditionellen Legitimität aus erprobter Macht über dieses oder jenes Dorf geboten hatten, nun den neuen osmanischen Rechtstitel verstärkend hinzufügen. Umgekehrt wurde der Kauf zusätzlicher Landrechte ein Mittel zum Ausbau der eigenen Machtposition im tribalen System. Sheikh Ubeydullah, der wohl berühmteste Vertreter aus der sheikh-Dynastie der Şamdinan, kaufte beispielsweise gegen Ende der siebziger Jahre des vorigen Jahrhunderts etliche Dörfer beiderseits der osmanischen Grenze zu Persien, um die Ausdehnung seines Herrschaftsbereichs in diese Region vorzubereiten.[117]

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Fußnoten

1
Siehe: Gövsa „Stichwort: Bedirhan“ S.67
2
Laut Sevgen („Kürtler Teil VII“ S.49) dauerte es acht volle Jahre. Siehe auch: van Bruinessen Agha, Shaikh and State S.224 (dt.: S.239)
3
Da dies alles schon geschildert wurde, verweise ich nur auf die entsprechenden Seiten und Anmerkungen: 1828/29: S.154; 1834: Anm.13 S.149; 1836: S.153; 1838: S.153 Anm.32; 1839: Anm.36 S.154
4
Siehe z.B.: Jwaideh The Kurdish Nationalist Movement S.207 mit Anm.1; Nezan „Die Kurden unter der osmanischen Herrschaft“ S.54; die Nennung sonstiger „Allianzen“, etwa mit dem Emir von Ardalan in Persisch-Kurdistan, gehen alle auf eine Liste bei Chirguh (i.e. Bedir Khan) zurück, die ich für unzuverlässig halte. Der Hinweis etwa auf ein „Bündnis“ mit „Keur Hussein Bey, Chef der kurdischen Stämme von Kars“ nimmt sich sofort etwas anders aus, wenn man erfährt, daß dieser Bey entmachtet im ägyptischen Exil saß und als Bittsteller ohne Gefolge an den Hof in Cizre kam. Siehe: Chirguh [Bedir Khan] La question kurde S.14
5
Die Nestorianer sind eine von mehreren christlichen Glaubensgruppen, die aus der alten Kirche des Patriarchats von Antiochia hervorgegangen sind. Es herrscht allerdings bei der Bezeichung für die Christen in Kurdistan eine erhebliche Verwirrung, die Begriffe „Nestorianer“, „Chaldäer“, „Syrianer“ oder „Assyrer“ gehen oft durcheinander. Die Bezeichnung Assyrer wird erst seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert verwendet, die anderen drei hingegen haben schon eine über tausendjährige Geschichte; bis zum 17. Jahrhundert wurden sie abwechselnd und fast dekungsgleich für die Mitglieder der ost-syrischen Kirche benutzt, wobei „Syrianer“ eher auf die Gemeinsamkeit der Liturgiesprache (Syrisch/Aramäisch), „Nestorianer“ auf den Namen des Vorkämpfers der geläuterten Lehre und „Chaldäer“ auf den Siedlungsraum der betreffenden Gläubigen anspielen. Seitdem im 17. Jahrhundert eine Wiederannäherung von Teilen der Nestorianer an die päpstliche Lehre stattfand, beanspruchten diese „Unierten“ die Bezeichnung Chaldäer für sich. Als europäische Forschungsreisende die Spekulation über eine Verwandtschaft der Nestorianer mit den antiken Assyrern aufbrachten, nahmen diese den Namen als Ehrentitel an, um sich besser von ihren re-katholisierten Brüdern absetzen zu können. (Dies ist meine Kurzzusammenfassung des sehr informativen Abschnitts “I. Nestorians, Chaldeans, Syrians, Assyrians” bei: Joseph The Nestorians and their Muslim Neighbors S.3-21)
6
Siehe: Yonan Ein vergessener Holocaust S.30
7
Anders als Khan Mahmud, der diesen Kotau ein Jahr vor dem osmanischen Debakel bei Nisib vollzog, tat Nurullah Bey es 1840, also zu einem Zeitpunkt, da die osmanische Armee noch keine unmittelbare Bedrohung für ihn darstellte. “At Van [...] I had frequent and most friendly interviews with the head chief of the Hakary Koords, who had just been to Erzeroom and tendered his entire allegiance to the Turkish government; thus annexing his heretofore independent mountains to Turkey [...]” (Grant „Letter from Doct. Grant, dated July 7th, 1840“ S.432)
8
Wenn man Grants Gewährsmann, dem Paşa von Mosul, glauben darf, erhielt Nurullah Bey dafür sogar Waffenhilfe von osmanischen Truppen aus Van: “The pasha says that a united Turkish and Koordish army from Van, Jesireh, and Hakary, has subdued the Independent Nestorians and burned the house of their patriarch!” (Grant „Letter from Doct. Grant, dated Mosul 9th Oct., 1841“ S.90)
9
„Die türkische Regierung ist nur nominell Beherrscherin der inneren Gebirgspartien, deren Bewohner, die christlichen Nestorianer, de facto, sich bis zum heutigen Tage [1911, G.B.] ihre Unabhängigkeit gewahrt haben und keinen türkischen Beamten oder Soldaten unter sich dulden.“ (Bachmann „Bericht zur Routenkarten ...“ S.21)
«[...] les tribus assyriennes, lorsqu'elles vivaient, avant guerre, dans leur habitat primitif des montagnes de l'Hakîarî, ne présentaient aucun trait essentiel qui les distinguât des tribus kurdes voisines. Leur organisation intérieure, leur vie sociale étaient analogues. Leurs membres portaient les mêmes vêtements [...] Mieux encore: de même que, sous l'autorité des tribus kurdes, il y avait des chrétiens sujets ou ‹raïas› (reya), pauvres cultivateurs durement exploités, il y avait sous l'autorité des tribus assyriennes des Kurdes sujets qui n'étaient pas menés ni exploités moins durement.» (Rondot „Les tribus montagnardes de l'Asie antérieure“ S.6f)
“[...] the revenues of the Hakkary chief are small. On the other hand he can maintain his position only by continual and liberal presents to his adherents, to retain their allegiance, and to his enemies, to purchase their friendship. For so hindered and impeded is he by the faction of his rival and the hostility of the Nestorians, that when a village rebels he dares not suppress the insurrection by force, lest it should join his rival and afford occasion for an open outbreak [...]” “Alone he had already gone to the extend of his ability. To do more would have endangered his authori[t]y among his own people. He went to Bader Khan Bey [...]” (Laurie/Smith „Visits of Messrs. Laurie and Smith“ S.122)
Eine ausführliche Schilderung des Verlaufs der Kämpfe findet sich bei: Grant „Letters from Doct. Grant (5.7., 14.7., 29.7.1843)“ S.436-437
Siehe: Jwaideh The Kurdish Nationalist Movement S.167
“The contemplated expedition against the Nestorians offered Bedir Khan Beg a rich source of plunder with which to reward the growing number of his followers and at the same time provided him with a rare opportunity to prove his religious zeal. Both of these matters were of vital importance to his prestige and future plans.” (ebenda S.189)
“The number killed in the two campaigns was said to be about seven thousand; but this estimate may be too high.” (Breath „Letter from Mr. Breath, July 27, 1846“ S.407) Layard spricht von “nearly 10,000”. (Layard Nineveh and its Remains Bd.1 S.173 Anm.*)
Siehe: Jwaideh The Kurdish Nationalist Movement S.197; van Bruinessen „Vom Osmanismus zum Separatismus“ S.115f; Rondot „Les tribus montagnardes de l'Asie antérieure“ S.32f; Wright „Visits ... to Bader Khan Bey“ S.382
Zum Verhältnis der Begriffe Assyrer und Nestorianer zueinander siehe weiter oben: S. Anm.; „Das assyrische Brudervolk [...] hat durch sein 50 Jahre währendes Elend unter dem englischen Imperialismus sehr viel gelernt. Seit dem Ausbruch unserer Revolution am 11.September 1961 bis zum heutigen Tag haben die Assyrer einen beachtlichen Anteil der Last des Freiheitskampfes heldenhaft getragen. Sie wissen, daß unsere beiden Völker ein gemeinsames Land und ein gemeinsames Schicksal haben.“ (Nebez Kurdistan und seine Revolution S.70)
„[...] die in Kurdistan eingesetzten englischen und amerikanischen Missionare [beschäftigten sich] auf Bitten der osmanischen Machthaber damit, die christlichen Stämme gegen den kurdischen Führer aufzuwiegeln und hatten dabei Erfolg. Jene lehnten es ab, an den Kämpfen teilzunehmen, und verweigerten mitten im Krieg die Zahlung von Steuern an Bedir Khan Bey.“ (Nezan „Die Kurden unter der osmanischen Herrschaft“ S.55) In die gleiche Kerbe schlägt Nebez: „Europäische und amerikanische Agenten und Spione, z.T. getarnt als ‚christliche Missionare‘, fuhren nach Kurdistan, um dort insgeheim Kurden-feindliche Aktivitäten zu betreiben.“ „[...] die Hetzereien der türkischen Beamten und die der europäischen Agenten unter dem assyrischen Brudervolk führten dazu, daß die Nestorianer sich weigerten, dem Badir Chân Steuern zu zahlen. Das führte zu erneuter Gewalttätigkeit.“ (Nebez Kurdistan und seine Revolution S.65 und S.66) Beide stützen sich ganz offenkundig auf die Darstellung von Chirguh: «En 1845, au milieu de ces préparatifs, les Nestoriens des régions des Tchal, Semjantchi et Tchoppi s'étaient révoltés contre l'autorité de l'Emir et avaient refusé de payer les impôts; l'Emir fut contraint d'envoyer une armée de 10.000 hommes pour les ramener à l'obéissance.» (Chirguh [Bedir Khan] La question kurde S.16)
Chirguh (i.e. Bedir Khan) spricht bzgl. der Massaker sogar ausdrücklich von einem «acte de suzeraineté de l'Emir» und meint damit Bedir Khan, nicht Nurullah Bey. (Siehe: ebenda) Yalçın-Heckmann weist darauf hin, daß Nurullah Bey mit der Abhängigkeit von Bedir Khan keineswegs zufrieden war und deshalb gleichzeitig mit dem paşa von Van in Verbindung stand, um seinen späteren Wechsel auf die Regierungsseite rechtzeitig vorzubereiten: “Nurullah Beg seems to have played along with the two forces [...]” (Yalçın-Heckmann Tribe and Kinship among the Kurds S.59)
Einziger Bürge für das angebliche Bündnis ist wiederum der parteiische Bericht Chirguhs ([Bedir Khan] La question kurde S.14). Hingegen erwähnen weder die amerikanischen Missionare, welche die Ereignisse aus der Nähe beobachteten, noch Layard, der die umkämpfte Region 1849 ausführlich bereiste, Şerif Beys Namen im Zusammenhang mit den Kämpfen gegen die Nestorianer oder die Osmanen. Ebensowenig findet er sich in den von Sevgen benutzten osmanischen Archiv-Dokumenten.
Noch einmal der britische Konsul Brant: “[...] the guide [...] preceded us to Vasán, as he said 800 men were assembled there in anticipation of a threatened attack on Khán Máḥmúd by the Bey of Jezírah, and he wished to inform them who we were, to prevent the possibility of an insult.” “The brothers possessed many strong places, the chief of which was the castle of Mamúdíyeh, where Khán Abdál, the next brother of Khán Maḥmúd, resided.” (Brant „Notes on a Journey Through a Part of Kurdistán. 1838“ S.389 und S.387) Genau diesen Khan Abdal mußten Bedir Khans Truppen davon überzeugen, daß es besser war, sich ihm nicht zu widersetzen. «Après avoir ramené à l'obéissance les Nestoriens, Bedr-Khan envoya ses troupes contre l'Emir Abdal, Chef des Mouks, qui fut obligé de faire sa soumission et devient l'allié de l'Emir de Botan.» (Chirguh [Bedir Khan] La question kurde S.16 Anm.2) Die Tatsache, daß Khan Abdal zuvor einem Verwandten Bedir Khans die Festung Hoşap entrissen hatte, dürfte den Konflikt zusätzlich geschürt haben. Siehe: Layard Niniveh und Babylon S.293 (engl. S.385)
“Even the Hakkary Bey [...] and Khan Mahmood [...] seemed to think themselves honored by being in waiting upon him. [...] The many spirited chiefs under him, though restive and extremely impatient of restraint, dare not lift a finger in opposition to him; as, in their own language, ‘God has given him the power, and it is in vain for us to strive for it.’” (Wright „Visits ... to Bader Khan Bey“ S.381)
Siehe z.B. das Urteil eines Zeitzeugen, Moritz Wagners, der 1845 die Region bereiste und betont, daß „Beder-Chan [...] trotz seiner Macht kein Interesse hatte, in offener Rebellion gegen die Pforte aufzutreten [...]“ (Wagner Reise nach Persien und dem Lande der Kurden S.155)
Sevgen kommt aufgrund seiner Lektüre des gesamten diesbezüglichen Briefverkehrs in den großherrlichen Archiven zu dem Schluß, daß 1842 von einer Revolte Bedir Khans in keiner Weise die Rede sein kann. Siehe: Sevgen „Kürtler Teil VII“ S.59
Dieses Lobesschreiben datiert vom 31.5.1844 (siehe: Sevgen „Kürtler Teil VIII“ S.47); bestätigt wird dieser Vorfall von einem russischen Zeitzeugen: „Während ich in Bagdad war, schickte der Pascha dem Khan einen kostbaren Chalat, eine Sklavin, einen prächtigen Sattel und mehrere Pferde für die Hilfe, die der Khan ihm gegen die Beduinen geleistet hatte (unweit von Hilla am Euphrat).“ (Dittel „Očerk putešestvija po vostoku“ S.208, ich danke Klaas Bähre für die Übersetzung aus dem Russischen)
Laurie „Letter from Mr. Laurie, April 13, 1844“ S.263 (meine Übers.: Original im A.)
Sevgen hat einige dieser Briefe, die immer mit „Ihr Sklave“ oder „Ihr ergebener Diener Bedirhan ben Abdullah“ gezeichnet sind, dokumentiert. Siehe z.B. Dok.2 und Dok.4 in: Sevgen „Kürtler Teil VII“; Dok.6 und Dok.7 in: ders. „Kürtler Teil VIII“
Siehe die bei Sevgen reproduzierten Eingaben von britischer und französischer Seite in: Sevgen „Kürtler Teil IX“; siehe auch: van Bruinessen Agha, Shaikh and State S.227 (dt.: 241f); Rondot „Les tribus montagnardes de l'Asie antérieure“ S.34
Sevgen „Kürtler Teil VIII“ S.49; Dok.6 (meine Übers.; Original im A.)
«Bundan sonra kendi adını anan ve tekrarlayan hutbe okutmaktan vaz geçip hutbeyi Zat-ı şahane namına okutmayı taahhüt eder.» (ebenda S.51) Zu deutsch: „Er [Bedir Khan, G.B.] verspricht, fürderhin davon Abstand zu nehmen, im Freitagsgebet seinen eigenen Namen erwähnen und wiederholen zu lassen, und das Freitagsgebet im Namen seiner erhabenen Majestät sprechen zu lassen.“
Siehe: Sevgen „Kürtler Teil XII“ S.39; die von Sevgen angegebene Umrechnung der Hedschradaten ist falsch, ich habe sie überall wo nötig nach den Wüstenfeld-Mahler'schen Vergleichungs-Tabellen (dritte, von Bertold Spuler herausgegebene Auflage) korrigiert.
“[...] the chief, finding defence hopeless, succeeded in obtaining from the Turkish commander, Osman Pasha, the same terms which had been offered to him before the commencement of hostilities. He was to be banished from Kurdistan; but his family and attendants were to accompany him, and he was guaranteed the enjoyment of his property.” (Layard Nineveh and its Remains Bd.1 S.239) Eine ganz ähnliche Darstellung findet sich bei dem französischen Regierungsemissär Xavier Hommaire de Hell. Siehe: Hommaire de Hell Voyage en Turquie et en Perse 1.Teil, Bd.2 S.494; das vom 2.9.1847 datierte großherrliche Verbannungsdekret findet sich als Dok.1 in: Sevgen „Kürtler Teil XII“
Während Chirguh über die erste große Schlacht zwischen Osmanen und den vereinigten Kriegerscharen Bedir Khans und Khan Mahmuds behauptet: «Les forces turques furent battues et durent se replier.» (Chirguh [Bedir Khan] La question kurde S.17), geben sowohl die Times als auch Layard, Sevgen und Hommaire de Hell übereinstimmend an, daß sie mit einer Niederlage der letzteren endete. Der Bericht der Times lautet so: “A sanguinary battle, in which Bederhan Bey and Mehmoud, Khan of Van, were completely beaten and routed, was fought on the 18th June on the left bank of the Tigris. [...] The Kurds lost 800 men, and the regular troops between 300 and 400. Bederhan Bey, abandoned by Mahmoud Khan and the main body of his army, was unable to keep the field, and had retired with a few hundred men into a fortress of the interior [...]” (The Times London 1847 (Ausgabe vom 5.8.) S.5 Spalte d) Der offizielle Rapport des kommandierenden Generals Osman Paşa findet sich als Dok.4 in: Sevgen „Kürtler Teil XI“ S.55-58; siehe auch: Layard Nineveh and its Remains Bd.1 S.239; Hommaire de Hell Voyage en Turquie et en Perse 1.Teil Bd.2 S.494; letzterer traf am 13.9.1847 in Trapezunt auf den Gefangenentransport, der mit Bedir Khan auf dem Weg nach Istanbul war (siehe: ebenda S.423f). Allerdings muß man zugestehen, daß die Legendenbildung sehr früh einsetzte, so schrieb z.B. de Bianchi schon 1863: «Bederkàn Beg e Nuhullàh Beg, ambidue condottieri dei rivoltosi del Kurdistàn, con circa cinquantamila cavalieri seppero per vari anni mirabilmente resistere alla Turchia.» (de Bianchi Viaggi in Armenia, Kurdistàn e Lazistàn S.212f)
Bei Jwaideh (The Kurdish Nationalist Movement S.210f) heißt es z.B., Şerif Bey von Bitlis habe bis 1849 der Pforte Widerstand geleistet. Hommaire de Hells Bericht aus Bitlis (er traf dort am 23.10.1847 ein) zeichnet ein anderes Bild: Osman Paşas Truppen verließen Bitlis zu diesem Zeitpunkt gerade wieder, der Feldzug war abgeschlossen. Khan Mahmud habe sich übrigens gleich nach der Gefangennahme Bedir Khans kampflos ergeben. Siehe: Hommaire de Hell Voyage en Turquie et en Perse 1.Teil Bd.2 S.492f (zu Bitlis) und S.494 (zu Khan Mahmud); ähnlich: Sevgen „Kürtler Teil XI“ S.55
Sevgen „Kürtler Teil XIX“ Dokument I, S.70 (meine Übers.; Original im A.)
Ein bleibender Erfolg blieb ihm allerdings verwehrt, denn 1848 findet man ihn im Exil in Täbris unter dem Schutz des dortigen britischen Konsuls. Nach umständlichen Verhandlungen, die sich bis 1849 hinzogen, kam Nurullah Bey schließlich zurück ins Osmanische Reich und wurde nach Kreta verbannt. «Bir müddet İstanbul'da kalan Nurullah bey, 16 Recep 1265 [...] günü ›Tair-i-Bahrî‹ vapur ile Girit'e sevkedilmiş [...]» Zu deutsch: „Nurullah Bey blieb eine Zeit in Istanbul, am 7. Juni 1849 [...] wurde er mit dem Dampfer ‚Tair-i-Bahrî‘ nach Kreta verbracht [...]“ (Sevgen „Kürtler Teil XX“ S.41; meine Übersetzung) Allzusehr darben mußte er offenbar nicht, denn späterhin erhielt er — ganz wie Emir Bedir Khan — den Rang eines paşas samt dem dazugehörigen Gehalt. Siehe: de Bianchi Viaggi in Armenia, Kurdistàn e Lazistàn S.213 Anm.1
Seine gnadenlose Justiz des Henkerschwertes sorgte dabei für ein ungewöhnliches Maß an Sicherheit vor Raub und Diebstahl. Dem 1844 durchreisenden Russen V. Dittel wurde dies von allen Seiten bestätigt. Siehe: Dittel „Očerk putešestvija po vostoku“ S.206-209
Der Missionar Wright berichtet von einem Gespräch mit Bedir Khan im Sommer 1846: “He prides himself upon being a man of ‘one word,’ a rare thing in these countries. In confirmation of this, he told us that eight years ago, when he was weak and Turkey strong, he entered into an engagement with the latter; and that now, though the power had changed hands, he did not violate his word.” (Wright „Visits ... to Bader Khan Bey“ S.381)
In diesem Punkt stimme ich ganz mit van Bruinessen überein: “There are no indications that these two Kurdish lords were thinking of establishing a Kurdish state (as later nationalists were to claim). [...] Such resistance against external government intrusions may, but need not be a first step in the development of more explicit nationalist ideas. It does not however presuppose an awareness among the resisting group (i.[e]. the Kurds) that it constitues a natural, separate unit [...] whose separateness warrants political independance. It is in fact unlikely that the Kurds in this period thought of themselves as such a group. Not only was there no name for ‘nation’ [...], but few seemed to care at all about the Kurds beyond their own horizons.” (van Bruinessen Origins and Development of Kurdish Nationalism S.4f)
Über Bitlis teilte Layard 1849 mit: „[...] Scherif Bey war erst in diesem Frühjahr nach der Hauptstadt geschickt worden, um die noch übrigen Tage seines Lebens mit den Anstiftern des nestorianischen Blutbades in der Verbannung zuzubringen.“ (Layard Niniveh und Babylon S.28 (engl.: S.35f); ähnlich: Soane To Mesopotamia and Kurdistan in Disguise S.374) Der Sturz der Dynastie von Baban sei hingegen ‚hausgemacht‘ gewesen, berichtet Longrigg: “[...] Amad Pasha['s] [...] rule was broken for a year in 1840 by a return of Maḥmud Pasha, his uncle. The Persian army which restored this veteran raised a diplomatic storm by its invasion of soil claimed as Ottoman [...] with the retirement of the Persians, Aḥmad again assumed the Baban government. In 1842 his deep and doubtful commitment in frontier quarrels led to his removal to Baghdad. Qadir Pasha, grandson of the founder of Sulaimaniyyah, was to succeed; ‘Abdullah, brother of Aḥmad, disputed his entry; and a Persian invasion, designed to restore Maḥmud, failed by the opposition of ‘Abdullah, who remained as ruler till Aḥmad returned on a change of pashas in Baghdad. Najib Pasha hoped by encouraging feuds finally to unseat the dynasty. He succeeded. ‘Abdullah was again preferred to his brother, and given Sualimaniyyah with the significant rank of Qa'immanqam. For years past the Baban had been tributary to Baghdad, and Sualimaniyyah contained Turkish troops; the tribute was now raised, the imperial garrison increased. The end came in 1850, when Isma‘il Pasha, a Turkish general, replaced the last Baban.” (Longrigg Four Centuries of Modern Iraq S.287)
Sandreczki Reise nach Mosul und durch Kurdistan. Zweiter Theil S.251
Zu detaillierteren Angaben, wo osmanische Garnisonen zu finden waren, siehe: S.198 Anm.4 und Anm.6
“Officially, Kurdistan was from then on ruled directly, by Ottoman governors. In practice, however, direct Ottoman rule was to prove very ineffective indeed. Near the cities, the governors had some power; nowhere did they have authority.” (van Bruinessen Agha, Shaikh and State S.221 (dt.: S.236))
“The abolition of the emirates did not mean the end of indirect rule and its replacement by direct rule. In fact, indirect rule continued to be practised for a long time (it still is, in many parts of Kurdistans), but it was reduced to ever lower levels of integration. After the mîrs, tribe aghas, and later village aghas [...] were the persons to whom government authority was delegated.” (ebenda S.229 (dt.: S.243f))
“[...] the government was strong enough to take its own taxes, but not sufficiently strong (or willing) to prevent tribal chieftains from taking theirs as well, so that the peasantry was doubly taxed.” (ebenda S.214 (dt.: S.230))
Siehe: Jwaideh The Kurdish Nationalist Movement S.212f; van Bruinessen Agha, Shaikh and State S.227 (dt.: S.242)
Siehe: van Bruinessen „Nationalismus und religiöser Konflikt“ S.385
Barth führt das Beispiel des Stammes der Hamawandî an: “Seeing the opportunities offered by the ineffetual nature of Ottoman governmental control, they entered on a career of brigandage, looting the caravans that passed between Persia and Iraq. [...] As they proudly assert: ‹For more than a generation we reaped our daily bread with our gunbarrels›.” (Barth Principles of Social Organization S.45)
„Er ist einerseits Geistlicher [...] im Sinne eines freien ‚Schriftgelehrten‘. Er kann natürlich den Koran auswendig, kann lesen und schreiben (türkisch oder arabisch) und erteilt geistliche Ratschläge. [...] Andererseits ist er aber auch Heilkundiger, kennt zahlreiche Medizinen und Heilpraktiken und vererbt diese Kenntnis auf seinen Sohn. Nebenher ist er meist Bauer [...] Auf den Saumpfaden des Gebirges begegnet man oft Männern und selbst reisenden Frauen, die als Zweck der Reise den Besuch beim Sheh nennen [...]“ (Hütteroth „Beobachtungen zur Sozialstruktur kurdischer Stämme“ S.34) “In short, the sheikhs fulfilled the roles of doctor, lawyer, priest, and psychiatrist.” (Olson The Emergence of Kurdish Nationalism S.3)
Siehe: Jwaideh The Kurdish Nationalist Movement S.136
«Installé dans une région, le cheikh reçoit d'innombrables visiteurs, venus souvent de très loin, et qui lui apportent divers cadeaux. Les richesses ainsi accumulées sont souvent très importantes, et permettent au cheihk de devenir gros propriétaire foncier.» (Rondot „Les tribus montagnardes de l'Asie antérieure“ S.44)
Mokri beschreibt eine Schenkungsurkunde (allerdings aus dem 16. Jahrhundert), in welcher einem heiligen Manne gleich ein ganzes Dorf aus Dankbarkeit übertragen wurde. Siehe: Mokri „Étude d'un titre de propriété“
Die folgende Bemerkung des Mittelalterspezialisten Gurjewitsch trifft auch auf die Verhältnisse in Kurdistan, selbst im 19. Jahrhundert, zu: „Der Reichtum ist für den Feudalherrn ein Mittel zur Unterhaltung gesellschaftlichen Einflusses und der Bestätigung seiner Ehre. Der Reichtum allein bringt keinerlei Achtung [...] Ein Herr aber, der ohne Berechnung sein Einkommen und die Beute vergeudet, verdient, sogar wenn er über seine Verhältnisse lebt, noch Gelage veranstaltet und Geschenke verteilt, jegliche Hochachtung und Ruhm.“ (Gurjewitsch Das Weltbild des mittelalterlichen Menschen S.284) Man vergleiche dies mit einem Bericht über Bedir Khan aus dem Jahr 1846: “[...] heralds had been sent through the surrounding country, to summon the lame, the blind, and the poor of every class, to attend at the castle at a certain hour, when the Bey would distribute presents among them. At the appointed time the yard was filled with several hundred widows, orphans &c. The Bey took his seat by the outer gate, with a bag of money at his side; and the poor came out, one by one. As they passed him he inquired of his attendants in relation of the wants of each one, and dispensed his gifts according to the answers. [...] Each individual, upon receiving his portion, raised his eyes towards heaven, and invoke the blessing of God upon his generous benefactor.” (Wright „Visits ... to Bader Khan Bey“ S.381)
Leach Social and Economic Organisation of the Rowanduz Kurds S.28 (meine Ü.; Orig. i. A.)
So kann ein sheikh in seiner Eigenschaft als Grundherr, im Gegensatz zu seinen weltlichen Kollegen, selbst heute noch von ‚seinen‘ Bauern Frondienste verlangen, da Arbeit für einen Heiligen Segen einbringe. Siehe: van Bruinessen Agha, Shaikh and State S.318 (dt.: S.330)
Siehe: Jwaideh The Kurdish Nationalist Movement S.130f
Siehe den Abschnitt “Other saints in Kurdistan” in: van Bruinessen Agha, Shaikh and State S.275-277 (dt.: S.287-289)
Siehe: ebenda S.277; der entsprechende Abschnitt in der deutschen Übersetzung (S.290) hat durch Bearbeitung eine etwas andere Schwerpunktsetzung erhalten.
Siehe: Rondot „Les tribus montagnardes de l'Asie antérieure“ S.43; Edmonds Kurds, Turks and Arabs S.63
“Islam, as propounded in the Mosque, is a formal, coldly intellectualized doctrine of the complete separation of God and Man, of God's supreme wisdom and power and Man's knowledge of it only through the Koran, accompanied by a scholarly legal and ritualistic interpretation of this basic tect. Fundamental is the complete separate nature of God and Man, and Man's inability to bridge this gap. The whole heterodox gamut from Sufi mystics to essentially shamanistic spirit-medium cults represent attempts at direct communication with God — at brigding this very un-brigdeable gap. The Kurdish derwish sects occupy a position towards the shamanistic pole of this continuum.” (Barth Principles of Social Organization S.82) Siehe auch: Edmonds Kurds, Turks and Arabs S.61f
Ein besonders grotesker Fall ist der des unglücklichen Sheikhs Abdussalam von Barzan, dessen Anhänger so überzeugt von der göttlichen Identität ihres Meisters waren, daß sie ihn am Ende aus Wut darüber, daß er sich aus — wie sie annahmen — übergroßer Bescheidenheit nicht zu erkennen gab, durch wiederholte schwere Prügel dazu zwingen wollten, seine Göttlichkeit endlich zu bekennen. Die sufis von Barzan mußten auf seinen Nachfolger und Sohn warten, der dankbar den Titel mahdi aus ihrem Munde annahm und mit ihnen zum Sturz des Sultans antrat. Allerdings war sein Ende kaum glücklicher als das seines Vaters. Siehe: Nikitine „Les Kurdes racontés par eux-mêmes“ S.149-151
Siehe: van Bruinessen Agha, Shaikh and State S.312 (dt.: S.324)
Siehe: Bois u.a. „Stichwort: Kurds, Kurdistan“ S.475
“In theory the performance of miracles is neither an essential nor (according to some) a particulary desirable part of the stock in trade of a dervish Murshid [i.e. sheikh, G.B.], but popular esteem does in practice depend to a large extent on the degree of his success in convincing the public that he in fact possesses thaumaturgical power (karáma). In Kurdistan, not surprisingly, the most highly appreciated of such gifts is the ability to confer immunity against fire-arms by written charms worn on the person [...]” (Edmonds Kurds, Turks and Arabs S.74)
Siehe: van Bruinessen „Vom Osmanismus zum Separatismus“ S.150
Ein Rivale Bedir Khans zum Beispiel zog u.a. deshalb eine Strafexpedition auf sich, weil er es gewagt hatte, eine gravierende Stammesfehde zu schlichten. Siehe: van Bruinessen Agha, Shaikh and State S.224 (dt.: S.239)
Allerdings scharten die sheikhs auch zu diesen Zeiten schon nicht nur verklärte Wahrheitssuchende um sich, sondern hatten mit ihren Gefolgsleuten im Bedarfsfalle eine Truppe ganz handfester Gesellen aufzubieten.
Wenn de Bianchi 1863 schrieb: «Ogni tribù kurda vive sotto il governo di un capo chiamato Scèik, la cui parola, essendo legge per gl'individui soggetti, decide della vita e della morte; egli è tratto dall'aristocrazia della tribù.», weist das darauf hin, daß die Vormachtstellung der sheikhs im tribalen Milieu damals schon ein so gewöhnliches Phänomen geworden war, daß er es für den Normalfall hielt. (de Bianchi Viaggi in Armenia, Kurdistàn e Lazistàn S.187)
Siehe: Jwaideh The Kurdish Nationalist Movement S.214; die sheikhs von Şamdinan und Barzan gehörten zu den Nakşbendî, die von Barzinci zu den Kadiriye.
İzzeddin Şir ging sofort auf die osmanische Seite über, als die Meldung von der Sammlung des Anatolischen Heeres in Diyarbakır nach Cizre durchdrang. Für seine Kooperation wurde er ehrenhalber zum „Obertürhüter des Sultans“ ernannt. (Siehe: Sevgen „Kürtler Teil..“ S.59) Hommaire de Hell berichtete von İzzeddin Şir als dem einzigen Verwandten Bedir Khans, der der Exilierung entging: «Tous ses parents, sauf un seul qui, grâce sans doute à des services rendus à la Porte dans cette expédition, a reçu un commandement dans le Haut-Kurdistan, portageaient son sort.» (Hommaire de Hell Voyage en Turquie et en Perse 1.Teil Bd.2 S.423f) Falsch ist die auf Chirguh zurückgehende und seither häufig wiederholte Behauptung, İzzeddin Şir sei erst gegen Ende der Kämpfe durch Bestechung zum „Verräter“ geworden. Siehe: Chirguh [Bedir Khan] La question kurde S.17; Safrastian Kurds and Kurdistan S.60; Chalfin Bor'ba za Kurdistan S.57
Ich stütze mich hier hauptsächlich auf die zeitgenössischen Darstellungen von Schläfli und Lobdell, die sich — bis auf einen Datierungsfehler bei Schläfli — weitgehend decken. Siehe: Schläfli Reisen in den Orient S.53-56; Lobdell „Letters from Dr.Lobdell (Mosul, 15.12.1854)“
Siehe: Schläfli Reisen in den Orient S.54; ähnlich Colonel Williams, der Kommandant von Kars: “Sinister rumours of the insurrection of the Koords at Sert, and in the direction of Bitlis, have reached me: this is the natural result of the robbery of the Bashi-Bozouks's pay by Zarif Mustafa Pasha, and Hassan Yazigi of Damaskus. These men returned to their camps full of discontent and vengeance against those who, instead of robbing them, should have led them against the enemy [...]” („No.72: Colonel Williams to the Earl of Clarendon, Erzeroom, 12.12.1854“ in: The House of Commons „Papers Relative to Military Affairs in Asiatic Turkey 1856“ S.68)
“Yezdînshîr Bey, a son of Mîr Saif ed-Dîn, the Abaside, from whom Beder Khan Bey, his brother, wrested the chieftainship of the Koords about Jezireh some years ago, is now in rebellion [...] Yezdînshîr Bey, has been confined in Mosul, though not so confined as to prevent us from receiving frequent visits from him. [...] A short time since, he received permission from the government to organize five thousand Koords, and conduct them to Anatolia. He arrived at Jezireh with a part of them, and there, under pretence of rectifying certain disorders [...] proclaimed himself Governor! Osman Pasha, from Mardin, gathered a large force of mounted Arabs and Albanians, and a few hundred nizâm [...] and then attempted the siege of Jezireh. [...] Attempts were made in vain to induce the rebel to return to Mosul, even while promised a safe conduct by the authorities here. Osman Pasha's forces have been scattered, and he himself has retreated to Mardin.” (Lobdell „Letters from Dr.Lobdell (Mosul, 15.12.1854)“ S.111f)
“Meanwhile Yezdînshîr Bey, leaving the command of Jezireh to his brother, is reported to have taken Sert, and to have given Zakho to the son of Saîd Bey [...] Naamet Agha, Chief of the Zibâr Koords, [...] and Alamât Efendi, of Amadieh, are marching their retainers to the aid of the government professedly; but lest their aid prove opposition, a detachment of the troops in Mosul are now en route with cannon for the castle of Amadieh.” (ebenda S.112)
Die Times berichtet im Mai 1855: “Kurdistan is not yet perfectly quiet. [...] Mehemet Pasha, on his march to suppress the insurrection of Ezdinshehr Bey [i.e. İzzeddin Şir, G.B.], committed such atrocities, and so ravaged the peaceful villages, Christian, Yezedee, and Mussulman, that numbers of men are driven desparate, and are exciting others to rise.” (The Times London 1855 (Ausgabe vom 29.5.) S.9 Spalte d)
Siehe: Schläfli Reisen in den Orient S.56; in der von kurdisch-nationalistischer Seite (z.B.: Chalfin Bor'ba za Kurdistan S.75f; Nezan „Die Kurden unter der osmanischen Herrschaft“ S.57) verbreiteten Version, Vize-Konsul Rassam habe İzzeddin Şir durch Bestechung und Betrug aus seiner sicheren Festung gelockt und verräterischerweise den Osmanen ausgeliefert, sind die Fakten etwas durcheinander geraten. Zwar gab es tatsächlich einen britischen Offizier, der İzzeddin Şir zur Aufgabe überredete, doch war dies nicht Rassam sondern ein spezieller Kurier des britischen General Williams aus Kars. Rassam spielte nur die Rolle des Asylgewährenden für einen gescheiterten Aufständischen.
Ghassemlou hält sie für die „wichtigsten Revolte“ der Zeit von 1830 bis 1900, bei Blau sollen İzzeddin Şirs Rebellen gleich „etliche Jahre“ den osmanischen Truppen getrotzt haben und in Chalfins Version nahmen sie sogar Mosul ein — Kendal Nezan fügt ausschückend hinzu, diese Eroberung sei „ohne größere Schwierigkeiten“ vonstatten gegangen. (Siehe: Ghassemlou Kurdistan and the Kurds S.39; Blau „Le mouvement national kurde“ S.451; Chalfin Bor'ba za Kurdistan S.74; Nezan „Die Kurden unter der osmanischen Herrschaft“ S.56) Interessanterweise erwähnt de Bianchi, der als Offizier in osmanischen Diensten von 1855 bis 1859 in Ostanatolien war, diese Revolte mit keinem Wort — «l'ultima grande rivoluzione del Kurdistàn» war für ihn der Aufstand Bedir Khans von 1847. Siehe: de Bianchi Viaggi in Armenia, Kurdistàn e Lazistàn S.212
“Recently some thirty-five hundred Koords from the different tribes, headed by Mohammed Agha and other subordinate chiefs, gathered at Bash Kulla to oust the Turkish Pasha. He, with his three hundred Turks, had taken refuge in the old castle of Noor Allah Beg, not daring with his feeble force to meet the enemy on the open field. [...] Having devided the spoils, they then brought to the place of rendezvous a son of the old Moodebbir, who died a captive in the hand of the Turks at Erzroom, and were soon to bring him to Gawar, there to inaugurate Koordish misrule by his elevation to the chieftainship of the Hakkary country.” (Rhea „Letter from Mr. Rhea, February 6, 1856“ S.175) Tatsächlich scheint es mit dieser neuen Selbständigkeit nicht sehr lange gedauert zu haben, schon im Juni des gleichen Jahres konnte Rhea nach Gawar zurückkehren: “What a change has taken place in this region within the past five months! When we left here the Koords were all in arms against the Pasha; and a few days afterward we heard that they had killed him. [...] Now the tables are turned. Those old Koordish Chiefs flee in dismay before the advancing Ottoman troops.” (Rhea „Letter from Mr. Crane, June 16, 1856“ S.303)
Rhea „Letter from Mr. Rhea, February 6, 1856“ S.175 (meine Übers.; Original im A.)
Siehe: Anderson The Eastern Question, 1774-1923 S.83
Der Korrespondent der Times berichtete 1855: “Now that the allies have virtually taken possession of all that part of Constantinople west of the Golden Horn [...] Pera and Galata daily more and more assume a French and English aspect. Shops and stores, and even cafés [...] spring up on all sides, and English and French public offices are to be met with in every street. In Pera we have streets with French name painted at their corners, and down in Galata, where Englisch merchants and tradesmen most abound, I came the other day upon ‘Little Tower-street’ in white letters on a black ground, and learnt that a number of other boards were preparing, with equally English names, to be similarly employed.” (The Times London 1855 (Ausgabe vom 23.11.) S.8 Spalte b)
Natürlich weist der höchst patriotische Times-Korrespondent die Schuld an den offenkundigen Problemen (“[...] the fanatical part of the population grows daily more impatient of christian encroachments. They think we are taking possession of the country, trampling upon their usages and prejudices, and tending to their final subjugation [...]”) allein den Franzosen zu: “[...] our gallant allies are a little too apt to treat the Turks à l'Africaine and Turkey en pays conquis.” Gleich anschließend äußert er jedoch „Befriedigung“ darüber, daß die vereinigten Generalstäbe als Reaktion auf die sich häufenden Überfällen auf alliierte Offiziere und Soldaten damit drohten, die Polizeigewalt in Istanbul selbst in die Hand zu nehmen! “It is satisfactory to know that the allied Generals and Admirals now here held a meeting two or three days ago, at which they resolved to inform the Government that if prompt and efficient measures were not taken by the Turkish authorities they themselves would take the police of the town into their hands.” (beide Zitate: ebenda Spalte c)
Siehe: Anderson The Eastern Question, 1774-1923 S.122f
Allein am Tage der endgültigen Erstürmung Sewastopols starben ca. 23.000 Soldaten. Siehe: Rosen Geschichte der Türkei. Zweiter Theil S.222
Der Kommentar Rosens zur Eroberung Sewastopols ist verräterisch: „Mit der Eroberung war vorläufig der militärischen Ehre der Alliirten Genüge geschehen [...]“ (ebenda S.222)
“[...] our prospects for the winter are not encouraging. [...] we shall be fortunate if we get through the bad season without something very like a famine. Throughout the whole country prices have greatly risen, the drain on the markets by the allied armies being doubtless one not inconsiderable cause of this.” (The Times London 1855 (Ausgabe vom 23.11.) S.8 Spalte c)
Kars ergab sich am 25.11.1855 den Belagerern. Siehe: The Times London 1855 (Ausgabe vom 22.12.) S.7 Spalte e
Siehe: Pamuk The Ottoman Empire and European Capitalism S.59; Lewis The Emergence of Modern Turkey S.118
Die Garanten waren also Großbritannien, Frankreich, Sardinien-Piemont, Preußen, Rußland und Österreich-Ungarn.
Siehe: „Der pariser Vertrag vom 30. März 1856“ in: Rosen Geschichte der Türkei. Zweiter Theil S.253-260; insbesondere: Artikel III (Rückgabe der besetzten Territorien), Artikel VII (kollektive Garantie für territoriale Integrität), Artikel IX (Nichteinmischung in innere Angelegenheiten des Osmanischen Reiches) sowie „Die russisch-türkische Special-Convention über die auf dem schwarzen Meere zu unterhaltenden Kriegsschiffe“ (ebenda S.262). Eine englische Textfassung findet sich in: Hurewitz The Middle East ... in World Politics. Vol.1 S.319-322
Um sein Gesicht zu wahren, versuchte der Sultan, das Diktat der Großmächte als seine eigene souveräne Entscheidung auszugeben, aber niemand in der Hauptstadt schenkte diesem Manöver Glauben. Siehe: Rosen Geschichte der Türkei. Zweiter Theil S.241 und S.239
“Every distinction or designation pending to make any class whatever of the subjects of my empire inferior to another class, on account of their religion, language, or race, shall be forever effaced from administrative protocol.” “The nomination and choice of all functionaries and other employes of my empire being wholly dependent upon my sovereign will, all the subjects of my empire, without distinction of nationality, shall be admissible to public employments, and qualified to fill them according to their capacity and merit [...]” “The equality of taxes entailing equality of burdens, as equality of duties entails that of rights, Chistian subjects, and those of other non-Mussulman sects [...] shall, as well as Mussulmans, be subject to the obligations of the law of recruitment.” (“Sultan ‘Abdülmecid's Islahat Fermanı, 18 February 1856” in: Hurewitz The Middle East ... in World Politics. Vol.1 S.315-318)
Heyd erklärt, warum die Emanzipation der Christen im Rahmen der traditionellen muslimischen Gesellschaft nicht denkbar war: “These promises were made in deference to the demands of the powers, on whose goodwill the Ottoman government had by now become dependent; they did not reflect a growing liberal trend in Muslim public opinion. The religious axiom of the superiority of Islam, and the centuries-old tradition of Muslim domination over the unbelievers, had created an attitude that did not easily lend itself to change. The transformation of the Ottoman empire, spearhead of Islam, into a secular state where non-Muslims were granted complete equality was inconceivable. Even had the Tanīmāt leaders sincerely desired such a revolutionary course of action, they would not have been able to carry it out against the fierce opposition or passive resistance of the large majority of the Muslim population.” (Heyd „The Later Ottoman Empire“ S.366)
“These men constituted a new elite developing within the bureaucracy — the elite of the French-knowers, whose importance to Turkey down into the present century can hardly be exaggerated. They tended to be the movers, the reformers.” (Davison Turkey. A Short History S.77)
Zur allgemeinen Orientierung über das Landgesetz siehe: Lewis The Emergence of Modern Turkey S.117; zum Nationalitätengesetz siehe: Karpat An Inquiry into the Social Foundations of Nationalism S.87; zum Bildungssystem und ‚Bürgerlichen Gesetzbuch‘ siehe: Matuz Das Osmanische Reich S.241
Siehe: Shaw/Shaw History of the Ottoman Empire and Modern Turkey. Vol.II S.120
Siehe: Longrigg Four Centuries of Modern Iraq S.296
“This land line [from Constantinople to Bagdad] runs from Scutari on the Bosphorous across Asia Minor to Diarbekir, thence to Mosul [...] and thence to Bagdad.” („The Telegraph to India“ (o.V.) S.575)
Siehe: Gövsa „Stichwort: Bedirhan“ S.67
“Although the Turkish ministers more than suspected that Osman Pasha had reasons of his own for granting these terms, they honourably fulfilled the conditions upon which the chief, although a rebel, had surrendered.” (Layard Nineveh and its Remains Bd.1 S.239)
“[...] the Sultan, through Ghazi Osman Pasha, has telegraphed to Osman Bey, the leader of the Kurdish rebellion, saying that if he, Osman, will submit he shall have ‘a free pardon and be rewarded.’ These are the words of the telegramm. The Governor-General is very much annoyed at this [...]” (The Times London 1879 (Ausgabe vom 9.1.) S.10 Spalte b)
Als der Zollaufseher von Diyarbakır der Veruntreuung großer Summen überführt wurde, setzte der vali ihn wohl gefangen, traute sich aber nicht ihn abzuurteilen und zu bestrafen, da Istanbul auf eine telegraphische Anfrage hin, was man mit dem Schuldigen anfangen solle, nicht geantwortet hatte. So der Bericht des Times-Korrespondenten, der sich zur fraglichen Zeit in der Stadt aufhielt. Siehe: ebenda
Rassam Asshur and the Land of Nimrod S.99 (meine Übers.; Original im A.)
“The Turks wanted to create a strong central government, on top of a large number of small cultivators, in order to be able to extract the maximum revenue from the land. They were therefore, anti-shaikh, since the tribal power of the Shaikh's was a threat to the central government.” (Issawi The Economic History of of the Middle East S.73)
Hütteroth Türkei S.228
Es geht um folgenden Artikel des Gesetzes: «Art. 8. La totalité des terres d'une commune ou d'un canton ne peut être concédée, en bloc, à l'ensemble des ses habitants, ou bien, par voie de choix, à un ou deux d'entre eux. Ces terres sont concédées à chaque habitant séparément, et on lui fait remise d'un titre possessoire (tapou), établissant son droit de possession.» (Young Corps de droit Ottoman Bd.6 S.48f) İnalcık kommentiert diesen Art. 8 so: “This is an important indication of the conception of the Tanzimât against the large estates. But as usual this remained in the law books.” (İnalcık „Land Problems in Turkish History“ S.226)
Siehe: Owen The Middle East in the World Economy S.185
“[...] it seems very unlikely that more than a very few titles passed directly into the hands of the real cultivators.” (ebenda S.186)
Barth berichtet aus dem Gebiet des ehemaligen Emirats Baban im Süden des irakischen Kurdistans: “Though the rule existed that no whole village should be registered as the property of any single person, this and other rules were generally overlooked. Thus leaders of tiras, Begs, or in fact any other person who could bribe a few witnesses, registered large tracts of land as their personal property. Although actual power was of course necessary to make these formal transactions effective as far as the collectiong of tax was concerned, the result was that a category of landowner emerged for which there were no clear traditional prescedents, and their claims, when supported by power and supposed Ottoman land code, could not truly be disputed.” (Barth Principles of Social Organization S.53) Siehe auch: Shaw/Shaw History of the Ottoman Empire and Modern Turkey. Vol.II S.115
“The general trend of the reforms was to abrogate the earlier agrarian relationships and progressively to extend and confirm the rights of use, of possession, and of ownership. [...] The actual cultivators, their rights and status much diminished, became share-croppers or hired labourers, at the mercy of a reinforced landlord class which was the principal beneficiary of the reform. The harmful effects of the new law were modified only by the inefficiency of its application.” (Lewis The Emergence of Modern Turkey S.117)
Siehe: van Bruinessen Agha, Shaikh and State S.230-231 (dt.: S.245-246); Hütteroth Türkei S.323
Van Bruinessen (Agha, Shaikh and State S.99 (dt.: S.118)) nennt die Ebene um Arbil als ein Beispiel, hier sei über die Hälfte der gesamten verfügbaren Landfläche in die Hände einer ağa-Familie gelangt, die wiederholt auch osmanische Truppen zum Schutze ihrer ‚Rechte‘ aufmarschieren ließ.
Siehe: Pamuk The Ottoman Empire and European Capitalism S.87
„Therefore, whatever the legal changes in the title situation from the nineteenth century on, it is likely that there would have been few real changes in the landlord-farmer economic balance unless these were accompanied by changes in agricultural technology and physical communications. These, we know, did not alter much until recent years.“ (Yalman „On Land Disputes in Eastern Turkey“ S.188)
Siehe: van Bruinessen Agha, Shaikh and State S.231 (dt.: S.246)
Siehe: ebenda S.232 (dt.: S.246)
Der britische General-Konsul in Täbris, William Abbott, erwähnte diese Kaufaktivitäten in einem Bericht über Sheikh Ubeydullah an seinen Vorgesetzten, den britischen Botschafter Mr. Thomson in Teheran: “I learn that he is purchasing villages both in Turkey and Persia, which will greatly increase his influence [...]” (“Inclosure 2 in No.8 Consul-General Abbott to Mr. Thomson, Tabreez, July 15, 1880” in: The House of Commons „Correspondence Respecting the Kurdish Invasion of Persia 1881“ S.9) Abbotts Quelle ist ein US-amerikanische Missionsarzt in Urmia, Dr. Cochran, der u.a. berichtete, daß Ubeydullah mittels Kauf eines Dorfes versuchte, die ihm feindlich gesonnenen Stämme der Shikak und Herki unter Kontrolle zu bekommen: “[...] the Sheikh [...] bought a village and erected a fort at Beradoost, between the Shekak and Herkee lands.” (“Inclosure 4 in No.8, [Dr. Cochran] to Consul-General Abbott (Extract), Oroomiah, July 8, 1880” in: ebenda S.10) Zu weiteren Informationen über diesen Bericht Dr. Cochrans siehe: Anm.14 S.216