Nationalismus in Kurdistan (1993)

4. Das 19. Jahrhundert

Die Rezentralisierung des osmanischen Staatsapparats und
ihre Auswirkung auf die kurdische Gesellschaft

Anfang des 19. Jahrhunderts schien der endgültige Zusammenbruch des Osmanischen Reiches unmittelbar bevorzustehen. Das Reich war voller rebellischer [– S.146 –] derebeys („Talfürsten“), sich wie unabhängige Herrscher gebärdender Janitscharenkommandanten (besonders entlang der afrikanischen Mittelmeerküste) und selbstherrlicher ayan.[1] Die Unfähigkeit der überkommenen Strukturen, sich gegen den Druck der erstarkten europäischen Großmächte zu behaupten, war durch die Invasion Napoleon Bonapartes in Ägypten (1799-1801) auf krasseste Weise bloßgestellt worden, und die Schmach der Osmanen wurde nicht gerade dadurch gemindert, daß es britische Interventionstruppen waren, die Napoleons Armee zum Rückzug zwangen.[2] Die Eroberung Mekkas (1806) und Medinas (1804) durch die wahhabitischen Saudis mag in diesem Zusammenhang militärisch weniger bedeutsam gewesen sein, für das Prestige der Osmanlı, die seit Selim I. großen Wert darauf legten, „Diener der beiden Heiligtümer“ des Islams zu sein, war es eine schwerwiegende Demütigung.[3]

Das Jahr 1812 brachte dann mit dem nicht allzu ungünstigen Ende des sich seit 1806 hinziehenden Krieges mit Rußland den Anfang einer in einigen Gebieten überraschend effektiven Rezentralisierungskampagne. Ein wichtiges Instrument hierfür waren die während des Krieges eilig aufgestellten, von westlichen Militärberatern gedrillten neuen Infanterietruppen, die anschließend nicht demobilisiert, sondern bevorzugt gefördert wurden und im Bedarfsfall zur Wiederherstellung der sultanlichen Autorität in der Provinz eingesetzt werden konnten. Die unbotmäßigen Provinzherren wurden entweder gegeneinander ausgespielt oder frontal niedergekämpft und so Schritt für Schritt durch loyale beylerbeyis oder valis (wie nunmehr die Gouverneure der Reichsprovinzen häufiger genannt wurden) ersetzt.[4]

Allerdings muß man bedenken, daß von der Säuberungswelle zum einen nur die Spitze des Eisberges betroffen wurde. Die Masse der kleinen, nur lokal bedeutsamen ayan blieb unangetastet, nachdem sie ihre Kooperationsbereitschaft [– S.147 –] mit den neuen valis beteuert hatten.[5] Die Pforte hatte angesichts der vielen Krisen in kürzester Zeit gar nicht die Kraft, ihre Oberhoheit bis auf die lokale Ebene fühlbar zu machen, und kommunizierte weiterhin mit der Masse ihrer Untertanen nur durch die Vermittlung lokaler Patrone, allgemein ağa genannt, die praktisch mit den unteren Rängen der nunmehr kopflosen ayan-Hierarchie identisch waren.[6] Zum anderen gelang die Rezentralisierung im ersten Anlauf nur in den zentral gelegenen Teilen des Reiches, wie Makedonien oder Anatolien. Die weiter entfernten Regionen hingegen entglitten der Pforte zunehmend. Die Donaufürstentümer Moldau und Wallachei etwa gerieten immer stärker unter russische Kontrolle, während die nordafrikanischen Küstenprovinzen nach und nach in die Hände der europäischen Anrainerstaaten fielen. Andere Provinzen wie Serbien unter Miloš Obrenović oder Ägypten unter Muhammed Ali Paşa entwickelten sich ihrerseits schrittweise zu vollständig autonomen ‚Vasallen‘fürstentümern — gerade in der Zeit, da die großen anatolischen ayan untergingen. Und auch in der östlichen Peripherie standen die Zeichen eher auf Loslösung vom Reiche denn auf eine stärkere Einbindung. Noch 1838 schrieb der preußische Militärberater in osmanischen Diensten, Graf von Moltke, über Kurdistan folgendes:

„Das ottomanische Reich umfaßt bekanntlich weite Länderstrecken, in denen die Pforte thatsächlich gar keine Autorität übt, und es ist gewiß, daß der Padischah im Umfang seines eigenen Staats ausgedehnte Eroberungen zu machen hat. Zu diesen gehört das Gebirgsland zwischen der persischen Grenze und dem Tigris [...]“[7]

Die mächtigste Herrscher-Dynastie innerhalb der kurdischen Gesellschaft in den 20er und 30er Jahren des vorigen Jahrhunderts war wohl die des Emirats Soran [– S.148 –] mit ihrer Hauptstadt Rawanduz.[8] Dort herrschte seit 1814 Muhammed Paşa, wegen eines erblindeten Auges „Mir-i Kora“ („blinder Fürst“) genannt.[9] In den ersten Jahren nach seiner Machtübernahme hatte er alle offenkundigen wie potentiellen Rivalen innerhalb des Herrscherhauses systematisch beseitigt und begonnen, seine persönliche Garde zum Kern einer regulären, stammesunabhängigen Armee auszubauen, für die er modernste Waffentechnik beschaffen und sogar eine Kanonengießerei in Rawanduz errichten ließ.[10] Nachdem durch die Ausschaltung aller alternativen Führungsanwärter das tribale Oppositionspotential gegen Mir-i Koras Alleinherrschaftsanspruch vorerst handlungsunfähig gemacht war, stürzte er sich in die Expansion seines Herrschaftsgebietes auf Kosten der angrenzenden Emirate.

In diesem Punkt hatte sich nämlich seit den frühen Tagen der Osmanlı oder Schah Ismails nichts geändert: Die Festigung einer Führungsstellung in einem vorwiegend tribalen Milieu war immer noch am leichtesten durch erfolgreiche Expansion zu erreichen, denn dem Eroberer fremden Reichtums unterwarfen sich auch die widerspenstigsten Stämme willig, um an der Plünderung und der Vergabe der eroberten Pfründe teilzuhaben — ohne dadurch allerdings schon in ihrer Selbständigkeit gebrochen zu sein. Diese rein taktische Unterordnung unter die Führung des Emirs vermochte jedoch auch in direktere Formen der Beherrschung umzuschlagen, wenn die Expansion nur lang genug erfolgreich verlief. In seiner Rolle als unersetzlicher Motor und Organisator der Einverleibung fremder Revenuen konnte ihm bei einigem Glück die notwendige Macht zuwachsen, um die Bedingungen für die Teilhabe an der Neuverteilung der Pfründe diktieren zu können. Durch die Gunst äußerer Umstände scheint dies im Falle Mir-i Koras eingetreten zu sein.

Das südliche Nachbaremirat Baban war durch eine unauflösbare Fehde innerhalb des Herrscherhauses so heruntergekommen und in so desolatem Zustand, daß es zu ernstlichem Widerstand gegen die Einverleibung Koisanjaks, Harirs, [– S.149 –] Raniyas, Arbils und Altın Köprüs in Mir-i Koras Reich nicht fähig war.[11] Im nördlichen Nachbaremirat Badinan war es hingegen ein tribaler Konflikt zwischen sunnitischen und yezidischen Stammeschefs, der dafür sorgte, daß Soran von der sunnitischen Streitpartei regelrecht zur Invasion aufgefordert wurde. Mit Hilfe dieser Verbündeten richteten die Truppen Mir-i Koras 1831 unter den yezidischen Stämmen ein furchtbares Blutbad an[12], um sich gleich darauf des ganzen Emirats zu bemächtigen. Mir-i Kora versuchte anschließend auch einen Angriff auf das nächstgrößere Herrscherhaus, Botan, der aber nach Anfangserfolgen ohne bleibenden Gewinn abgebrochen wurde.[13]

Natürlich waren die internen Krisen der unmittelbaren Nachbarn allein nicht hinreichend für Mir-i Koras Eroberungszüge. Ein weiteres Stimulans war die gleichzeitige, langanhaltende Schwäche der osmanischen Zentralmacht, die in besseren Zeiten einer solch dramatischen Veränderung der Machtbalance in ihrer Peripherie keinesfalls tatenlos zugesehen hätte.[14] Der wichtigste externe Faktor war jedoch die Schwäche der paşas von Mosul und Bagdad, denn in der Praxis unterstanden die Emirate des südlichen Kurdistans zunächst und zuallererst diesen bis zu Beginn der 30er Jahre des vorigen Jahrhunderts weitgehend autonomen Provinzherrn.[15] Naturkatastrophen sowie der gleichzeitige Ausbruch [– S.150 –] einer Pestepidemie verheerten Bagdad dann im Jahre 1831 in so gewaltigem Maße, daß es als Machtfaktor für etliche Zeit ausfiel — zumal die Pest in den folgenden Jahren mehrfach wiederkehrte.[16] Ähnlich stand es um Mosul: Die Macht des letzten Herrschers aus der Jalili-Dynastie, Yahyah Paşa, war so geschwächt, daß Mir-i Kora es sogar wagen konnte, Lösegeld von den Einwohnern Mosuls zu erpressen, indem er mit einer kleinen Streitmacht einen Angriff auf die Stadt androhte.[17]

Begünstigt durch diese äußeren Umstände konnte Mir-i Kora sich offenbar als Führer der Expansion über die jahrhundertealte Kräftezersplitterung innerhalb der Emirate erheben und sich zum effektiven Herrscher aufschwingen. Besonders deutlich zeigte sich dies in der in allen Berichten übereinstimmend hervorgehobenen ‚Sicherheit und Ordnung‘-Politik, die er mit eiserner Hand verfolgte.[18] Seine Kompetenz erschöpfte sich eben nicht mehr darin, solche Streitfälle zu regeln, die ihm von schlichtungswilligen Konfliktparteien aus freien Stücken angetragen wurden[19], sondern der Emir ging dazu über, von ihm selbst dekretierte Normen mit unvergleichlicher Härte durchzusetzen.[20] Ob es ihm allerdings tatsächlich gelungen war, die segmentäre Autonomie der Stammesstruktur vollkommen unter Kontrolle zu bringen, hätte allein eine längere Dauer dieses Staatsgebildes erweisen können. Soran wurde jedoch schon 1836 durch eine osmanische Strafexpedition unterworfen, Mir-i Kora exiliert und wenig später ermordet.[21]

Insgesamt betrachtet handelte es sich um einen klassischen islamischen [– S.151 –] Reichsgründungsversuch, der mit einem Streben nach einer ‚Einigung Kurdistans‘ nichts zu schaffen hatte, aber auch als reine Verteidigung bestehender Autonomie nicht hinreichend beschrieben ist.[22] Das Konzept „Kurdistan“ als ein vorab gegebener, fester Rahmen, den es nun zu einigen gälte, spielte für Mir-i Kora keine relevante Rolle, vielmehr gedachte er, prinzipiell alles, was anderen zu entreißen war, unter seine Herrschaft bringen, d.h. den Herrschaftsbereich der Dynastie Soran universell auszudehnen. Sein „Kurdistan“ war ein überdimensionales Soran.[23]

Ironischerweise wurde Mir-i Kora gerade der Machtkampf zwischen dem Sultan und dessen ägyptischem ‚Vasallen‘ zum Verhängnis, welcher ihn vier Jahre zuvor so begünstigt hatte: Nachdem eine gemeinsame französisch-britische Intervention Muhammed Ali und Mahmud II. zu einer Verhandlungslösung gezwungen hatte, zogen sich die ägyptischen Truppen 1833 aus Anatolien nach Syrien zurück.[24] Schon im folgenden Jahr mobilisierte der Sultan seine Armee, um Syrien durch Waffengewalt zurückzuerobern, wurde aber durch erneutes Eingreifen der europäischen Großmächte gestoppt. Diesmal zogen Rußland und England an einem Strang, um eine Veränderung des status quo zu verhindern.[25] Dadurch entstand eine für Ägypten wie für das Osmanische Reich gleichermaßen unerträgliche Pattsituation, waren doch beide nun gezwungen, an den Grenzen ihrer Herrschaftsbereiche riesige Armeen in permanenter Kriegsbereitschaft zu halten.

Angesichts der völlig unzulänglichen Transportwege war die osmanischen Armee genötigt, sich ihren Nachschub aus dem regionalen Umfeld ihres Standortes selbst zu holen. Die Unterwerfung Kurdistans war daher sozusagen ein [– S.152 –] ‚Abfallprodukt‘ der fünfjährigen Dauerpräsenz von gut 50 000 Soldaten in der an Ressourcen nicht gerade überreichen östlichen Peripherie des Reiches, die nur mit Waffengewalt zur Versorgung der auf der Stelle tretenden Syrienexpedition gezwungen werden konnte.[26]

Konfrontiert mit der Hauptstreitmacht des Reiches mußte sich ein Emirat nach dem anderen ergeben.[27] Nachdem die großen — Soran, Botan[28] und Badinan — gefallen waren, zogen es die kleineren Regionalpotentaten, wie z.B. Khan Mahmud und sein Bruder Khan Abdal, die sich über einhundert Dörfer in der Gegend südlich des Van-Sees untertan gemacht hatten, vor, eine friedliche Übereinkunft mit der Pforte zu suchen, bevor sie mit Waffengewalt dazu gezwungen wurden.[29] Ziel dieser Feldzüge war nicht die Vernichtung der regionalen Dynastien, sondern die Erzwingung ihrer Botmäßigkeit, vor allem aber ging es um die Durchführung von Truppenaushebungen zur Erhaltung der unter [– S.153 –] ungeheurer Sterblichkeit leidenden Armee.[30] Der Emir von Botan, Bedir Khan, 1836 nach monatelangen Kämpfen zur Unterwerfung gezwungen[31], durfte, nachdem ein Versuch, an seiner Statt einen osmanischen paşa in Cizre zu installieren, gescheitert war, wieder in sein Amt zurückkehren.[32] Auch Soran blieb in der Hand der alten Dynastie — ein Bruder Mir-i Koras folgte auf den Thron.[33] Nur die Dynastie von Badinan wurde gewaltsam an einer Rückkehr in ihre Hauptstadt Amadiya gehindert, stattdessen installierte sich dort ein vom Sultan direkt bestellter Statthalter.[34] Die wiederholte Verwüstung Badinans durch Mir-i [– S.154 –] Koras Okkupation und der deshalb geschwächte Widerstand dürften für diese unterschiedliche Behandlung ausschlaggebend gewesen sein.[35]

Emir Bedir Khan jedenfalls scheint die Strafexpedition weitgehend unbeschadet, wenn auch um den Preis einiger Konzessionen, überstanden zu haben. Als der Feldzug der osmanischen Armee gegen das ägyptische Heer 1839 endlich in seine heiße Phase trat, stellte er nämlich regulär ein Kontingent von ca. 750 Soldaten und führte es persönlich — ganz loyaler Vasall — in die Schlacht.[36] Zehn Jahre zuvor, während des Krieges mit Rußland 1828/29, hatte er den gleichen Dienst noch ungestraft verweigern können.[37]

Solche Auf- und Abbewegungen waren in den wechselhaften Beziehungen zwischen den Potentaten von Bitlis, Cizre oder Sulaymaniya und ihrem Oberherrn in Istanbul nichts Besonderes. Im Jahre 1655 beispielsweise ließ Sultan Mehmet IV. den seiner Meinung nach zu selbständigen Emir von Bitlis durch eine Strafexpedition verjagen und installierte dessen Sohn auf dem Thron.[38] Nur wenig später eroberte der vertriebene Emir die Hauptstadt zurück, und letztlich war alles so, als hätte der Angriff nie stattgefunden.[39] So erschienen die Verhältnisse in Kurdistan im Jahre 1839, oberflächlich betrachtet, gegenüber früheren Jahrhunderten kaum verändert, außer daß das Kräfteverhältnis aktuell etwas mehr zur Seite der Zentralgewalt ausschlug, da die Pforte sich in einem Gewaltakt wieder Respekt verschafft hatte.

Das Osmanische Reich von 1839 war jedoch nicht mehr dasselbe wie Mitte des 17. oder des 18. Jahrhunderts. Die großmächtigen ayan waren verschwunden, der ultrakonservative Block aus Janitscharen-ağas und ulemas war [– S.155 –] zerschlagen, die Militärreform, als Vorbedingung und Ausfluß aller Bemühungen um eine weitere Rezentralisierung der Staatsgewalt, war in vollem Gange — wie allein schon die Anwesenheit Moltkes als Mitglied einer offiziellen preußischen Militärmission zeigt. Die letzten noch existierenden timars waren 1831 eingezogen und in Steuerpachten (iltizam) verwandelt worden, im selben Jahr erschien die erste offizielle Zeitung, Takvim-i Vekayi („Kalender der Ereignisse“), ein nicht zu unterschätzendes Instrument zur Meinungssteuerung und -vereinheitlichung innerhalb des Beamtenapparats, der praktisch die gesamte Leserschaft ausmachte.[40] U.a. um eine zuverlässige Auslieferung dieser Zeitung in die Regionalzentren zu bewerkstelligen, wurde 1832 ein staatlicher Postdienst eingerichtet, ein weiterer Schritt zur verstärkten Anbindung der Provinzen an die Hauptstadt.[41]

„Der Staat begann wieder, eine direkte Verwaltung einzuführen [...] Die Sancaks bekamen die Funktion ziviler Regierungsbezirke, die alten Gerichtssprengel (Kaza) wurden administrative Landkreise, mit der Unterteilung in Amtsbezirke (Nahiye). Diese räumlichen Einheiten hatten zwar schon lange existiert, jedoch mit anderen Funktionen, bzw. die letzten zwei Jahrhunderte praktisch ohne Funktion. Jetzt ging der Staat daran, nicht nur einzelne Städte als Stützpunkte staatlicher Macht zu halten, sondern das Land wieder flächenhaft zu kontrollieren.“[42]

Zum erstenmal seit über zweihundert Jahren wurde auch wieder eine Volkszählung durchgeführt, allerdings zeigten dessen Resultate nur zu deutlich die Grenzen der effektiven Verwaltungsreichweite. Während auf dem Balkan und in großen Teilen Westanatoliens die Zählungsergebnisse teilweise bis herunter zur Ebene einzelner Dörfer aufgefächert werden konnten, reichte es in Mittel- und Südanatolien schon auf der Ebene der kazas nur noch für grobe Schätzungen — Syrien, Kurdistan und Armenien wurden gar nicht erst erfaßt.[43]

Die schwerwiegendsten Veränderungen aber betrafen die Ökonomie des Reiches, die sich einer durch die wachsende Einbindung in den kapitalistischen Weltmarkt erzwungenen Umstrukturierung ausgesetzt sah. Mit als erstes war das osmanische Textilhandwerk betroffen, das unter einer zunehmend existenzbedrohenden Konkurrenz durch den Import billiger, weil industriell gefertigter europäischer Massenprodukte litt. Maschinell gesponnenes britisches Baumwollgarn machte den Anfang, bereits in den 30er Jahren war ein drastischer Rückgang der einheimischen Spinnereiproduktion zu beobachten, gleichzeitig [– S.156 –] versechsfachte sich der Import britischen Garns zwischen 1825 und 1835.[44] Britisches Tuch hatte im selben Zeitraum bereits die edlen indischen Importe aus dem höherwertigen Marktsegment auf den großen Umschlagplätzen Istanbul, Izmir, Bursa, Aleppo und Dasmaskus verdrängt; nach 1840 wurden die britischen Importe sogar so preiswert, daß sie auch den Bekleidungsmarkt für die breite Masse der Bevölkerung erobern konnten, den bis dahin die lokale Heimindustrie gedeckt hatte: In der zweiten Hälfte der 40er Jahre reichten allein die britischen Tuchimporte aus, um (rein rechnerisch) jeden Einwohner des Osmanischen Reiches jährlich mit über drei Metern Tuch zu versorgen![45] Hinzu kamen die nicht unbeträchtlichen Importe aus Frankreich (das allerdings seine einstige Vorreiterposition durch die Folgen der Napoleonischen Kriege eingebüßt hatte), Österreich-Ungarn und anderen europäischen Ländern. Daß solch eine Flut von Niedrigpreisimporten für das einheimische Spinner-, Färber- und Weberhandwerk existenzbedrohende Folgen haben mußte, versteht sich von selbst.[46]

Verstärkte Einbindung in den kapitalistischen Weltmarkt bedeutete aber auch ein weiteres Ansteigen der Exporte an unveredelten Rohstoffen, hauptsächlich aus der Landwirtschaft, da der osmanische Bergbau unbedeutend war. Betrachtet man den britisch-osmanischen Handelsvertrag von 1838, der häufiger wegen seiner Bestimmungen über den Import britischer Waren als „Todesurteil für die osmanische Wirtschaft“ oder als „offene Kapitulation vor England“ gebrandmarkt wird[47], so fällt ins Auge, daß offenbar die Durchsetzung ungehinderter (Rohstoff-)Exporte für die britische Seite einen mindestens ebenso hohen Stellenwert gehabt haben muß wie die Förderung britischer Importe: Den Fragen des Exports osmanischer Waren durch britische Händler sowie den Garantien für den reibungslosen Abtransport der von ihnen erworbenen Güter zu den Verschiffungshäfen wird nämlich ebenso viel Platz gewidmet (Artikel II und IV)[48] [– S.157 –] wie jenen Reglungen über die Beseitigung von Binnenhandelshemmnissen für britische Importwaren (Zusatzartikel I und II), denen üblicherweise in der Literatur allein die Aufmerksamkeit gilt.[49]

Neu an diesem Vertrag war nicht etwa die Gewährung von Handelsfreiheit schlechthin, denn die existierte schon längst. Britische Händler durften bereits seit 1580 im Osmanischen Reich verkaufen, was immer ihnen beliebte, nur der Ankauf und Export bestimmter, militärisch relevanter Güter unterlag gelegentlichen Einschränkungen. In der „Kapitulation“ von 1675 hieß es etwa:

„[Es ist Unser großherrlicher Befehl und Wille] XXIII. Daß die englische Nation und alle Schiffe, deren Heimathäfen selbiger Nation untertan sind, in Unserem geheiligten Herrschaftsgebiet eine jegliche Art von Waren kaufen, verkaufen und handeln und (abgesehen von Waffen, Schießpulver und anderen verbotenen Gütern) verladen und in ihren Schiffen transportieren sollen und dürfen, ganz wie es ihnen beliebt, ohne dabei das geringste Hindernis oder Hemmnis durch wen auch immer zu erleiden.“[50]

Neu an dem Vertrag von 1838 war die Aufhebung aller inländischen [– S.158 –] Vermarktungsmonopole sowie die Bündelung der Kompetenz, Zölle oder Gebühren auf Außenhandelswaren zu erheben, in den Ausfuhr- bzw. Einfuhrhäfen. Beides lag durchaus im (kurzfristigen) Interesse der Pforte, da zum einen vom System der Marktmonopole hauptsächlich ihre Machtrivalen in der Provinzen profitiert hatten (vor allem Muhammed Ali von Ägypten), und zum anderen waren die Zollerträge der wenigen für den Außenhandel relevanten Seehäfen weitaus besser zentral zu kontrollieren und abzuschöpfen als die Einnahmen der zahlreichen inländischen Relaisstationen.[51] Deshalb war es die Pforte selbst, die darauf drang, daß die Handelsverträge aller anderen Länder auf dieser Grundlage revidiert wurden.[52]

Langfristig trug diese Vereinfachung und Vereinheitlichung des Außenhandels allerdings dazu bei, daß Preiswettbewerb erstmals zu einem maßgeblichen Faktor auf osmanischen Märkten wurde. Dank ihrer überlegenen Produktivität konnten die europäischen Industrien immer häufiger durch ihre Rohstoffaufkäufer vor Ort die lokalen oder regionalen Binnenabnehmer mit höheren Geboten ausstechen[53] und trotz allem ihre Fertigprodukte immer noch zu geringeren Preisen als die der entsprechenden Erzeugnisse einheimischer Handwerksbetriebe anbieten. Die zusätzlichen Wettbewerbsverzerrungen, die die europäischen Großmächte für ihre Industrien mit den Mitteln der „Kanonenbootpolitik“ erzwangen, waren dagegen nur noch das Tüpfelchen auf dem „i“.[54] Das eigentliche Problem lag in der Tatsache, daß überhaupt ein offener Markt entstand und es damit zu einer Konkurrenz der Produktivität kam. Dazu hatten die internen Brüche und Wandlungen der osmanischen Ökonomie längst die Weichen gestellt, die europäische Einmischung zwang letztlich nur Konsequenzen herbei, die bis dahin durch außerökonomische Machtausübung unterbunden worden waren.

Wenn man schließlich feststellt, daß das Außenhandelsprofil des Osmanischen Reiches sich im 19. Jahrhundert immer mehr dem einer Kolonie näherte, [– S.159 –] daß also unverarbeitete Rohstoffe die bei weitem wichtigsten osmanischen Exportgüter wurden, während Fertigprodukte europäischer Herkunft den Löwenanteil der Importe ausmachten,[55] dann darf man dabei zweierlei nicht außer acht lassen. Erstens begann dieser Prozeß der Einbindung in den Weltmarkt bzw. der Zurichtung auf die Rolle eines abhängigen Rohstofflieferanten und Abnehmers europäischer Industriewaren in den einzelnen Regionen des Reiches zu sehr unterschiedlichen Zeitpunkten. Die Großräume Istanbul und Izmir sowie die balkanischen Provinzen im Grenzbereich zu Österreich-Ungarn waren bereits im 18. Jahrhundert betroffen. Der Export an Rohbaumwolle aus der Region Izmir beispielsweise erreichte schon um 1780 ein all time high, das selbst bei der weltweiten Baumwollknappheit während des nordamerikanischen Bürgerkrieges nicht übertroffen wurde.[56] Die Häfen der östlichen Mittelmeerküste (Beirut, Jaffa, Gaza) hingegen wurden erst nach 1830 regelmäßig von europäischen Handelsschiffen angesteuert.[57] Die irakischen Provinzen kamen noch später ins Blickfeld der Europäer, nämlich nach der Einrichtung einer dampfbetriebenen Handelsschiffahrt auf Tigris und Euphrat (ab 1861).[58] Inneranatolien wurde sogar erst nach 1890 mit dem Bau der Anatolischen Eisenbahn verkehrstechnisch soweit erschlossen, daß der Export von Massengütern lohnend wurde. Nach Kurdistan schließlich drangen die durch die Gesetzmäßigkeiten des Weltmarktes diktierten neuen ökonomischen Beziehungen selbst bis zur Jahrhundertwende nicht in nennenswertem Maße vor.[59] Im Jahre 1838 mußte es daher selbst [– S.160 –] einem so eifrigen Förderer des britischen Exporthandels wie dem britischen Konsul zu Erzurum[60] unvorstellbar erscheinen, daß britische Waren auf einem Markt wie dem von Bitlis jemals konkurrenzfähig werden könnten:

„In Handelssachen ist Bitlis von allen Orten, die ich besuchte, der bedeutenste, und dennoch sind die dortigen Handelsumsätze alles andere als umfänglich. Der Verbrauch an Importartikeln ist mengenmäßig gering und begrenzt auf eine kleine Produktpalette. [...] Der Verkauf an ungebleichtem britischen Kaliko ist mäßig und der unserer Schals noch mäßiger: neben diesen Waren werden einige Wollstoffe umgesetzt, bedruckte Kalikos, Seiden- und Satinstoffe mit kräftigen Farben und etwas Zuckerraffinade. Mit dieser Aufzählung, glaube ich, ist die Liste der Importwaren ziemlich komplett. Der Hauptbedarf wird mit den Manufakturprodukten aus Damaskus, Aleppo und Diyarbakır gedeckt und mit den groben Baumwolltuchen, die hier massenhaft gefertigt werden. [...] Der Kaliko wird billig verkauft; und ich habe Zweifel, ob die britische Ware demgegenüber je wird konkurrenzfähig sein können, aufgrund [...] der enormen Kosten für den Überlandtransport bei einem Artikel, der so sperrig und zudem von so relativ geringem Wert ist.“[61]

Ähnliches berichtete er aus Van; das Textilhandwerk in den kleineren Städten nördlich von Bitlis sei, so der Konsul, sogar noch völlig unberührt von europäischer Konkurrenz.[62]

Zweitens sank das Osmanische Reich bei all seiner Schwäche politisch nicht auf den Status einer regelrechten Kolonie herab, auch geriet es nie vollständig in Abhängigkeit von einer einzigen Großmacht, sondern behielt bis zu seinem Ende einen — wie auch immer geringen — Spielraum für selbständige staatliche Entscheidungen. Zwar war dies wesentlich der Rivalität der europäischen Großmächte geschuldet, die untereinander zu zerstritten waren, um sich auf eine einvernehmliche Aufteilung des Osmanischen Reiches einigen zu können, während gleichzeitig keine von ihnen allein stark genug gewesen wäre, um eine [– S.161 –] Lösung zu ihren Bedingungen erzwingen; trotzdem blieb die Pforte und ihr staatsbürokratischer Apparat ein Faktor von erheblichem Einfluß, den keine wirtschaftliche Macht einfach ignorieren konnte.[63] Eine Folge davon war, daß die exportorientierte Landwirtschaft bis auf zwei Sparten (Tabak und Seide) nicht in die Kontrolle ausländischen Kapitals geriet und ihre Produktpalette erstaunlich breit gefächert blieb. Nach einer Überprüfung des osmanischen Außenhandels mit den Industriestaaten zwischen 1820 und 1913 kommt Pamuk zu folgenden Ergebnissen:

„[...] innerhalb des Untersuchungszeitraums lag der jährliche Anteil pro einzelner Produktart in keinem Fall höher als 15% der gesamten Exporterlössumme. Es hat auch den Anschein, daß der Anteil der acht wichtigsten Produktarten zusammengenommen selten, wenn überhaupt, 60% der gesamten Exporterlössumme erreichte. Daraus folgt, daß die terms of trade im osmanischen Außenhandel nicht von den Wechselfällen einiger weniger Produkte auf den Weltmärkten abhingen. Dies hatte vor allem damit zu tun, daß sich die Anbauformen im Osmanischen Reich während des 19. Jahrhunderts nie ernstlich in Richtung Monokulturen entwickelten. [...] Die Zentralgewalt wehrte während des gesamten Jahrhunderts alle Versuche des ausländischen Kapitals, sie ihrer Steuerbasis, des Kleinbauerntums, zu berauben, ab. Dies hatte zur Folge, daß die Bemühungen ausländischer Kapitaleigner, die Produktionsverhältnisse im Agrarbereich umzuwälzen durch Errichtung landwirtschaftlicher Großbetriebe, die mit Lohnarbeitern für den Weltmarkt produzieren, im Sande verliefen.“[64]

Tatsache ist aber auch, daß in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts neben Textilien Artikel aus nahezu allen Bereichen des täglichen Bedarfs, selbst Mehl und Petroleum, importiert werden mußten.[65] Nur sollte man bei der Beschreibung dieses Zustandes nicht mit Schlagworten wie „Halbkolonie“ verdecken, daß das gesellschaftliche bzw. ökonomische Geschehen im Osmanischen Reich sich zu einem sehr großen Teil nach seiner eigenen Logik entfaltete und veränderte.[66]

Das groß angelegte staatliche Industrialisierungsprojekt der 40er Jahre etwa paßt überhaupt nicht zu dem Bild von einem hoffnungslos in den Fängen des Imperialismus zappelnden Marionettenregime. Ausgangspunkt war das als bedrohlich empfundene Anwachsen der Abhängigkeit des administrativen und militärischen Apparates von Importen aus potentiellem Feindesland. Nach einigen erfolglosen Versuchen, Endfertigungsanlagen für Uniformen, Waffen [– S.162 –] und Papier zu etablieren, entschloß sich die Pforte zu einem Gesamtentwicklungskonzept, das von der Rohstofferschließung über den Ausbau der Transportwege bis zur Technikerausbildung in eigenen Schulen alles mit einbezog.[67] Unter der Regie eines zentralen Staatsmanagements entstand zunächst in der Nähe der Hauptstadt eine Art Industrierevier inklusive eigener Arbeitersiedlungen; weitere Industrieanlagen rund um das Marmarameer folgten, in denen von Dampfschiffen und Kanonen über Porzellan und Seidentapeten bis zu Uniformen und Lederstiefeln so ziemlich alles herzustellen versucht wurde, was Militär und Palast gebrauchen konnten.[68] Obwohl gewaltige Summen investiert wurden und die Pforte alle erdenkliche Unterstützung gab, endete das Projekt nach einem Jahrzehnt in einem Fiasko.[69] Von mehreren Dutzend Fabriken überlebten nur vier die Aufbauphase, diese vier allerdings produzierten erfolgreich sogar bis ins 20. Jahrhundert hinein.[70]

Da das Industrialisierungsprojekt allein auf Erlangung der Selbstversorgungsfähigkeit im Staatsapparat ausgerichtet war, hat sein Scheitern wenig mit der europäischen Konkurrenz oder den ungünstigen Handelsverträgen zu tun[71], vielmehr hatte sich das krisengeschüttelte Reich mit diesem gewaltigen “crash program” übernommen.[72] Es verfügte einfach nicht über die Reserven, um die lange Durststrecke bei der staatsdirigistischen Schaffung einer eigenen Infrastruktur finanziell zu überstehen. Der ganze Ansatz aber zeigt, daß der osmanische Herrschaftsapparat — zumindest bis zum Ausbruch des Krimkrieges — sehr wohl in der Lage war, der europäischen Penetration mit Gegenstrategien und eigenen Initiativen zu begegnen.

Zu diesen Gegenstrategien gehörte auch das berühmte „Hatt-ı Şerif von [– S.163 –] Gülhane“[73], das 1839 jene Ära westlich inspirierter Staatsreformen einleitete, die in der offiziellen osmanischen Geschichtsschreibung Tanzimat-ı Hayriye („heilsame Neuordnung“) oder kurz tanzimat genannt wird. Hauptadressat dieser Reformproklamation war natürlich der Westen, dem bewiesen werden sollte, daß das Reich zur inneren Erneuerung aus eigenen Kräften fähig war, in der Hoffnung, daß den Großmächten damit ein wichtiger Vorwand zur Einmischung genommen würde. Das Hatt-ı Şerif garantierte Sicherheit des Lebens und Eigentums vor (staatlicher) Willkür, Einführung einer öffentlichen Rechtsprechung, Neuordnung des Steuerwesens, Abschaffung der Steuerpacht, ein gerechtes Rekrutierungssystem für die Armee sowie Beschränkung der Dienstzeit auf höchstens fünf Jahre statt der bis dato praktisch lebenslänglichen Verpflichtung.[74] Der entscheidende Schritt lag aber in der Erklärung, wer alles von diesen Neuerungen profitieren solle:

„Indem sich diese großherrliche Gnadenacte auf alle Unsere Unterthanen bezieht, welcher Religion oder Secte sie auch angehören mögen, so sollen alle gleichmäßig daran Theil haben. Es ist also den Bewohnern des Reichs sammt und sonders, im Einklang mit dem göttlichen Gesetz, für Leben, Ehre und Eigenthum von Uns vollkommene Sicherheit gewährleistet worden.“[75]

Damit war das Prinzip der allgemeinen und gleichen Staatsbürgerschaft für alle Untertanen der Pforte ohne Unterschied nach Religionszugehörigkeit eingeführt, was trotz der rituellen Beschwörung der „göttlichen Gesetze“ einen Bruch mit den elementarsten Prinzipien der şeriat darstellte. Diese Umwälzung aller traditionellen Staatsauffassung stand trotz allem im Dienst der unveränderten ultima ratio osmanischer Politik: Machtsicherung und Reichserhalt. Denn seit der europäischen Militärintervention zugunsten des peloponnesischen Aufstands war klargeworden, daß das Reich ohne Beistand einer ‚Schutzmacht‘ nicht mehr in der Lage war, im ‚Konzert der Großmächte‘ mitzuhalten, eine Lehre, die [– S.164 –] in der langanhaltenden Konfrontation mit dem rebellischen Statthalter von Ägypten nur zu häufig Bestätigung fand. Mit der tanzimat, den neuen Handelsverträgen und dem Industrialisierungsprojekt trat die Pforte daher die Flucht nach vorn an.

Eine solche Initiative war auch bitter nötig, da die Niederlage in der Schlacht bei Nisib (1839) zu einem vollständigen Zusammenbruch der osmanischen Armee geführt hatte und die in jahrelangen Kämpfen mühsam errungene Kontrolle über den Ostteil des Reiches über Nacht wieder verloren gegangen war.[76] Beides hing direkt damit zusammen, daß fast alle osmanischen Soldaten gewaltsam zum Dienst gepreßt worden waren.[77] Moltke schätzte, daß die Hälfte der bei Nisib zum Kampf angetretenen Armee aus den gerade erst unterworfenen Emiraten Kurdistans gezogen worden war, und meinte, es sei kein Wunder, daß „diesen Leuten der Tag einer verlorenen Schlacht als der erste Tag ihrer Befreiung erscheinen mußte.“[78] Zu Tausenden strömten die Deserteure zurück in ihre Heimatorte und verbreiteten die Kunde, daß die große osmanische Armee untergegangen war und der Sultan nun vor den Heeren Muhammeds zittern mußte.

Der entthronte Badinan-Emir Ismail war mit einer der ersten, der aus dieser Schwäche Nutzen zu ziehen und seine alte Autonomie wiederzuerlangen suchte, wobei ihm jedoch nur vorübergehend Erfolg beschieden war.[79] Auch Emir Bedir Khan von Botan schüttelte die Fesseln unmittelbarer zentralstaatlicher Kontrolle ab — ohne sich allerdings deswegen vom Sultan loszusagen —, bemühte sich [– S.165 –] aber nach Kräften, das von den geschlagenen Osmanen hinterlassene Machtvakuum durch Expansion der eigenen Herrschaft auszufüllen. Von Mosul bis zum Van-See und von Diyarbakır bis zur persischen Grenze versuchte er, sich sämtliche Lokalherrscher untertan zu machen.[80] Etliche Autoren sehen in ihm den ersten wahrhaft nationalen Führer, denn anders als Mir-i Kora habe er seine Nachbarn nicht überfallen und unterworfen, sondern sich mit ihnen „verbündet“ und eine große „Konföderation“ auf freiwilliger Basis geschaffen.[81] Wie van Bruinessen anmerkt, hat hier die verklärende ‚Hofgeschichtsschreibung‘ der Nachfahren Bedir Khans, die in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts die wohl aktivsten Propagandisten des kurdischen Nationalismus waren, ihre Wirkung hinterlassen.[82] Eine kurze Betrachtung des Aufstiegs Bedir Khans zum zeitweilig mächtigsten Herrn in ganz Kurdistan wird zeigen, daß in den entscheidenden Punkten kein Unterschied zwischen Bedir Khan und Mir-i Kora bestand.

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Fußnoten

1
„Die Schwäche der Zentralregierung hat gegen Ende des 18. Jahrhunderts ihren höchsten Grad erreicht. Es gab in den Provinzen eigentlich nur zwei Kategorien von Statthaltern: solche, die sich als unabhängige Landesherren benahmen, und solche, die gar keine Autorität hatten.“ (von Sax Geschichte des Machtverfalls der Türkei S.129) So wurden beispielsweise gerade noch zwei der anatolischen vilayets von beylerbeyis regiert, die die Pforte selbst eingesetzt hatte. Siehe: Lewis/Mordtmann „Stichwort: Derebey“ S.206
2
Der ganze Feldzug und sein Scheitern durch britisches Eingreifen ist bei Zinkeisen ausführlich geschildert. Siehe: Zinkeisen Geschichte des Osmanischen Reiches. Sechster Theil S.887-904
3
Der Titel „Diener der beiden Heiligtümer“ war den Osmanlı als Ausdruck ihrer unangefochtenen Vormachtstellung in der muslimischen Welt unvergleichlich viel wichtiger als die rein fiktive Kalifenwürde. Letztere gewann erst im 19. Jahrhundert als außenpolitisches Instrument eine nennenswerte Rolle. Siehe: Jäschke „Das osmanische Scheinkalifat von 1922“ S.196
4
“By a series of political, military, and police actions he [Sultan Mahmud II., G.B.] overcame rebellious pashas and autononous derebeys alike, and replaced them by appointed officials sent from Istanbul.” (Lewis/Mordtmann „Stichwort: Derebey“ S.207)
5
“Mahmud's war against the refractory âyan resulted in the dispossession of many of them and restored much of the sultan's authority in the provinces. Yet hundreds of these notables remained at the head of local administrations and in possession of large leaseholds. Still constituting the most influential class in the provinces, they often appeared to the passive local populations in the guise of protectors against oppressive governors and an arbitrary central authority.” (İnalcık „The Nature of Traditional Society“ S.54)
6
âyan usually had the title of ağa's, but ağa's mentioned together with âyan meant lesser âyan in the provinces [...]” (İnalcık „The Nature of Traditional Society“ S.48) Der Titel ağa „ist wegen seines vielschichtigen Gebrauchs (bis in die Gegenwart) nicht übersetzbar. Der Ağa ist entweder der reichste Bauer oder der Patriarch einer bedeutenden Großfamilie, vielleicht auch der respektierte Nachkomme eines berühmten Stammeschefs, ein seßhaft gewordener Sipahi oder ein ehemaliger Steuereintreiber, der durch Verschuldung der Bauern eine wirtschaftliche Machtposition aufgebaut und sich im Dorf niedergelassen hat. [...] Der Ağa repräsentiert die Dorfgemeinschaft nach außen [...] Er tritt als Vertreter des Dorfes gegenüber staatlichen Autoritäten auf [...]“ (Hütteroth Türkei S.225)
7
von Moltke Briefe über ... Begebenheiten in der Türkei S.283; die erste Auflage von 1841 lag mir auch vor, da sie aber im Gegensatz zur sechsten wohl recht rar ist und sich textlich nur durch die heute unübliche Schreibweise der Umlaute („thatsaͤchlich [...] Autoritaͤt uͤbt“) unterscheidet, zitiere ich nach der Ausgabe von 1893, die übrigens über einen sehr umfangreichen Kommentarapparat, nützliche Anhänge und eine gute Karte verfügt.
8
Siehe: Jwaideh The Kurdish Nationalist Movement S.151
9
Siehe: Abschnitt „Über den Beinamen Kōra“ bei Nebez Der kurdische Fürst Mīr Muhammad-ī Rawāndı˚ S.50-53; die maßgebliche Quelle ist der Augenzeugenbericht des britischen Arztes Ross, zitiert bei: Fraser Travels in Koordistan, Mesopotamia &c. Bd.1 S.77
Zur Beseitigung der Rivalen: Die „Berichte unterscheiden sich im wesentlichen nur in Einzelheiten und in Angaben über verschiedene Methoden, die der Mīr anwandte. Sie laufen aber alle auf ein Resultat hinaus: Mīr-ī Kōra konnte seine Rivalen unter den Verwandten restlos beseitigen.“ (Nebez Der kurdische Fürst Mīr Muhammad-ī Rawāndı˚ S.79)
Zur Armee: Nach Nebez' Übersicht der verschieden Angaben zur Größe der Soran-Armee umfaßte sie im mobilisierten Zustand etwa 20 000 Mann — davon stellte Mir-i Koras Garde ungefähr 3 000 Mann. Siehe: ebenda S.63-65; auch hier ist Dr. Ross' Augenzeugenbericht — zitiert via Fraser Travels in Koordistan, Mesopotamia &c. Bd.1 S.78 — die maßgebliche Quelle.
Zur Kanonengießerei siehe: Nikitine „Stichwort: Rawāndĭz Ruiyndĭz“ S.1221; Nebez bestätigt, daß noch 1956 drei Kanonen in Rawanduz zu sehen waren mit Gravuren, die als Herstellungsjahr 1818/9, 1826/7 bzw. 1828/9 sowie den Herstellungsort Rawanduz auswiesen. Siehe: Nebez Der kurdische Fürst Mīr Muhammad-ī Rawāndı˚ S.66
Dies fand zwischen 1822 und 1824 statt. Siehe: Nebez Der kurdische Fürst Mīr Muhammad-ī Rawāndı˚ S.123-128; Jwaideh The Kurdish Nationalist Movement S.155f
Siehe: Jwaideh The Kurdish Nationalist Movement S.161-163; Scher „Épisodes de l'histoire du Kurdistan“ Abschnitt VII «Histoire de Mehammad Pacha, surnommé Mir Kor» S.132-139; hier: S.134
Laut Nebez' Rekonstruktion fand dieser Angriff ca. 1834 statt. (Siehe: Nebez Der kurdische Fürst Mīr Muhammad-ī Rawāndı˚ S.133-135; vgl. zum Verlauf auch: Jwaideh The Kurdish Nationalist Movement S.166f) Es ist unersichtlich, wie Nezan in seiner Interpretation dieser Episode dazu kommt, Mir-i Kora zu unterstellen, er habe aus dem Wunsch, „nutzlose innere“ [innen wovon?] „Kämpfe zu vermeiden“, darauf verzichtet, „seine Einflußsphäre mit Gewalt zu erweitern“ — also Botan ebenso zu unterwerfen wie zuvor Badinan und Teile Babans. Siehe: Nezan „Die Kurden unter der osmanischen Herrschaft“ S.52
War es nach 1821 zunächst der peloponnesische Aufstand gewesen, der das osmanische Heer am anderen Ende des Reiches gebunden hielt, kamen 1826 mit dem Massenmord an den Istanbuler Janitscharen und 1828/29 mit den schweren Niederlagen gegen die Interventionstruppen Rußlands neue Katastrophen hinzu, die im letzteren Falle zudem an der Kaukasusfront mit erheblichen Gebietsverlusten vom Sevan-See bis zum Araxes bezahlt werden mußten. (Siehe: Rosen Geschichte der Türkei. Erster Theil S.90) Später befand sich die Armee, die seit der Vernichtung des Janitscharenkorps noch keine neuen, funktionsfähigen Organisationsstrukturen gewonnen hatte, mitten in fieberhaften Vorbereitungen für den als unvermeidlich angesehenen Waffengang mit den Truppen des ägyptischen Statthalters Muhammed Ali. Nach dem Sieg der ägyptischen Expedition über die osmanischen Armee Ende 1832 bei Konya — also mitten in Zentralanatolien — war das Reich nicht einmal mehr in der Lage, die eigene Hauptstadt zu verteidigen, geschweige denn die Verselbständigung eines Vasallen in der entlegenen östlichen Peripherie zu verhindern. Siehe: Shaw/Shaw History of the Ottoman Empire and Modern Turkey. Vol.II S.33f
Siehe hierzu die Studie von Nieuwenhuis (Politics and Society in Early Modern Iraq). Demnach trat im südlichen Kurdistan — mindestens ebenso stark wie die übergeordnete Vasallitätsbeziehung zum osmanischen Sultan — zusätzlich der Einfluß der persischen Khans von Kermanshah und Täbris in Erscheinung. Persische Truppen waren beispielsweise 1834 permanent in Sulaymaniya stationiert, und Nurullah Bey, Emir von Hakkâri, war damals dem persischen Thronfolger, dem Khan von Täbris, untertan. Siehe: Fraser Travels in Koordistan, Mesopotamia &c. Bd.1 S.147 und S.61
Siehe den ausführlichen Bericht von Fraser Travels in Koordistan, Mesopotamia &c. Bd.1 „9. Brief“ S.233-254).
Southgate, ein Zeitzeuge, berichtet: “The bold chieftain, Ravendouz Bey, ventured with a few hundred men as far as the little village of Jonah, opposite the town, and, by threats, extorted immense sums from the people.” (Southgate Narrative of a Tour through ... Kurdistan Bd.2 S.241) Dies scheint 1831 stattgefunden zu haben.
“[...] there is not now a thief or theft in the country. The whole craft and practice of robbery has been cut short by a summary process: whoever is caught possessing himself of the goods of others is punished on the spot, or put to death without mercy.” (Fraser Travels in Koordistan, Mesopotamia &c. Bd.1 S.65)
Allerdings setzte auch das schon die Fähigkeit voraus, dem Urteilsspruch notfalls mit Gewalt Beachtung verschaffen zu können.
Siehe: Scher „Épisodes de l'histoire du Kurdistan“ S.138; Nebez Der kurdische Fürst Mīr Muhammad-ī Rawāndı˚ S.107f; Fraser Travels in Koordistan, Mesopotamia &c. Bd.1 S.65-67
Der Brite Ainsworth berichtete: “[...] from inquiries we made at Amasiyeh itself, shorty after the time, we learned that he was overtaken there by a messenger from Canstantinople with the bowstring.” (Ainsworth Travels and Researches in Asia Minor ... Bd.2 S.323) Siehe auch: Scher „Épisodes de l'histoire du Kurdistan“ S.137
Küchler und Nezan sind typische AnhängerInnen jener Richtung, die „Kurdistan“ als eine seit Urzeiten präformierte, nationale Geschehenseinheit begreift: „[...] unter dem Soran-Fürsten Mîrî Kore (getötet 1836) [... wurde] die Kraft und der Wille zur Einigung des ganzen kurdischen Gebietes erkennbar [...]“ (Küchler Öffentliche Meinung S.103) „Abkömmling des berühmten Saladin, erträumte er [Mir-i Kora, G.B.] für seine Dynastie die Ehre, Einigkeit und Unabhängigkeit Kurdistans zu erlangen.“ (Nezan „Die Kurden unter der osmanischen Herrschaft“ S.51) Roth hingegen hält den rein konservativen Aspekt für den entscheidenden. Er schreibt: „Ausschlaggebend für die großen Aufstände war [...] der Versuch von Sultan Mahmut II.[,] 1826 die Zivilverwaltung als Teil seiner Reformen auch auf Ostanatolien auszudehnen, was einer Entmachtung der kurdischen Fürsten gleichkam.“ (Roth u.a. Geographie der Unterdrückten S.50f)
Die Tatsache, daß ein gestandener Nationalist wie Nebez zu der gleichen Einschätzung kommt, verdient Beachtung: „Das Vaterland eines Fürsten war sein Fürstentum, das er von seinem Vater geerbt hatte. Er eroberte ein anderes Fürstentum aus ganz anderen Motiven als dem der nationalen Einigung des Volkes. Ihm lag lediglich an der Vergrößerung seines Machtbereiches und seines Vermögens. So auch Mīr-ī Kōra und seine[...] Nachbarn.“ „Nach [...] Überprüfung der [...] Zeugnisse über Mīr-ī Kōras Bewegung und Staat möchte ich [...] sagen, daß das Ziel seiner Bemühung nicht war, eine bewußt kurdisch-nationale Bewegung ins Leben zu rufen [...] sein Staat [war] ein sunnitisch-islamischer Staat und seine Zielsetzung war eine rein dynastische Machtergreifung.“ (Nebez Der kurdische Fürst Mīr Muhammad-ī Rawāndı˚ S.152 und S.104f)
Siehe: Shaw/Shaw History of the Ottoman Empire and Modern Turkey. Vol.II S.33f
Siehe: ebenda S.50
Ich stütze mich hier im wesentlichen auf Moltkes Analyse: „Schrecklich war daher der Druck, welcher seit Jahren auf diesen unglücklichen Provinzen lastete; aber auch das ganze Reich seufzte unter der Bürde, ein großes Heer in fernen Gegenden ohne irgend einen anderen Grund zu unterhalten, als weil eben ein mächtiger Nachbar dort auch ein Heer unterhielt. Es sind in sieben Jahren hier mindestens 50 000 Rekruten ausgehoben und begraben, 100 Millionen unproduktiv verzehrt, nur weil der Gegner denselben Aufwand machte.“ (von Moltke Briefe über ... Begebenheiten in der Türkei 64. Brief S.400f) Siehe auch: ebenda (Anhang) S.525
“Tribe after tribe was reduced, the castles at the head of the tributaries of the Tigris fell before the victorious troops, and Hafiz Pasha returned covered with glory [...]” (Ainsworth Travels and Researches in Asia Minor ... Bd.1 S.295)
Moltke fand Cizre, die Hauptstadt Botans, noch zwei Jahre nach der Eroberung durch die osmanische Armee in einem erbärmlichen Zustand vor: „Die Stadt ist von einer Mauer aus Basalt umschlossen, die Reschid Pascha während mehrerer Monate bestürmte. Nach der Eroberung ist hier furchtbar gehaust worden [...] Die Stadt selbst ist ein Trümmerhaufen, und in den verödeten Straßen sucht man nur mit Mühe einige wenige Menschenwohnungen auf.“ (von Moltke Briefe über ... Begebenheiten in der Türkei 43. Brief S.251f) Noch 1840 fand Ainsworth die Stadt so verwüstet vor, daß er es vorzog, sein Nachtquartier in einem Dorf drei Meilen weiter nördlich zu suchen: “The population [...] could not be averaged at 1000 souls. [...] In the dearth of every thing in Jezireh, we proceeded the same evening to Mansuriyeh [...]” (Ainsworth Travels and Researches in Asia Minor ... Bd.2 S.345) Bemerkenswerterweise erwähnt Ainsworth, der sonst an allen Details der lokalen Politik interessiert ist, Emir Bedir Khan nicht mit einem Wort.
Der britische Konsul zu Erzurum berichtete im Jahr 1838 über Khan Mahmud folgendes: “Khán Maḥmúd is the son of an independent chief of a district called Mukush [...] The family possessions had descended to the son of an elder brother; and Khán Maḥmúd and other brothers had acquired for themselves by the sword the possession of upwards of 100 villages, which had belonged to the Pásháliḳ of Ván. [...] Latterly Khán Maḥmúd had thought it prudent to tender his submission to the Ser’asker of Erẓ-Rúm through Iṣ-ḥáḳ Páshá of Ván [...]” “He had agreed that the Rayahs in the districts commanded by himself and his brothers should pay to the Sulṭán, Kharáj and the usual taxes which until now had gone into his own exchequer, that the fixed quota of men should be furnished to the regular force and militia. He had a year or two before allowed an agent of the Porte to take a census of the population of his territory. What other concessions the Páshá of Erẓ-Rúm would demand was not yet determined on, but it was understood that if all were acceded to, Khán Maḥmúd and Khán Abdál would be named Musellims, i.e. governors of their respective districts.” (Brant „Notes on a Journey Through a Part of Kurdistán. 1838“ S.387 und S.391)
„Die Einnahmequelle an Staatsabgaben, welche diese Siege in den neu gewonnenen Gebieten eröffneten, war allerdings sehr unbedeutend, ja sie wog vor der Hand die auf die Expedition gewandten Kosten nicht auf [...] Wichtig aber war es für die Pforte, aus den Kurden, welche im Cavalleriedienst [...] alle andern [...] übertreffen, nun mehrere Regimenter dieser für den Krieg in Steppenländern so wichtigen Waffengattung ausheben zu können.“ (Rosen Geschichte der Türkei. Erster Theil S.264) Siehe auch weiter unten das Moltke-Zitat auf S.164 in Anm. 77
Da Reşid Paşa, der Bezwinger von Cizre (siehe weiter oben Anm. 28) bereits im Winter 1836/7 starb (siehe: Rosen Geschichte der Türkei. Erster Theil S.265), ist Franz' Darstellung, Cizre sei 1838 unter Beteiligung Moltkes erobert worden, falsch. (Siehe: Franz Kurden und Kurdentum S.39) Vielleicht wurde Franz durch ein kleines Mißgeschick in einer Fußnote bei van Bruinessen in die Irre geführt: Während im Haupttext seiner Dissertation noch das richtige Datum angegeben war, unterlief ihm in der Fußnote der Fehler, die Datierung des Moltke'schen Berichts für das Datum der Unterwerfung Bedir Khans unter Reşid Paşa anzunehmen. In einem späteren Text wiederholt van Bruinessen übrigens das falsche Datum. Siehe: van Bruinessen Agha, Shaikh and State S.225 und Anm.140 auf S.224 (dt.: S.240; Anm.140 S.239); dort heißt es an beiden Stellen „1838“; ders. „Vom Osmanismus zum Separatismus“ S.117; von Moltke Briefe über ... Begebenheiten in der Türkei 44. Brief S.271f
Ainsworth (Travels and Researches in Asia Minor ... Bd.1 S.292) berichtet von einer “rebellion of the natives against a governor appointed by Reshid Pasha after the siege and capture of Jezireh Ibn Omar” im Jahre 1837. Zum Beweis seiner neuerlichen Vasallentreue nahm der geschlagene Emir 1838 am Feldzug gegen einen anderen widerspenstigen Emir, Said-Bey, teil. Dies ist dem Bericht Moltkes zu entnehmen: „Zu den bedeutendsten Häuptern [unter den Kurdenfürsten, G.B.] gehörte [...] Vede-han-Bey, der heute an unserer Seite ficht; Sayd-Bey, dessen Schloß eben in Flammen auflodert [...]“ (von Moltke Briefe über ... Begebenheiten in der Türkei 45. Brief S.284f) „Vede-han-Bey“ ist Moltkes lautmalende Wiedergabe für „Bedir Khan“, wie Niewöhner mit Sicherheit meint annehmen zu dürfen. (Siehe: Niewöhner „War der Kurdenfürst Bedir-Khan-Bey ...?“ S.138) Safrastian sieht hingegen in Moltkes „Vede-han-Bey“ einen Kurdenchef aus „Shirvan“, was aber dadurch entwertet wird, daß er im selben Atemzug den kommandierenden osmanischen General, Kurd-Mehmed Paşa, allein aufgrund seines Namenszusatzes zu einem weiteren kollaborierenden kurdischen Emir erklärt. Siehe: Safrastian Kurds and Kurdistan S.52
“The present bey [1840, G.B.] is brother to the late chieftain, who rebelled against the Osmanli government [...]” (Ainsworth Travels and Researches in Asia Minor ... Bd.2 S.322) “Rassoul Pasha, a brother of Koor Meer, succeeded the latter in the government of Ravandooz. But the Turks at length found that their confidence in him was misplaced, he too discovering symptoms of revolt. Three years ago [i.e. 1846, G.B.], he was compelled to flee before an advancing Turkish army, into Persia, from whence, through English interference, he has since been permitted to return as a private person, to reside at Bagdad. The present governor of Ravandooz is Hâjee Muhammed Agha, an honest Turk. Thus has this wild region been effectually subdued [...].” (Perkins „Journal of a Tour from Oroomiah to Mosul“ S.92)
Rawlinson berichtet, “Isma‘íl, Páshá of ‘Amádíyah”, habe sich “at the time of my visit” — also 1838 — schon in den Besitz des größeren Teils seines alten Herrschaftsbereiches gebracht und strebe nun danach, auch den Rest zurückzuerobern. (Rawlinson „Notes On a Journey From Tabríz“ S.26) Daran wurde er aber durch den vali von Mosul gehindert. (Siehe: Jwaideh The Kurdish Nationalist Movement S.174) Da Moltke unter den bedeutenden Kurdenemiren auch einen „Ismael-Bey von Acre, den die Pforte zum Pascha erhoben, der aber in seiner Treue verdächtig ist“ erwähnt, gehe ich davon aus, daß der Badinan-Fürst Ismail sich nach dem gescheiterten Vorstoß auf Amadiya in die Stadt Aqra zurückzog und auf seine Stunde wartete. (von Moltke Briefe über ... Begebenheiten in der Türkei 45. Brief S.285)
“Although his [gemeint ist Mir-i Kora, G.B.] sway only lasted a few years the Bahdīnān family never fully recovered its power and in 1254/1838 the area was finally incorporated in the sandjak of Mawsil.” (MacKenzie „Stichwort: Bahdīnān“ S.920) Amadiya beispielsweise war laut Augenzeugenberichten zu Dreiviertel zerstört worden. Siehe: Jwaideh The Kurdish Nationalist Movement S.167 mit Anm.2
Nach Niewöhners Erkenntnissen nahm Bedir Khans Truppe an einem Entlastungsangriff auf Aintap teil und erreichte anschließend das Hauptheer nicht mehr rechtzeitig, um in die Entscheidungsschlacht bei Nisib eingreifen zu können. Siehe: Niewöhner „War der Kurdenfürst Bedir-Khan-Bey ...?“ S.142-143
Siehe: Safrastian Kurds and Kurdistan S.55; Safrastian beruft sich für diese Information auf eine nur im Manuskript vorliegende armenische Chronik.
Siehe: van Bruinessen Agha, Shaikh and State S.191 (dt.: S.191); die deutsche Übersetzung gibt irrtümlich 1665 an.
Siehe: ebenda S.196 (dt.: S.212)
Siehe: Lewis The Emergence of Modern Turkey S.93; Shaw/Shaw History of the Ottoman Empire and Modern Turkey. Vol.II S.35
„As the post service was organized during the same year [1832, G.B.], it may fairly be assumed that this was stimulated by the necessity of sending off the thousands of newspaper copies every week.“ (Ahmed Emin The Development of Modern Turkey S.31)
Hütteroth Türkei S.227
Diese Informationen finden sich bei Hütteroth (ebenda S.228) höchst anschaulich zu einer Karte („Fig.65 ‚Die Verwaltungseffizienz des Osmanischen Reiches um 1830‘“) aufbereitet.
Siehe: İnalcık „When and How British Cotton Goods Invaded ...“ S.380f
Siehe: Owen The Middle East in the World Economy S.93
“Faced with this avalanche of cheap European fabrics, protected by only the most minimal of tariffs, it is not surprising that many Middle Eastern spinners, weavers and dyers were forced out of business. Others suffered greatly from the fact that it became more difficult to find supplies of cotton and silk either as a result of falling production or of competition for their purchase by foreign buyers.” (ebenda)
Siehe z.B.: Keskin Die Türkei S.24f; letzteres stellt ein recht abgeschmacktes Wortspiel mit dem Begriff „Kapitulation“ dar, siehe weiter oben: S.125 Anm. 2
Artikel II wurde in seinen wesentlichen Teilen schon weiter oben zitiert (siehe: S.129 Anm. 17) Artikel IV lautet: “Art. IV. If any article of Turkish produce, growth, or manufacture, be purchased for exportation, the same shall be conveyed by the British merchant or his agent, free of any kind of charge or duty whatsoever, to a convenient place of shipment, on its entry into which it shall be liable to one fixed duty of nine per cent. ad valorem, in lieu of all other interior duties. Subsequently, on exportation, the duty of three per cent., as established and existing at present shall be paid. But all articles bought in the shipping ports for exportation, and which have already paid the interior duty at entering into the same, will only pay the three per cent. export duty.” (The House of Commons „Convention of Commerce and Navigation 1839“ S.4)
Die Bestimmungen über den Import finden sich in einem separaten Vertragsteil, da bei Unterzeichnung des Textes die Zustimmung der britischen Regierung zur endgültigen Formulierung dieser Klauseln noch fehlte. Leider hat dies Hurewitz wie auch Issawi dazu verleitet, diese Passagen in ihren Textsammlungen auszulassen, was einige Verwirrungen auslöst, da auf den Inhalt der fehlenden Artikel jeweils in den einleitenden Erläuterungen trotzdem Bezug genommen wird. (Siehe: Hurewitz The Middle East ... in World Politics. Vol.1 S.265-267; Issawi The Economic History of of the Middle East S.38-40) Die wichtigsten Passagen des ersten Zusatzartikels lauten so: “All articles being the growth, produce, or manufacture of the United Kingdom of Great Britain and Ireland and its dependencies, and all merchandi[s]e, of whatsoever description, embarked in British vessels, and being the property of British subjects, or being brought overland, or by sea, from other countries by the same, shall be admitted, as heretofore, into all parts of the Ottoman Dominions, without exception, on the payment of three per cent. duty, calculated upon the value of such articles. And in lieu of all other and interior duties, whether levied on the purchaser or seller, to which these articles are at present subject, it is agreed that the importer, after receiving his goods, shall pay, if he sells them at the place of reception, or if he sends them thence to be sold elsewhere in the interior of the Turkish Empire, one fixed duty of two per cent.; after which such goods may be sold or resold in the interior, or exported, without any further duty whatsoever being levied or demanded on them.” (The House of Commons „Convention of Commerce and Navigation 1839“ S.6f)
“Final Treaty of Capitulations: The Ottoman Empire and England. September 1675” in: Hurewitz The Middle East ... in World Politics. Vol.1 S.34-41; hier: S.35 (meine Übers.; Original im A.); diese Bestimmungen sind als Ergänzungen und Erläuterungen zu den Artikeln der ersten Kapitulation von 1580 zu verstehen, die, bis auf die obsoleten Artikel 9 und 16, komplett in die neuere übernommen wurden. Artikel 1 von 1580 ist daher zugleich Artikel I von 1675 und lautet in der älteren Schreibweise so: “1 Our Imperiall commandement and pleasure is, that the people and subjects of the same Queene, may safely and securely come to our princely dominions, with their goods and marchandise, and ladings, and other commodities by sea, in great and smal vessels, and by land with their carriages and cattels, and that no man shall hurt them, but they may buy and sell without any hinderance [...]” (“Treaty of Commerce: The Ottoman Empire and England. June 1580” in: ebenda S.8-10; hier: S.8)
Puryear kommentiert das abgeschaffte Binnenzollsystem so: “The Turkish government profited little from the system, as the revenue was absorbed mostly by the officials.” (Puryear International Economics and Diplomacy in the Near East S.121)
Selbst Rußland, das nach dem Diktatfrieden von Edirne (1829) bessere Konditionen gehabt hatte, gab nach längerem Zögern nach und schloß als letztes Land 1842 (laut Puryear: 1846) einen neuen Vertrag nach dem englischen Vorbild ab. Siehe: Rosen Geschichte der Türkei. Erster Theil S.281; Puryear International Economics and Diplomacy in the Near East S.127
Siehe: Sarç „Ottoman Industrial Policy 1840-1914“ S.51
Türkische Autoren tendieren vielfach dazu, diesen Faktor über Gebühr zu betonen und in den Kapitulationen den Quell allen Übels zu suchen. Ein typisches Beispiel solchermaßen verkürzter Rezeption ist Keskin, der das Osmanischen Reich seit der ersten Kapitulation von 1535 fest in den Klauen des europäischen Imperialismus wähnt. (Siehe: Keskin Die Türkei S.20-28) Anachronistisch sind im übrigen jene moralisierenden Vorwürfe aus heutiger national-türkischer Sicht, die die damaligen osmanischen Regierungen beschuldigen, fahrlässig den Aufbau und Schutz einer ‚nationalen‘ Industrie vernachlässigt zu haben. Für Beispiele siehe: ebenda S.23; Sarç „Ottoman Industrial Policy 1840-1914“ S.59
Siehe: Pamuk The Ottoman Empire and European Capitalism Appendix I.I “Observations on the Composition of Ottoman Foreign Trade” S.150-153
Siehe: Quataert „The Commercialization of Agriculture in Ottoman Turkey“ S.42; Kurmuş „The Cotton Famine“ S.167 mit Tabelle 6.2

Siehe: Owen The Middle East in the World Economy S.86
Die Frachtschiffahrt auf den beiden sehr strömungsreichen Flüssen war mit den traditionellen Seglern und Flößen mühselig, vor allem dauerte die Tour flußaufwärts fast zehnmal so lang wie abwärts. Erst die Flußdampfer europäischer Bauart ermöglichten einen lohnenden Pendelverkehr zwischen Basra und Bagdad. Bereits 1836 sondierte eine britische Expedition mit zwei Dampfern auf Tigris und Euphrat. Das großherrliche Genehmigungsschreiben läßt deutlich erkennen, welch großen Wert der britische Botschafter der Angelegenheit beimaß. (Siehe: Hurewitz The Middle East ... in World Politics. Vol.1 Dokument 77 S.358f) Ein Schiff ging rasch verloren, das andere blieb auf Dauer — formell dem Konsulat in Basra unterstellt. Sein Einsatz beschränkte sich jedoch offenbar auf Kartographie und Repräsentation. Es war der Paşa von Bagdad, der 1855 eine Dampfschiffgesellschaft für kommerzielle Zwecke gründete, allerdings transportierten die zwei neuen Dampfer bis 1861 hauptsächlich Soldaten und danach mußten sie sich gegen eine britische Konkurrenzgesellschaft im Geschäft behaupten. Immerhin verkehrten 1867 schon sieben Dampfer auf Tigris und Euphrat — davon fünf in osmanischer Hand. Für diese Darstellung stütze ich mich auf: Longrigg Four Centuries of Modern Iraq S.292-294
“[...] different regions of the Empire began to be integrated into world markets at different points in time during the nineteenth century. [...] Proximity to the coast and the availability of inexpensive means of transportation played an important role in this differentiation. [...] Central Anatolia was not linked to the European markets until after the construction of the Anatolian Railway in the 1890s. Finally, in the absence of inexpensive means of transportation world market conditions had a limited impact on Eastern Anatolia until World War I.” (Pamuk The Ottoman Empire and European Capitalism S.36f)
Zehn Jahre später sagte der Brite Layard anerkennend über ihn: „Herr Brant hat seit langer Zeit mit Erfolg unsern Einfluss in diesem Theile der Türkei aufrechterhalten und zuerst unserem Handel in Kleinasien ein wichtiges Feld eröffnet.“ (Layard Niniveh und Babylon S.7) Da diese Übersetzung des Originals von 1853 ganz ausgezeichnet ist — auf die ursprüngliche Paginierung wird mittels Marginalien verwiesen —, zitiere ich nach dieser Ausgabe, gebe aber jeweils die entsprechende Originalstelle wie folgt: (engl.: S.8) an.
Brant „Notes on a Journey Through a Part of Kurdistán. 1838“ S.382f (meine Übers.; Original im A.)
Nach Brants Beobachtungen waren vor allem armenische Christen in dieser Branche tätig. Der Bürgermeister von Hani (bei Brant „Khíní“), eines Städtchens von vielleicht 2 000 Einwohnern, gab an, “that there were 120 looms in the town, producing annualy 30,000 pieces of cloth; they are sold among the neighbouring villages for their consumption, but some are sent to Diyár-Bekr as well as to Músh.” Über die Geschäfte im Bazar von Lice (bei Brant „I‘líjeh“), vielleicht 4 000 Einwohner, heißt es: “scarcely an article of European manufacture was displayed in them.” (ebenda S.362 und S.359) Über Van heißt es: “The bázárs were confined and the shops ill furnished, and I scarcely saw an article of European manufacture [...]” “There are about 500 looms employed in manufacturing coarse calicoes [...] these are used in the neighbourhood [...] Besides these, Damascus and Aleppo manufactures are usually adopted for the clothing of persons of all ranks.” (ebenda S.393 und S.396)
“[...] European forces had to come to terms with the central bureaucracy at every turn as they attempted to penetrate the Ottoman economy.” “During the nineteenth century the most important area where the central government was able to maintain some control, and where the penetration of foreign capital remained limited, was agriculture.“ (Pamuk The Ottoman Empire and European Capitalism S.133 und S.135)
ebenda S.52f (meine Übers.; Original im A.)
Siehe: Sarç „Ottoman Industrial Policy 1840-1914“ S.52; Pamuk The Ottoman Empire and European Capitalism S.152
So z.B. Keskin: „Spätestens seit der Unterzeichnung dieses Vertrages [osm.-brit. Handelsvertrag (1838), G.B.] können wir das Osmanischen Reich als eine Halb-Kolonie der rivalisierenden europäischen Großmächte bezeichnen.“ (Keskin Die Türkei S.24)
Eine detailierte Schilderung des Verlaufs dieses Projektes bietet Clark („The Ottoman Industrial Revolution“). Siehe auch: Sarç „Ottoman Industrial Policy 1840-1914“ S.56f; zu den ersten, noch isolierten Fabrikprojekten siehe: Clark „The Ottoman Industrial Revolution“ S.66f
Sarç listet eine beträchtliche Anzahl von Fabriken und Produkten auf. Siehe: Sarç „Ottoman Industrial Policy 1840-1914“ S.56
Siehe: Clark „The Ottoman Industrial Revolution“ S.68f
Es ist nicht ganz übertrieben, wenn man in ihnen den Keim der späteren türkischen Industrie sieht, war doch eines der Probleme, an denen das frühe Industrialisierungsprojekt scheiterte, die Unmöglichkeit, der auf traditionellen Handwerksvorstellungen beharrenden Arbeiterschaft rasch genug industrielle Zeitdisziplin einzubleuen. (Siehe: ebenda S.74) Auf diesem Gebiet leisteten die Wollweberei von Izmit, die Tuchfabrik von Bakırköy, die Istanbuler Fezmanufaktur (fezhane) und die Seidenfabrik von Hereke (am Marmarameer) tatsächlich ‚Pionierarbeit‘, d.h. hier wurden die ersten Ansätze eines Proletariats herangezogen, das die eigentlich unerträglichen Bedingungen frühindustrieller Fabrikarbeit zu ertragen ‚lernte‘. Siehe: ebenda S.75f
Genau dies unterstellen fälschlicherweise Sarç und Keskin. Siehe: Sarç „Ottoman Industrial Policy 1840-1914“ S.57; Keskin Die Türkei S.28
Diesen treffenden Ausdruck benutzte Clark („The Ottoman Industrial Revolution“ S.68) zur Charakterisierung des Projekts.
Wörtlich etwa: „Erhabenes Großherrliches Handschreiben vom Rosenkiosk“. Für eine deutsche Fassung des Textes siehe: „Der Hatti-Scherif von Gülhane. Verliehen im ersten Regierungsjahre des Sultans Abdulmedjid den 3. November 1839“ in: Rosen Geschichte der Türkei. Zweiter Theil Anhang S.250-253; in englischer Fassung: “The Hatt-ı Şerif of Gülhane (3 November 1839)” in: Hurewitz The Middle East ... in World Politics. Vol.1 S.269-271
„Diese Einrichtungen sollen vorzüglich umfassen, 1) Bürgschaften, welche Unsern Unterthanen eine vollständige Sicherheit ihres Lebens, ihrer Ehre und ihres Eigenthums gewähren; 2) die Regelmäßigkeit in der Vertheilung und Erhebung der Staatsabgaben; 3) die Regulirung der Rekrutenaushebung und der militärischen Dienstzeit.“ Es „[...] müssen .. Gesetze erlassen werden, die [...] die Zeit des Militärdienstes auf vier bis fünf Jahre beschränken [...] in Zukunft [soll] jeder Uebertretungsfall, wie das göttliche Gesetz verlangt, nach Untersuchung und Beweisführung abgeurtheilt werden. So lange ein ordentliches Urtheil nicht erfolgt ist, soll Niemand weder heimlich noch öffentlich Jemanden [...] zu Tode bringen dürfen. [...] Ein Jeder soll seine Besitzthümer aller Art genießen und darüber in völliger Freiheit verfügen, ohne daß ihn Jemand daran hindern könne. Nicht minder sollen die unschuldigen Erben eines Verbrechers nicht ihres gesetzlichen Erbes beraubt und die Güter des Verurtheilten nicht confiscirt werden.“ (Rosen Geschichte der Türkei. Zweiter Theil S.251f)
ebenda Anhang S.252
„Mit dem Tage von Nisib hatte die Herrschaft des Padischahs über das kaum erst besiegte, aber nie wirklich unterworfene Kurdenvolk faktisch aufgehört. Man hatte keine Macht mehr über die Gebirgsbewohner, und so ließ man sie eben zufrieden.“ (von Moltke „Das Land und Volk der Kurden“ S.289) Allerdings auch in den größeren Zentren wie Mardin stand es nicht besser: “When Turkish affairs assumed so unfavourable an aspect as they did upon the late success of the Egyptians, and the overthrow of the Sultán's armies of seven years' growth, Márdín was one of the first towns to revolt in favour of the old state of things: everything that was European was discarded [...]” (Ainsworth „Notes Taken on a Journey From Constantinople to Moṣúl“ S.524)
„Nun ist die Rekrutenaushebung in der Türkei eine so gewaltsame Operation, daß die Regierung sie nur da vollziehen kann, wo sie sie durch Heeresmacht erzwingt. Der Ersatz war während dreier Jahre fast allein aus Kurdistan genommen, und die Taurus-Armee bestand daher zur größeren Hälfte aus Kurden, d. h. aus eben besiegten Feinden [...], welche mit Gewalt und für immer ihrer Heimath entrissen waren.“ (von Moltke Briefe über ... Begebenheiten in der Türkei Anhang S.527)
“Ismail Pasha, the Kurdish hereditary Chief Amadiyah, was able to retake his city from Muhammad Pasha [vali von Mossul, G.B.] in the summer of 1842.” (Joseph The Nestorians and their Muslim Neighbors S.56f) Noch im selben Jahr unterlag Ismail dem Gegenangriff Muhammad Paşas — diesmal endgültig. “The proposed expedition of the Hakary Koords against Amadieh has proved an entire failure [...] and that strong hold of Koordistan has now [Sept. 1842, G.B.] just submitted to the besieging Turkish army.” (Grant „Letter from Doct. Grant, 12th Sept., 1842“ S.67) Aufgrund der zweifachen Absetzung (1838 und 1842) gibt es einige Verwirrung um die Datierung. MacKenzie beispielsweise, offenbar gestützt auf Longrigg (Four Centuries of Modern Iraq S.286), nimmt die Vertreibung des Jahres 1838 als endgültigen Untergang der Dynastie an (siehe weiter oben S. 154 Anm. 35).
Siehe: Wright „Visits ... to Bader Khan Bey“ S.381; allerdings traf Layard bei seinen Forschungsreisen in Amadiya, also mitten in diesem so umrissenen Herrschaftsbereich Bedir Khans, eine reguläre osmanische Garnison mit über 300 Soldaten aus Albanien an. Siehe: Layard Nineveh and Its Remains Bd.1 S.161
“[...] he did everything possible to win over Khan Mahmud of Mokk (Mukus in Turkish) and Nurullah Beg of Hakkari, to his scheme for organising an independent Kurdistan. The capture of the Kurdish castles one after the other during the Ottoman campaign of 1834-8 [...] had taught him the futility of a single-handed struggle against the Turk.” (Safrastian Kurds and Kurdistan S.55f) “It was the first uprising which might be called nationalist in a modern sense, as Badr Khan planned to establish a Kurdish Government extending over the considerable confederation he headed.” (Kinnane The Kurds and Kurdistan S.23) Selbst Ibrahim, der der Erhebung Bedir Khans ausdrücklich einen nationalen Charakter abspricht, betont den Aspekt der „Freiwilligkeit“ beim Zustandekommen seiner „Stammeskoalition“: Mir-i Koras „Expansion erfolgte durch die gewaltsame Niederwerfung seiner Nachbarstämme. In diesem Punkt unterschiedet er sich von den Bestrebungen Bedirxans, eine freiwillige Stammeskoalition zustandezubringen.“ (Ibrahim Die kurdische Nationalbewegung im Irak S.135)
Siehe: van Bruinessen Agha, Shaikh and State S.225 (dt.: S.240); besonders einflußreich waren die Schriften Sureya Bedir Khans (*1883/†1938). (Siehe hierzu weiter unten: S.269 Anm.8) Für seine Version von der „Konföderation“ seines Großvaters siehe z.B.: Chirguh [Bedir Khan] La question kurde S.14-17