Nationalismus in Kurdistan (1993)

4. Das 19. Jahrhundert

Das Aufkommen der ersten Nationalismen im Osmanischen Reich

Kernpunkt der Malaise des Osmanischen Reiches war — wie schon erwähnt — die strukturelle Unterlegenheit des osmanischen Militärs gegenüber den neuen Infanterie- und Artilleriestreitkräften der europäischen Mächte.[1] Verlorene Kriege gegen das Habsburger Reich waren es auch gewesen, die die Pforte zu den ungünstigen Friedensverträgen von Karlowitz (1699) und Passarowitz (1718) gezwungen hatten. Während der „Frieden von Karlowitz“ große Gebietseinbußen (Verlust Ungarns) mit sich brachte, mußte die relative Mäßigung der Habsburger in Passarowitz u.a. mit dem Abschluß eines Freihandelsvertrages erkauft werden, was beides zusammen langfristig bedeutende Veränderung nach sich ziehen sollte, bzw. schon in Gang befindliche Veränderungen beschleunigte.[2]

Waren die osmanischen Mittelmeerhäfen für die europäischen Kaufleute des 15. und 16. Jahrhunderts noch die wichtigsten Quellen für die begehrten Luxusgüter aus dem Mittleren und Fernen Osten wie Seide oder Gewürze gewesen, verloren sie diese Vorzugsstellung zunehmend, nachdem die im 17. Jahrhundert neu etablierten Seerouten den Europäern den profitabeleren Direktimport ermöglichten.[3] Als im 18. Jahrhundert der osmanische Exporthandel sich trotzdem auszuweiten begann, beruhte der Zuwachs nicht mehr auf der klassischen Produktpalette, sondern auf einem schwunghaften Handel mit osmanischen Massengütern wie Vieh, Getreide und Rohbaumwolle. Dabei entwickelte sich Österreich-Ungarn in Folge von Passarowitz zu einem Haupthandelspartner — zu Land und zu Wasser, denn seitdem Triest und Rijeka im Jahre 1719 zu [– S.126 –] Freihäfen erklärt worden waren, stieg Österreich-Ungarn zu einer Handelsmacht im östlichen Mittelmeerraum auf.

„Die neuen Textilfabriken in Österreich, Sachsen, Preußen und in der Schweiz benötigten die Wolle und Baumwolle aus Makedonien und Thessalien, und die steigende französische, deutsche und italienische Nachfrage sorgte für eine Verdreifachung der Baumwollproduktion Makedoniens zwischen 1720 und 1800. Die österreichischen Einfuhren an Rohbaumwolle aus Makedonien und Thessalien steigerten sich von einer zu vernachlässigenden Menge in den 20er Jahren des 18. Jahrhunderts bis auf geschätzte 1 360 000 Gulden im Jahre 1752. 1766 machte allein die auf dem Landwege nach Österreich importierte Baumwolle vom Balkan 1 900 000 Gulden aus. 1771 hatten die österreichischen Importe an Wolle und Baumwolle — nur auf dem Landwege — einen Wert von fünf Millionen Gulden.“ „Makedonien und Thessalien [...] exportierten in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts 40% ihres Getreides und mehr als die Hälfte ihrer Baumwoll- und Tabakproduktion.“[4] (meine Übers.; engl. Original)

Es ist nicht überraschend, den Stoff, aus dem die „Industrielle Revolution“ gemacht werden sollte, die Baumwolle, an erster Stelle erwähnt zu sehen. Nicht nur Mitteleuropa verlangte nach osmanischer Baumwolle, die Manufakturen von Lancashire etwa verarbeiteten einen wachsenden Anteil der Baumwollproduktion der Region von Izmir[5], und auch die französische Konkurrenz verließ sich zunehmend auf osmanische Rohstoffimporte.[6]

Die Umorientierung von der Versorgung der osmanischen Reichshauptstadt und der Regionalzentren auf den europäischen Exportmarkt, die sich z.B. darin ausdrückte, daß osmanische Bauern in Serbien begannen, Schweine für den Bedarf der österreichischen Städte zu züchten[7], wirkte sich jedoch in größerem Maßstab zunächst nur auf dem Balkan aus sowie in vereinzelten Regionen Kleinasiens, die von den Häfen an der Mittelmeerküste aus leicht zu erschließen waren. Eine flächendeckende Umstrukturierung der Reichsökonomie war jedoch ausgeschlossen, solange das Schwarze Meer durch das Schiffahrtsmonopol der Osmanen eine Art ‚Binnenmeer‘ des Reiches blieb[8], denn der hochprofitabele Handel im Schwarzen Meer bildete das eigentliche Rückgrat der traditionellen Warenstrommuster.[9]

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Erst unter den immer neuen Vorstößen des Zarenreiches, das einen Zugang zum Mittelmeer zu erobern suchte, zerbrach dieses Monopol. Das Jahr 1711 steht für den letzten militärischen Triumph der Pforte über den neu erwachsenen Gegner im Norden, 1739 konnte eine schwere Niederlage auf dem Schlachtfeld durch erfolgreiche diplomatische Manöver noch einmal abgefangen werden, danach führte jede weitere Konfrontation nur noch zu Niederlagen, zu neuen Gebietsverlusten und demütigenden ‚Friedens‘-Verträgen. Hervorzuheben ist besonders der Vertrag von Küçük Kaynarca (1774), mit dessen Artikel 11 freier Zugang für russische Schiffe zum Schwarzen Meer und Handelsfreiheit für alle russischen Untertanen im Osmanischen Reich festgelegt wurden.[10] Wirklich effektiv wurden diese Regelungen allerdings erst mit dem Verlust der gesamten Nordküste des Schwarzen Meers an das Russische Reich, den die Pforte im „Frieden von Jassy“ (1792) endgültig akzeptieren mußte.[11] Mit der Ausweitung der Schiffahrtsfreiheit auf England (1799) und Frankreich (1802) erodierte die Wirtschaftsautonomie des Reiches weiter Stück für Stück.[12] Zu Beginn des 19. Jahrhunderts war das Osmanische Reich somit — wenn auch höchst unfreiwillig — auf dem Weg, eine Art ‚Freihandelszone‘ zu werden.

Die Integration in den entstehenden kapitalistischen Weltmarkt war aber nicht nur eine Folge äußerer Interventionen. Die klassisch-osmanische Gesellschaftsordnung war längst schon an primär internen Widersprüchen zerbrochen und in Gärung begriffen, so daß der Eingriff von außen keineswegs auf eine statische Formation traf, um sie zu zertrümmern, vielmehr kanalisierte er bereits aktive Veränderungskräfte in eine bestimmte Richtung.[13] Eine gewichtige, nicht von außen bewirkte Veränderung war z.B. die Ersetzung der durch ihre Konspiration mit Petersburg (1711) in Ungnade gefallenen „Hospodare“ (slaw.: „Herr“) [– S.128 –] in den Vasallenfürstentümern Moldau und Wallachei durch sultanstreue Phanarioten, die als loyale Subherrscher der fortschreitenden Separierung der von alters her selbständigen Donauprovinzen ein Ende setzen sollten.[14] Die Pforte ließ damit aus wohlverstandenem Eigeninteresse erstmals griechisch-orthodoxe Notabeln ohne Konversion zum Islam in wirklich entscheidende Herrschaftspositionen a ufrücken. Zur Festigung ihrer neugewonnenen Machtstellung nahmen diese Herren selbstverständlich alle verfügbaren Posten und Pöstchen mit Männern ihrer eigenen Klientel in Beschlag; demselben Zweck diente eine systematische Förderung griechisch-orthodoxer Gelehrter und Händler.[15] Ihre Regierungssitze Jassy und Bukarest wurden in der Folge neben Istanbul zu den wichtigsten christlichen Macht-, aber auch Bildungszentren im Osmanischen Reich.

Als das Zarenreich in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts mit seiner gezielten Protektion für griechisch-orthodoxe Schwarzmeerreeder begann, traf diese Maßnahme also auf eine prosperierende Kaufmannsschicht, die teilweise durchaus schon Protektion besaß. Auch in anderen Fällen konnten externe Stimuli letztlich nur durch vorgängige interne Umbrüche wirksam werden. So ist der Grund dafür, daß auf die erhöhte Absatzmöglichkeit für osmanische Landwirtschaftsprodukte auch tatsächlich erhöhte Exporte folgten, vor allem in der Herrschaft der ayan über weite Teile der Balkanprovinzen zu suchen. Dank ihrer Machtfülle verfügten die ayan zum einen über die erforderliche straffe Kontrolle der Produktion auf ihren çiftlik-Gütern, um eine Reduzierung der Selbstversorgungsproduktion zugunsten des Anbaus exportierbarer Produkte zu erzwingen[16], zum anderen konnten sie es wagen, diese Sondererträge an der Pforte vorbeizuschmuggeln; beides wäre unter den Bedingungen des alten timar-Regimes, das auf der bloßen Mehrproduktabschöpfung weitgehend autonom wirtschaftender Subsistenzeinheiten durch großherrlich bestallte Tributeintreiber beruhte, undenkbar gewesen.

Allerdings war das çiftlik-System nur solange profitabel, wie die ayan ihre außerökonomische Kontrolle über die Absatzmärkte geltend machen konnten. Das ungehinderte Auftreten von europäischen Aufkäufern und Anbietern ab dem 19. Jahrhundert mußte die Gutswirtschaft der ayan daher einer Konkurrenz aussetzen, gegen die sie sich mit den ihr eigenen Formen nicht behaupten konnte, denn die europäischen Mächte verfügten über den weit längeren Arm, wenn es um die Einflußnahme auf die Zentralgewalt ging. Nichts demonstriert diese Überlegenheit deutlicher als der britisch-osmanische Handelsvertrag von [– S.129 –] 1838, durch dessen Artikel II sämtliche Monopolrechte der ayan null und nichtig wurden, womit die Europäer der lästigen Konkurrenz den endgültigen Todesstoß versetzten.[17]

Während des ganzen 18. Jahrhunderts jedoch war die Macht der ayan politisch-militärisch ungeschmälert, ja wuchs gegen Ende des Jahrhunderts sogar noch, da die Pforte, in verlustreiche Kriege mit Österreich-Ungarn und Rußland verwickelt, jede Konfrontation im Inneren vermeiden mußte, um den Nachschub an Menschen und Material aus den Provinzen nicht zu gefährden.[18] Zwar handelte es sich bei den von den ayan zu Verfügung gestellten Hilfstruppen eher um lose Haufen bezahlter Büttel, die noch weniger als die undisziplinierten Janitscharentruppen in der Lage waren, den hochgerüsteten gegnerischen Berufsarmeen zu widerstehen, aber ohne diese Verstärkung des stehenden Heeres bestand überhaupt keine Aussicht, sich gegen die ständigen ausländischen Angriffe zu behaupten.[19] Die Aneignung der Verfügungsgewalt über die Provinzen durch die ayan raubte der Zentralgewalt jedoch genau die Revenuen, die sie zur Modernisierung der Armee benötigt hätte. Die Pforte befand sich somit in einem Teufelskreis: Solange die Armee schwach blieb, konnte die Unbotmäßigkiet der ayan nicht gebrochen werden, und zugleich war man auf die Kooperation nämlicher ayan angewiesen, damit aus der Schwäche der Armee nicht der völlige Untergang des Reiches erwuchs. Solange aber die ayan den Zufluß der regionalen Revenuen in die zentrale Staatskasse nach Gutdünken regulierten, war keine schlagkräftigere Regierungsarmee aufzubauen.[20] Hinzu kam das Mißtrauen der Janitscharenführung gegenüber jeder Neuerung; der zu reformeifrige [– S.130 –] Sultan Selim III. wurde von ihnen im Jahre 1807 sogar ermordet, um die von ihm eingeleiteten zaghaften Militärreformen zu Fall zu bringen.[21]

Es waren die ayan, die dieser Rebellion schließlich ein Ende setzten und Mahmud II. auf den Thron brachten, der als Preis für ihre weitere Unterstützung die de facto-Herrschaft der ayan im sog. „Sened-i İttifak“ („Dokument der Einhelligkeit“) auch de jure akzeptieren mußte.[22] Das dadurch — sozusagen en passant — mit legitimierte çiftlik-System war derweil sowohl in Anatolien, vor allem aber auf dem Balkan weit verbreitet und sorgte für eine erhebliche Bedrückung der betroffenen Landbevölkerung.[23]

Allerdings darf man nicht außer Acht lassen, daß die Verhältnisse allein schon aufgrund der schieren Ausdehnung im Reich nicht überall gleich waren. Kurdistan wurde, wie schon geschildert, keineswegs nur von ayan regiert, die Fürstentümer Moldau und Wallachei unterstanden einer christlichen Herrenschicht, auf dem Peloponnes gab es neben muslimischen ayan ebensoviele oder sogar mehr christliche Lokalpotentaten, in Serbien hatten sich vielerorts autonome bäuerliche Dorfgemeinschaften behaupten können, etc. etc. Wenn es also heißt, daß die klassische Sozialordnung zerfallen war, dann bedeutet das auch, daß wer immer in der Lage war, vor Ort effektiv Macht auszuüben, über kurz oder lang von der Pforte anerkannt, oder besser gesagt, in das ‚Nullsummenspiel‘ des divide-et-impera einbezogen wurde. Wo die Umstände die Zahl der entsprechenden muslimischen Anwärter dezimiert hatten — wie z.B. auf dem Peloponnes, der erst 1715 nach gut dreißig Jahren venezianischer Besetzung zurückerobert worden war —, konnten sich eben auch einflußreiche christliche Notabeln zu de facto-Großgrundbesitzern aufschwingen.[24] Das weit verbreitete Sozialrebellentum lieferte zusätzliche Anwärter für solche Karrieren, denn einige der Rebellenführer, die mit ihren Banden aus christlichen Ex-reaya von Fluchtorten in den Bergen zu Razzien auszogen, konnten es durchaus zur Errichtung kleiner Gebietsherrschaften bringen.

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Auf's Ganze betrachtet hatte sich die Lage der abhängigen Bauernschaft aber zweifellos durch die planlose Deregulierung des osmanischen Systems verschlechtert. Das soziale Elend der unteren Schichten wurde zudem dadurch verschärft, daß nach den Gebietsverlusten in Ungarn und später an der Nordküste des Schwarzen Meeres Muslime in großer Zahl vor der christlichen Herrschaft flüchteten und im Restreich notfalls mit Gewalt nach Land und Auskommen suchten. Vor diesen Zuständen flohen orthodoxe Bauern zu Zehntausenden aus dem Osmanischen Reich nach Ungarn, u.a. um einem Kolonisationsaufruf zu folgen, den die Habsburger unter Zusicherung von Religionstoleranz zur Beschleunigung der Neubesiedlung der verödeten Regionen ihrer neu eroberten Besitzungen erlassen hatten.[25]

Es gab aber auch ganz andere Entwicklungen: Dank ihrer Kenntnisse und Verbindungen in beiden Systemen traten etliche der in großer Zahl sowohl in Ungarn als auch auf der Krim befindlichen, ehemals osmanischen Christen erfolgreich als Mittler des wachsenden Handels der christlichen Staaten mit dem Osmanischen Reich auf. In Ungarn waren es vor allem ehemalige Flüchtlinge aus Serbien, die einen großen Teil des Handels mit osmanischen Gütern abwickelten, später wurden sie von anderen griechisch-orthodoxen Großkaufleuten aus den osmanischen Zentren überflügelt.[26] Das Zarenreich bemühte sich seinerseits, seekundige orthodoxe Christen aus dem Osmanischen Reich anzulocken, um seine neu ausgebauten Schwarzmeerhäfen Sewastopol, Odessa, Cherson und Taganrog zu beleben.[27] In diesen Städten blühten daher ebenfalls griechisch-orthodoxe Händlerkolonien osmanischer Herkunft auf, die glänzend am Schwarzmeerhandel verdienten. Dies korrespondierte im Inland mit den Auswirkungen der Phanariotenherrschaft in den Donaufürstentümern, die in Form protektionistischer Erlasse und anderer ökonomischer Förderungsmaßnahmen ihren Teil dazu beitrugen, den Exporthandel mit osmanischen Gütern zu einer exklusiv christlichen Domäne zu machen.

Als Ergebnis des Zusammentreffens äußerer und innerer Protektion sowie neuer Vermarktungschancen durch eine Veränderung der globalen Kräfteverhältnisse erwuchs somit im griechisch-orthodoxen millet eine neue, kommerziell orientierte Mittelschicht, deren Mitglieder zu Beginn des 19. Jahrhunderts in allen wichtigen Handelsstädten des In- und Auslands (Amsterdam, Triest, Marseille etc.) Niederlassungen unterhielten. Während große Teile ihrer bäuerlichen millet-Genossen von ‚offiziellen‘ Steuereintreibern, ‚illegalen‘ ayan, plündernden Janitscharen und sonstigen Empörern zugleich bedrängt wurden und durch die doppelt und dreifache Besteuerung in eine immer schwierigere Lage gerieten, [– S.132 –] setzte die aufstrebende städtische Händlerschicht ihren Reichtum und ihre guten Kontakte zu den überall im Reich aus dem Boden schießenden Konsulaten der westlichen Mächte dazu ein, sich eine Verbesserung des sozialen Status zu erkaufen. Unter exzessiver Ausnutzung eines Privilegs, das Botschaftern und Konsuln ausländischer Mächte gewährt worden war, nämlich durch Ausstellung eines berats („Urkunde“) einzelne osmanische Untertanen als Schutzbefohlene quasi in den eigenen Haushalt — der natürlich Immunität genoß — zu ‚adoptieren‘, verhalfen allein die österreichisch-ungarischen Konsulen Zehntausenden osmanischen Christen in den Fürstentümern Moldau und Wallachei zur Befreiung von allen Steuern oder Abgaben. Außerdem entzogen sich die Besitzer eines solchen berats der Gerichtsbarkeit des Sultans, da sie nun nach den Gesetzen der Schutz gewährenden ausländischen Macht behandelt werden mußten.[28]

Um ihre Stellung als urbane pressure group weiter zu verbessern, investierten sie auch in den Aufbau eines eigenen Netzes sozialer Institutionen, vor allem Schulen, womit sie zugleich ihren Anspruch auf mehr Einfluß innerhalb der millet-Strukturen dokumentierten. In einem Bericht des preußischen Gesandten von 1819 heißt es über die Entwicklung im griechisch-orthodoxen millet:

„Die Gemeinden und der Handelsstand verwenden mit seltner Freygebigkeit beträchtliche Summen auf die Gründung und Dotirung öffentlicher Schulen [...]“ „Überall bilden sich neue [Lehranstalten, G.B.] nach dem Vorbilde europäischer Universitäten. Die hohen Schulen in Chio und Smyrna zählen allein 1500 Schüler, jene zu Caesarea 500, zwischen 3 a 400 jede der übrigen.“[29]

Die Schule in Chios gehörte wohl zu den bestausgestatteten, dort konnte das komplette Repertoire westlich-humanistischer Bildung angeboten werden: Altgriechisch, Latein, Französisch, Mathematik, Chemie, Physik, Geographie und Philosophie.[30]

Etliche Jahrzehnte vor einer vergleichbaren Entwicklung unter den Muslimen konnten sich so im christlichen Sektor Ansätze einer weltlichen Intellektuellenschicht entwikeln. Parallel hierzu vertiefte sich die allgemeine Entfremdung vom Patriarchat in der Hauptstadt, da dieses unbeirrt fortfuhr, trotz eines gesellschaftlichen Zustands, der innerhalb des millets durchweg als gewaltförmig [– S.133 –] und gesetzeslos erfahren werden mußte[31], getreulich als Subherrscher und Transmissionsriemen des Großherrn bezüglich seiner christlichen Untertanen aufzutreten. Während das orthodoxe establishment, der Hochklerus und die Phanarioten-Clique, selbst in den geheimsten Träumen allenfalls rückwärtsgewandt an die Wiederbelebung des Byzantinischen Reiches dachte[32], orientierte sich die neue Mittelschicht nach Europa, gingen die Söhne der reicheren Kaufleute mit Unterstützung der lokalen millet-Institutionen zum Studium nach Wien oder Paris.[33]

Es kann heute kein Zweifel mehr daran bestehen, daß sich die frühesten Regungen der verschiedenen Spielarten des Balkannationalismus (‚griechisch‘, ‚serbisch‘, ‚rumänisch‘ etc.) hier, unter den Kaufleuten und Studenten im europäischen Ausland, in den Zentren des damaligen Bürgertums entwickelten. Der erste griechisch-nationalistische Geheimbund wurde beispielsweise in Wien (1796) gegründet und bestand, den Akten der Wiener Polizei zufolge, hauptsächlich aus Kaufleuten, einigen Studenten, einem Arzt und einem Zeitungsverleger.[34] Andere Geheimorganisationen ähnlicher Zusammensetzung — eine davon in Paris gegründet — sollten folgen.[35] Das wichtigste Organ der literarisch-kulturellen Bewegung war eine seit 1811 in Wien erscheinende Zeitschrift, die es sich zur Aufgabe machte, die in Paris verfaßten nationalistischen Werke des Adhamantios Korais zu verbreiten.[36] Überhaupt wurden die relevanten Werke, ob literarischen oder politischen Inhalts, ausnahmslos im Ausland — in Venedig, Leipzig, Wien oder Paris — gedruckt.[37]

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Alle Versuche allerdings, die Vision etwa einer ‚griechischen Nation‘ vom Exil aus zurück unter die griechisch-orthodoxen Bauernmassen der ‚Heimat‘ zu tragen, mußten angesichts einer gesellschaftlichen Realität, die wesentlich von religiösen Kategorien und persönlichen Abhängigkeiten strukturiert war, auf wenig Erfolg stoßen[38], so sehr sie auch von interessierten Großmächten insgeheim gefördert wurden.[39] Zudem scheint wirtschaftlicher Erfolg durch geschäftliche Transaktionen mit europäischen Kaufleuten und dabei anfallende Kenntnis westlicher Kultur allein die Betreffenden nicht automatisch zu glühenden Nationalisten gemacht zu haben, im Gegenteil: Gerade die erfolgreichsten ‚Geldsäcke‘ waren den Nationalisten feindlich gesinnt und schienen ihre Perspektive eher in einem Aufstieg als Bankiers und Berater der muslimisch-osmanischen Elite zu sehen.[40] Das orthodoxe Patriarchat obendrein kämpfte mit aller Härte gegen die vom Ausland eindringende nationalistische Agitation, da es darin zu Recht einen Angriff auf seinen universellen Herrschaftsanspruch erkannte.[41]

Mangels eines gewachsenen thièrs état im Osmanischen Reich war die Resonanz insgesamt minimal. Schließlich waren Gesellschaftsstruktur und Ökonomie des Osmanischen Reiches zu Beginn des 19. Jahrhunderts von kapitalistischen Formen noch sehr weit entfernt. Lohnarbeit ‚freier‘ Arbeiter beispielsweise, d.h. von Menschen, die zwar uneingeschränkt über ihre eigene Arbeitskraft, nicht aber über die notwendigen Produktionsmittel verfügen können, spielte weder in der gewerblichen Güterproduktion noch in der Landwirtschaft eine nennenswerte Rolle. Das çiftlik-System, das dabei war, die Subsistenzwirtschaft im Agrarsektor abzulösen, beruhte auf der Arbeit von Ertragspächtern, die mittels außerökonomischer Gewalt kontrolliert und diszipliniert wurden. Die Produktion gewerblicher Güter hingegen wurde fast ausschließlich in zunftgebundenen, [– S.135 –] kleinhandwerklichen Familienbetrieben vollzogen. Die einzig erwähnenswerte Ausnahme bildete der Rüstungssektor, da Schiffswerften, Kanonengießereien und Waffenmanufakturen als staatliche Großbetriebe organisiert waren, die durch Heranziehung ausländischer Fachkräfte den jeweils modernsten Stand der Produktionstechnik zu erreichten suchten.[42] Dieser Sektor gehorchte jedoch allein der Staatsraison — und nicht einer wie auch immer gearteten ökonomischen Rationalität —, denn der Staat war nicht nur Eigentümer, sondern zugleich auch einziger Kunde dieser ‚Industrie‘. Die hier bewirkten Veränderungen der Produktionsstrukturen blieben daher ohne Auswirkungen auf die gesamtgesellschaftlich vorherrschenden Formen.

Selbst die auf Geldreichtum beruhenden, neuen Mittelschichten auf dem Balkan, welche die einseitige Begünstigung des christlichen Händlertums im Ex/Importgeschäft mit den Europäern hervorbrachte, bildeten kein Bürgertum im Sinne einer Bourgeoisie.[43] Einzig die aus den exklusiven millet-Schulen hervorgegangenen Bildungszöglinge entwickelten ein Interesse für den Aufbau einer nationalen Kultur und Geschichtsinterpretation. Aber selbst hier bedurfte es ausländischer Geburts- und Entwicklungshilfe: Als beispielsweise 1813 die Athener „Gesellschaft der Musenfreunde“ ins Leben gerufen wurde, die sich besonders dem Schutz antiker Denkmäler und der Förderung des Auslandsstudiums widmete, ging die Gründungsinitiative offenbar auf im Osmanischen Reich lebende Briten zurück, der Präsident war zugleich britischer Konsul in Athen.[44]

Die Welle nationalistischer und aufklärerisch-liberaler Publikationen, die vor allem das französische Revolutionsregime auf illegalem und offiziellem Wege (durch die Botschaft in Istanbul) ins Osmanische Reich tragen ließ[45], ist im übrigen auch an den gebildeten muslimischen Kreisen nicht gänzlich spurlos [– S.136 –] vorübergegangen, ihr Erkenntnisinteresse lag allerdings ganz anders. Aufgeschreckt durch die demütigenden militärischen Niederlagen, ging es ihnen hauptsächlich darum, das Geheimnis des europäischen Erfolges zu begreifen, um die Europäer mit ihren eigenen Waffen schlagen zu können.[46] Im Zentrum aller Anstrengungen stand bezeichnenderweise die Erneuerung der Armee: Mit Hilfe zahlreicher ausländischer Berater wurde seit Ende des 18. Jahrhunderts in immer neuen Anläufen versucht, den Kern einer disziplinierten modernen Armee aufzubauen, ja selbst die Einführung industrieller Produktionsprozesse wurde zum Zweck der Rüstungsmodernisierung versucht.[47] Daß im Rahmen dieses Imports westlicher Technologien und Organisationsmodelle zugleich auch Institutionen (die Kadettenschulen) entstanden, die zumindest einer kleinen Schicht von Osmanen Zugang zu einem bürgerlichen Weltverständnis eröffneten, war für die Organisatoren dieser ‚Modernisierung‘ ein unerheblicher Nebeneffekt.[48] Aber gerade hier (und in den neu eingerichteten, ständigen osmanischen Botschaften im europäischen Ausland)[49] entstanden die ersten Ansätze jener modernistisch gesinnten, muslimisch-osmanischen Technokratenschicht, die in der sogenannten tanzimat-Zeit (ca. 1839-1878) tonangebend werden sollte.[50]

Während der ersten beiden Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts allerdings mußte diese noch verschwindend kleine Fraktion innerhalb des maroden zentralen Herrschaftsapparates sich ausFurcht vor dem Zorn der überwältigenden [– S.137 –] konservativen Mehrheit ganz bedeckt halten. Erst als 1826 das Zentrum der jeder Neuerung abholden Kräfte, das Janitscharenkorps in Istanbul, von loyalen Truppen des reformorientierten Sultan Mahmud II. in einem Massaker zerschlagen werden konnte, entstand in der Staatsbürokratie etwas mehr Spielraum für die Verbreitung neuer Ideen und Konzepte. Außerhalb des Staatsapparates gab es zu Beginn des 19. Jahrhunderts im muslimischen Sektor der osmanischen Gesellschaft erst recht keine soziale Gruppe, keinen Mittelstand, kein Bürgertum oder gar eine Bourgeoisie, die Veränderungsforderungen hätte einbringen oder unterstützen können. Selbst die städtischen ayan, die durch ihre Verfügungsgewalt über Großgrundbesitz und Geldvermögen noch am ehesten der Vorstellung von einem „Mittelstand“ entsprachen, trachteten vor allem danach, zu hohen Staatsfunktionären aufzusteigen und blieben so Teil der alten sozialen Dynamik.

Behält man diesen gesellschaftlichen Zustand im christlichen wie im muslimischen Sektor im Auge, muß es merkwürdig anmuten zu hören, daß „1804 in Serbien“ eine „nationale Revolte[...] gegen den Sultan“[51] ausgebrochen sein soll. Sollte es wirklich „die Macht des Nationalismus“ gewesen sein, die „die Serben befähigte, einen halbautonomen Nationalstaat zu erkämpfen“?[52] Eine nähere Betrachtung unterstützt diese Ansichten nicht.

Serbien, dessen größter Teil sich vor 1739 gut zwanzig Jahre in habsburger Gewalt befunden hatte, besaß bei Ende des 18. Jahrhunderts nur eine dünne muslimische Herrenschicht, die fast vollständig in den großen befestigten Städten konzentriert war[53], weshalb die orthodoxen Dörfler lange Zeit weitgehend unbehelligt von ayan und anderen Usurpatoren ihre alte Autonomie unter selbstgewählten Provinzhäuptlingen praktizieren konnten. Der in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts stark expandierende Exportmarkt für Schweine bot zudem etlichen Bauern die Chance, zu wohlhabenden Händlern bzw. Unternehmern aufzusteigen — eine Blüte, die im deregulierten osmanischen System fast notwendig ungebetene ‚Teilhaber‘ und ‚Beschützer‘ auf den Plan rufen mußte. Vor allem machtgierige Janitscharenchefs fielen mit ihren Truppen in die Provinz ein und versuchten, das çiftlik-System in Serbien gewaltsam durchzusetzen.[54] [– S.138 –] Zu Beginn des 19. Jahrhunderts war ein regelrechter Kleinkrieg im Gange, wobei die Pforte sogar die Bewaffnung ihrer christlichen reaya sanktionierte, da sie selbst unfähig war, die außerplanmäßige Ausplünderung ihrer Tributzahler durch die unbotmäßigen Janitscharen zu stoppen. Als das Freibeutertum der Janitscharenpaschas auch den einträglichen Schweineexport zu strangulieren drohte, übernahm die Elite der Schweinehändler die Führung des Widerstands.[55] So kam es 1804 zu einem allgemeinen Aufstand, dessen Ziel anfangs eindeutig die Wiederherstellung der geregelten Souveränität des Sultans war.[56]

Mehrere Faktoren führten jedoch dazu, daß die Sache eine andere Wendung nahm. Zum einen war der Kampf unter der Führung des Schweinegroßhändlers Karađorđe[57] so erfolgreich, daß letzterer Appetit auf mehr als die bloße Wiederherstellung des status quo ante bekam, zum anderen brach 1806 Krieg mit dem Zarenreich aus, und die russische Invasionsarmee in den Donaufürstentümern sandte Hilfe an Karađorđe, um eine zweite Front im Rücken der osmanischen Verteidiger zu eröffnen.[58] Zudem begannen die Jahrzehnte zuvor ins Habsburger Reich geflohenen orthodoxen Glaubensbrüder für einen Anschluß an Österreich-Ungarn zu werben.[59] Am Ende schuf Karađorđe nichts anderes als seine eigene Herrschaft — als ein weiterer ayan im Reiche.[60] Mit dieser Selbstherrlichkeit war es jedoch rasch vorbei, als der Krieg mit Rußland im Frieden von Bukarest (1812) sein Ende fand. Der Zar begnügte sich im Artikel 8 des Friedensvertrages damit, den Osmanen eine Garantie für eine vage Selbstverwaltung Serbiens [– S.139 –] abzunötigen, und ließ Karađorđe fallen.[61] Da nach dessen Liquidierung (1813) die Willkürherrschaft der Janitscharenpaschas ungebremst wiederauferstand und eine neuerliche Revolte dagegen aufflammte, mußte die Pforte einsehen, daß sie außerstande war, eine geordnete Beherrschung zu garantieren. Daraufhin kam es zu einer Lösung nach traditionellem Muster: Ein Führer der Aufständischen, Miloš Obrenović — ein weiterer Exportgroßhändler, wurde zum Vasallenherrscher über Serbien ernannt und damit die Region befriedet.[62]

Vertreter eines serbischen Nationalgedankens hatten bis dahin keine nennenswerte Rolle gespielt. Erst nach 1838, als Serbien auf Druck der europäischen Großmächte in eine noch weitergehende Autonomie entlassen werden mußte, rückten etliche von ihnen, meist gebildete Rückkehrer aus dem österreichisch-ungarischen Exil, beim Aufbau der neuen Regierungsbürokratie in Schlüsselpositionen auf.[63] Das heißt, die Selbständigwerdung Serbiens kann man wohl kaum dem Wirken einer „serbischen Nationalbewegung“ anrechnen. Das bäuerliche Fußvolk hatte dafür gekämpft, die alte Autonomie der dörflichen Gemeinschaften vor dem Würgegriff der neu aufgetauchten Janitscharendiktatur zu retten — wessen Hoheit diese Autonomie anschließend dauerhaft garantieren sollte, war eine pragmatische, keine nationale Frage.[64] Die Herrschaft Obrenovićs erwies sich im übrigen als kaum verschieden von früheren, nur daß nun ein christlicher paşa der Pforte für die Aufrechterhaltung der Ordnung und die Entrichtung des Tributs geradestand.[65]

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Ein durchaus ähnliches Zusammentreffen eines bäuerlichen Massenprotestpotentials mit einer Führung aus erfolgreichen Export-Händlern/Unternehmern, die eine politische Absicherung ihrer ökonomischen Vormachtstellung erstrebten, stand auch am Anfang des sogenannten „griechischen Unabhängigkeitskrieges“, der 1821 auf dem Peloponnes seinen Ausgang nahm. Im letzten Viertel des 18. Jahrhunderts litt die ganze Halbinsel unter der Willkürherrschaft muslimischer Söldnerbanden, die 1770 zur Unterdrückung lokaler Empörungen gegen die raffgierigen osmanischen Provinzstatthalter angeheuert worden waren und seitdem den Peloponnes als ihre ‚rechtmäßige‘ Pfründe behandelten.[66] Ein Exodus griechisch-orthodoxer Bauern nach Kleinasien war die Folge sowie eine Zunahme des Sozialbanditentums. Kurz: es herrschte die übliche Anarchie, wie in vielen anderen Provinzen des Reiches, die der Kontrolle der Pforte entglitten waren — mit dem einen Unterschied, daß hier eine beträchtliche Anzahl christlicher warlords mit von der Partie waren, denn die muslimische Herrschaftsschicht aus Notabeln und Staatsfunktionären war auf dem Peloponnes, ganz wie in Serbien, vergleichsweise schmal.[67] Zum einen hatte die dreißigjährige venezianische Besetzung den muslimischen Bevölkerungsanteil insgesamt dezimiert, zum anderen gab es eine starke christliche Konkurrenz — christliche Großgrundbesitzer waren auf dem Peloponnes keine Seltenheit. Hinzu kamen in den Hafenstädten mächtige christliche Schiffsreeder, die im Getreideexporthandel reich geworden waren. Beiden Gruppen hatte der Zusammenbruch des französischen und englischen Handels im Mittelmeerraum durch die wechselseitige Blockade der kriegführenden Parteien während der Napoleonischen Kriege ungeahnte Bereicherungsmöglichkeiten eröffnet.[68]

Die schon erwähnten nationalistischen Exilgeheimbünde waren am Ausbruch der Kämpfe auf dem Peloponnes kaum beteiligt. Der größte, die 1814 in der russischen Hafenstadt Odessa am Schwarzen Meer gegründete Philiké Hetairia („Gesellschaft der Freunde“), hatte seine ganze Kraft in ein von Anfang an zum Scheitern verurteiltes Unternehmen gesteckt: Unter Führung Alexandros Ypsilantis', eines vornehmen phanariotischen Offiziers in zaristischen Diensten, hatte man im russischen Grenzgebiet zu den Donaufürstentümern eine kleine, im europäischen Exilmilieu rekrutierte Armee aus nationalistischen Freiwilligen [– S.141 –] aufgestellt.[69] Nachdem zahlreiche einflußreiche Persönlichkeiten auf dem gesamten Balkan durch ein weitgespanntes Netz von Mitverschwörern kontaktiert worden waren, hoffte man, mit dem Einfall in das Fürstentum Moldau das Signal zu geben für einen allgemeinen Aufstand gegen Istanbul. Tatsächlich jedoch war die Reaktion gleich null, und die Armee Ypsilantis' wurde binnen kurzem von regulären osmanischen Verbänden vernichtet.[70] Damit war die Philiké Hetairia am Ende und mit ihr die — in ihrer Mehrheit gar nicht beteiligten — Mitglieder der Phanariotenclique in Istanbul, die nach der korporativen Logik des Reiches trotz allem mitschuldig waren.[71]

Jener Aufstand hingegen, der letztlich tatsächlich zur Schaffung eines unabhängigen Königreichs Griechenland führen sollte, wurde von lokalen Notabeln des Peloponnes ausgelöst, die sich von der Ausschaltung ihrer muslimischen Konkurrenz eine Festigung der eigenen Machtstellung erhofften und dafür der orthodoxen Bevölkerung ein Ende der Ausplünderung durch die muslimische Soldateska versprachen. Die Rache der Pforte mußte, nachdem die Kämpfe sich rasch ausgebreitet hatten und die wenigen osmanischen Truppen auf dem Peloponnes hinweggefegt worden waren, unweigerlich das ganze griechisch-orthodoxe millet treffen, vor allem aber seine seit Ypsilantis' Aufstand ohnehin angeschlagene Führungsspitze: Die Hinrichtung des Patriarchen, der sich vergeblich von den Rebellen distanzierte, war nur der Auftakt.[72] Die etwas Vorausschauenderen unter den Istanbuler Phanarioten versuchten zu retten, was noch zu retten war, indem sie auf den fahrenden Zug zu springen und die Führung des Aufstands an sich zu reißen trachteten, der dadurch eine neue Richtung nehmen mußte. Als mit dem Einströmen revolutionär gesinnter Exilaktivisten [– S.142 –] aus Westeuropa zusätzliche Fraktionen mit Führungsanspruch auftauchten, ging der Aufstand in einen „Bürgerkrieg“ aller gegen alle über und nur die Zersplitterung der osmanischen Streitkräfte an verschiedenen inneren und äußeren Fronten verhinderte, daß die Rebellen bereits in dieser Phase niedergeworfen wurden.[73]

Tatsächlich bedurfte es der ‚Amtshilfe‘ des Statthalters von Ägypten, Muhammed Alis, um den Peloponnes zurückzuerobern; vor dem vereinten Vorstoß der ägyptischen und osmanischen Truppen brach das zwischenzeitlich ausgerufene „unabhängige Griechenland“ zusammen. Ende 1827 war der Aufstand praktisch am Ende, als die massive militärische Intervention einer kombinierten französischen, englischen und russischen Flotte plötzlich das Blatt wendete und die erfolgreiche ägyptische Armee zum bedingungslosen Rückzug zwang.[74]

Von einer zielstrebigen Aktion eines homogenen „imperialistischen Blocks“ zur Aufsplitterung des Balkans in lauter Marionettenstaaten kann allerdings keine Rede sein, vielmehr waren alle Seiten ängstlich bestrebt, das überaus labile europäische Gleichgewicht durch den peloponnesischen Aufstand nicht abstürzen zu lassen.[75] Alle diplomatischen Bemühungen der Großmächte, [– S.143 –] untereinander eine einvernehmliche Haltung zur Lösung der „griechischen Frage“ herzustellen, waren ergebnislos geblieben, deshalb erfolgte die Intervention höchst widerwillig, planlos und voller wechselseitigem Mißtrauen, die jeweiligen Konkurrenten könnten bei dieser Schwächung der Pforte mehr gewinnen als man selbst. Als Rußland überdies, durch die jahrelangen fruchtlosen Konsultationen mit den anderen Großmächten frustriert, 1828/29 auf eigene Faust an die Zerlegung des Osmanischen Reiches ging und ihm schwere militärische Niederlagen beibrachte, wurde die „griechische Frage“ zu einem Randproblem, angesichts des drohenden Kollaps des Osmanischen Reiches und der heraufziehenden Gefahr eines allgemeinen Verteilungskrieges unter den Großmächten. Der Druck Frankreichs und Englands schraubte dann die russischen Ansprüche noch einmal auf ein für die ersteren erträgliches Maß zurück, und sozusagen ‚nebenbei‘ schuf man — ohne die „griechische Regierung“ (die angesichts eines neuerlichen Bürgerkrieges als eine einheitliche auch gar nicht existierte) groß zu fragen — per dreiseitigem Vertrag (Frankreich, England und Rußland) einen unabhängigen Staat „Griechenland“, dem obendrein eine absolute Monarchie als Staatsform verordnet wurde.[76]

Die Loslösung des „griechischen“ Staates vom Osmanischen Reich kann daher ebenfalls nur zu einem geringen Teil der „Kraft des Nationalismus“ angerechnet werden. Behauptungen wie jene, daß „bei Ausbruch der Revolution fast jeder männliche Grieche des In- und Auslandes ein Hetairist“[77] gewesen sei, sagen weitaus mehr aus über die Unverzichtbarkeit des nationalen Welterklärungsmodells in der heutigen Zeit als über die Zustände im Osmanischen Reich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts.[78] In dieser Hinsicht sprechend ist auch die Wortwahl in manchen historischen Darstellungen: Der Aufstand auf dem Peloponnes sei ein „Unabhängigkeitskrieg“ gewesen, ausgeführt von „Freiheitskämpfern“, während die Rebellion des ayan Tepedeleni Ali Paşa, die das gleiche Ziel hatte, nämlich die Loslösung von der Hoheit der Osmanlı, [– S.144 –] als „Zusammenraffen von Territorien“ durch einen „berüchtigten, widerspenstigen Pascha“ im Rahmen „feudaler Anarchie“ gilt.[79] Statt in diesem Stile pauschal vom „nationalen Erwachen der unterdrückten Balkanvölker“ zu sprechen, das zum Kampf um „nationale Befreiung vom türkischen Joch“ geführt habe, gehe ich davon aus, daß für die schrittweise Abspaltung und letztliche Ersetzung des Osmanischen Reiches durch eine Vielzahl nominell selbständiger Staaten das Aufkommen des Nationalismus nur ein Faktor unter vielen — und längst nicht der wichtigste — gewesen ist.

Bei der Behandlung des „griechischen“ und „serbischen“ Nationalismus sind indessen Muster zutage getreten, die auch für die Ereignisse etliche Jahrzehnte später in Kurdistan von Bedeutung sind. Chirot und Barkey formulieren es so:

„Die örtlichen Unabhängigkeitsbewegungen hatten wenig oder nichts mit Nationalismus zu tun, außer in Griechenland, und selbst dort waren die Nationalisten Auswärtige, die sich nachträglich einem Aufstand anschlossen und versuchten, seinen Verlauf zu bestimmen, sie waren nicht die Hauptakteure. Muslimische Regionen hatten ebenso die Tendenz, sich von der Kontrolle der Zentralgewalt zu lösen, wie die christlichen. Die Anführer waren örtliche Landbesitzer und andere Notabeln, die versuchten, ihre Stellung zu sichern, einerlei, ob die Menschen in ihrem Gebiet nun der gleichen sprachlichen und religiösen Gruppe angehörten oder nicht.“[80]

Allerdings konnten die aus dem Exil heimkehrenden Agitatoren für eine nationalistische Umgestaltung — oder besser: Zerschlagung — der osmanischen Gesellschaft auf ein großes und stetig wachsendes Potential an sozialer Unzufriedenheit unter den ländlichen reaya-Massen zurückgreifen, das diese Gesellschaft als Produkt eigener (Fehl)Entwicklungen aufzuweisen hatte. Es handelte sich um die Empörung bedrängter Bauern, deren Lebensgrundlage unter den Bedingungen der ayan-Herrschaft sowie ständiger, verlustreicher Kriege in ihrer Substanz angegriffen wurde. Diese traditionell in Bildung von Räuberbanden, manchmal auch in spontanen, lokalen Rebellionen geäußerte Auflehnung war im Kern jedoch restaurativ, denn sie zielte gerade auf die Wiederherstellung geregelter staatlicher Ordnung, damit die Bauern wieder in Ruhe leben könnten.[81]

[– S.145 –]

Jene Führungsgestalten wie Karađorđe oder Kolokotrones, die dieses eher diffuse Widerstandspotential aufgriffen und ihm zum Erfolg verhalfen, verfolgten dabei hauptsächlich ihre eigenen Machtinteressen, denen sehr wohl auch mit einem autonomen Vasallenstatus unter der Hoheit des Sultans gedient sein konnte. Die Zielrichtung „Nationalstaat“ blieb allein das Projekt einer zahlenmäßige geringen Avantgarde von im Ausland herangereiften Nationalisten, die nur im Windschatten der strategischen Interessen einer oder mehrerer Großmächte sich gegen die traditionellen lokalen Kräfte durchsetzen konnte, denen eher an einer graduellen Verbesserung ihrer Position innerhalb des osmanischen Systems gelegen war.

Es wird allerdings noch zu zeigen sein, daß die Bedingungen für die allgemeine Verbreitung sozialer Unzufriedenheit in der kurdischen Gesellschaft etwas anders gelagert waren. Trotzdem sehe ich interessante Parallelen etwa zwischen dem Aufstand unter Sheikh Ubeydullah (1880) und jenem unter Karađorđe in Serbien, aber auch zwischen dem peloponnesischen Aufstand und jenem unter Sheikh Sait (1925). Zu berücksichtigen ist dabei ein time-lag zwischen West- und Ostteil des Reiches von fast einhundert Jahren, eine Zeitspanne, in der sich die ganze Welt und mit ihr natürlich das Osmanische Reich verändert hatte. So konnte die Pforte etwa bei Aufkommen der ersten zaghaften Forderungen nach einer kurdischen Autonomie bereits auf jahrzehntelange Erfahrungen im Umgang mit separatistischen Bewegungen dieser Art im Westteil zurückgreifen. Zu ihrer Zeit selbst haben von den in diesen Abschnitt diskutierten Entwicklungen nur wenige die kurdische Gesellschaft unmittelbar berührt, am stärksten gerade jene, die bislang nur angerissen werden konnte: die Rezentralisierung des Staatsapparats in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, die in der Vernichtung des Janitscharenkorps 1826 einen dramatischen und blutigen Höhepunkt erlebte.

Das Grundmuster jedoch, das Entstehen einer zahlenmäßig geringen nationalistischen Avantgarde in großen urbanen Zentren fern ab jener Regionen, die sie selbst als ihre nationale Heimat zu betrachten lernten, sowie ihr Zusammentreffen mit traditionellen lokalen Führern, die eigene Machtinteresse zu fördern hatten, und der Versuch, der durchaus anders motivierten Aufstandsbereitschaft der ländlichen Massen eine nationale Mission überzustülpen, all das ist im Falle des kurdischen Nationalismus wiederzufinden.

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Fußnoten

1
Das zaristische Rußland zähle ich hier der Einfachheit halber zu Europa.
2
Siehe: „Friede von Karlowitz“ und „Friede von Passarowitz“ in: Ploetz (Hg.) Konferenzen und Verträge. Teil II Bd.3 S.116-118 und S.139-140; Karpat An Inquiry into the Social Foundations of Nationalism S.51 und S.56; der Handelsvertrag wurde separat abgeschlossen, nach dem Vorbild der französischen und englischen „Kapitulationen“ (mit diesem Begriff wurden in der Kanzleisprache früherer Jahrhunderte jedes „kapitelweise“ aufgesetztes Schriftstück gleich welchen Inhalts bezeichnete). Die Kapitulationen regelten sämtliche Fragen, die mit dem Aufenthalt von Untertanen christlicher Herrscher im Osmanischen Reich zu tun hatten: Schiffahrts- und Hafennutzungsrechte, Zollfragen, das Recht, offizielle Konsulate zu errichten, Gewährleistung von Verträgen mit osmanischen Untertanen etc. Siehe zur Geschichte der Kapitulationen im Osmanischen Reich allgemein: İnalcık „Stichwort: İmtiyāzāt“; zur österreichischen Kapitulation im besonderen: ebenda S.1186
3
Ich stütze mich hier auf die Analyse von Davis: “The Levant, which in the fifteenth and sixteenth centuries had been indispensable to Europe, was by the middle of the eighteenth century struggling to compete with other, better equipped suppliers in filling only a small corner in the needs of Europe.” (Davis „English Imports from the Middle East, 1580-1780“ S.206)
4
Stoianovich „The Conquering Balkan Orthodox Merchant“ S.260
5
Der osmanische Baumwollexport nach England insgesamt versiebenfachte sich zwischen 1725 und 1789. Siehe: Kurmuş „The Cotton Famine“ S.161 Tabelle 6.1
6
Davis berichtet eine Verachtfachung des Baumwollexports nach Frankreich zwischen 1700 und 1789. Siehe: Davis „English Imports from the Middle East, 1580-1780“ S.204
7
“To supplement the cereal economy of the Banat and the central Hungarian plain and to satisfy Austrian demands, which the Banat and Hungary no longer met adequately, the Serbs of Šumadija began to raise pigs for export [...] At the end of the century, nearly every Serbian household of Šumadija possessed 20 to 200 pigs.” (Stoianovich „The Conquering Balkan Orthodox Merchant“ S.282)
8
“Between 1592 and 1783 the commerce of the Black Sea appears to have been completely off limits for the ships of western Europe. The Black Sea became a mare clausum.” (ebenda S.240)
9
Siehe: Karpat „The Transformation of the Ottoman State“ S.246
“[...] there shall be a free and unimpeded navigation for the merchantships belonging to the two Contracting Powers, in all the seas which wash their shores; the Sublime Porte grants to Russian merchant-vessels [...] the power of entering all the ports and harbours [...] In like manner, the Sublime Porte allows Russian subjects to trade in its States by land as well as by water and upon the Danube in their ships [...]” (“Treaty of Peace (Küçük Kaynarca): Russia and the Ottoman Empire, 10/21 July 19774” in: Hurewitz The Middle East ... in World Politics. Vol.1 Dok. 32 S.92-101; hier: S.95)
“Art. 2. The present Treaty of Peace confirms and ratifies [...] the Act [...] concerning incorporation into Russia of the Crimea and the Penisula of Taman, establishing the Kuban river as a boundary [...]” (“Treaty of Peace (Jassy): The Ottoman Empire and Russia 29 December 1791/9 January 1792” in: ebenda S.105-109; hier S.107)
Siehe: “Ottoman Grant of Commercial Privileges in the Black Sea to British Merchant Vessels, 30 October 1799” in: ebenda S.140-141; “Treaty of Peace (Amiens): France and the Ottoman Empire, 25 June 1802” in: ebenda S.154-155; hier: Art.2; Österreich-Ungarn besaß das Recht schon, alle anderen europäischen Mächte sollten folgen: Preußen, Norwegen, Spanien...
“From the very start it is necessary to recognize the essential fact that the Balkan and Middle Eastern societies, and their socio-cultural-economic structure in the Ottoman era, were subject to tranformation through the impact of internal forces long before massive European influence accelerated this transformation.” (Karpat „The Transformation of the Ottoman State“ S.243)
Siehe: Sarides Zum Verhältnis von Befreiungsbewegungen... S.154
Siehe: Karpat „An Inquiry into the Social Foundations of Nationalism“ S.72; Stoianovich „The Conquering Balkan Orthodox Merchant“ S.270
Siehe: Stoianovich „The Conquering Balkan Orthodox Merchant“ S.255f
“Article II. The subjects of Her Britannic Majesty, or their agents shall be permitted to purchase at all places in the Ottoman Dominions [...] all articles, without any exception whatsoever, the produce, growth, or manufacture of said Dominions; and the Sublime Porte formally engages to abolish all monopolies of agricultural produce, or of any other articles whatsoever, as well as all Permits from the local Governors, either for the purchase of any article, or for its removal from one place to another when purchased [...]” (The House of Commons „Convention of Commerce and Navigation 1839“ S.4)
“During the Russo-Ottoman war of 1767-1774 it was largely to a‘yāns allover the country that the Porte resorted in order to raise funds and recruits for the army [...] in 1786 it was decided to abolish a‘yānlı˚ks altogether. On the outbreak of war again in the following year, however, the Porte, as before, found itself unable to dispense with the aid of these local notables; and in 1790 a‘yānlı˚ks were duly revived.” (Bowen „Stichwort: A‘yān“ S.778)
Shaw und Shaw urteilen über die Qualitäten der Janitscharen: “The Janisseries remained at best an undisciplined, illtrained, and poorly armed mob, far better to act in defense of the old order than to compete with the new armies of Europe.” (Shaw/Shaw History of the Ottoman Empire and Modern Turkey. Vol.II S.6) Sie stimmen hier ganz mit Lewis überein: “[...] the Ottoman armies, once the terror of Europe, ceased to frighten anyone but their own sovereigns and their own civil population [...]” (Lewis The Emergence of Modern Turkey S.23f) Bei den sekban-Truppen der ayan handelte es sich in der Regel um kurzfristig rekrutierte, landlose Bauern, deren einzige Qualifizierung für das Kriegshandwerk im (für einen reaya eigentlich illegalen) Besitz einer Muskete bestand. Siehe: İnalcık „The Socio-Political Effects of ... Fire-armes“ S.200f
Siehe: Owen The Middle East in the World Economy S.15
Siehe: Matuz Das Osmanische Reich S.214; Shaw History of the Ottoman Empire and Modern Turkey. Vol.I S.274
“The âyan were quick to seize power from the hands of the Janissaries. The âyan of Rumelia under the leadership of Alemdar Mustafa Pasha [...] marched against the capital together with the imperial army then on the Danube. Alemdar seized Istanbul, suppressed Janissary leaders, and [...] made Mahmud II sultan [...] now the âyan of Rumelia and Anatolia united against the reactionaries, less out of sympathy for the reforms than from a desire to control the central government and guarantee their position in the provinces.” (İnalcık The Nature of Traditional Society“ S.51f)
Zur Verbreitung und Auswirkung des çiftlik-Systems auf dem Balkan siehe: Busch-Zantner Agrarverfassung ... in Südosteuropa“ S.120-123
“Greeks were especially successful in acquiring property in the Peloponnesus, where the Moslem population was relatively small, the timar system had always been weaker, and where the Christian millet had even succeeded in developing a rudimentary regional administration. Prominent Greek families such as the Benakis in Messenia and Zaimis in Achaea purchased fields and forests from Moslems in the second half of the eighteenth century [...] Many similar examples can be cited in other districts.” (McGrew Land and Revolution in Modern Greece S.29)
Siehe: Stoianovich „The Conquering Balkan Orthodox Merchant“ S.264
Siehe: ebenda S.265f; Karpat An Inquiry into the Social Foundations of Nationalism S.61
Siehe: Stoianovich „The Conquering Balkan Orthodox Merchant“ S.289
“Hundreds of thousands of these berats were sold by the envoys illegally to Ottoman subjects among the non-Muslim minorities, who thereby gained all the advantages and immunities enjoyed by foreigners under the principle of extraterritoriality which was embodied in the capitulations. For example, by the end of the eighteenth century, the Austrians alone had distributed 200,000 berats in Moldavia and 60,000 in Wallachia.“ (Naff „Ottoman Diplomatic Relations with Europe“ S.103) “In about 1223/1808 the Russians had enrolled 120,000 Greeks as ‘protected persons’ [...]” (İnalcık „Stichwort: İmtiyāzāt“ S.1187)
Heffening „Über Buch- und Druckwesen in der alten Türkei“ S.596f
Siehe: Wilharm Die Anfänge des griechischen Nationalstaates S.44; dort finden sich auch Angaben zu weiteren Schulen. Sehr ausführlich zur Förderung des Schulwesens durch Kaufleute im Ausland: Apostolidis-Kusserow „Die griechische Nationalbewegung“ S.78-81
“The Christian peasants in many areas now faced the feudalistic provincial military wing of the Ottoman bureaucracy, not as enforcer of the Sultan's law and as protectors, but as a social group bent on achieving economic power to the detriment of the peasants, and on the basis of state authority entrusted on it. The Sultan himself was powerless to maintain his law, despite his attempts to do so. Anyway, the incongruity between the new social situation and the peasants' expectation of law and security from the Ottoman government bred social discontent and eventually forced the Balkan Christian peasantry out of its relative isolation and political apathy.” (Karpat An Inquiry into the Social Foundations of Nationalism S.68)
Siehe: ebenda S.73
„Nach allen Theilen Europas wandern junge Gelehrte [...] Mehr als 50 junge Männer bereisen in diesem Augenblicke [1819, G.B.], Italien, Frankreich und Deutschland auf öffentliche Kosten, zu welchen noch ganz kürzlich Alexander Mauro, Handelsmann in Constantinopel 15000, und N. Babazy aus Taganrock 50000 Piaster beytrugen.“ (Heffening „Über Buch- und Druckwesen in der alten Türkei“ S.596f)
Siehe: Wilharm Die Anfänge des griechischen Nationalstaates S.48f
„[...] grundsätzlich [kann] gesagt werden, daß Entstehung und Entwicklungsverlauf griechischer Geheimbünde im 18. und 19. Jh. von denjenigen Städten Mittel, West- und Osteuropas ausgingen, wo sich zu Ende des 18. Jhs. ein wirtschaftlich gefestigtes griechisches Handelsbürgertum entwickelt hatte. Die Reihe der Diaspora-Zentren umfaßt vor allem die Städte Wien, Bukarest, Jaşi, Venedig, Triest, Paris sowie Moskau, Petersburg, Odessa und Konstantinopel.“ (Apostolidis-Kusserow „Die griechische Nationalbewegung“ S.118)
Siehe: Wilharm Die Anfänge des griechischen Nationalstaates S.43 und S.46
Siehe: Heffening „Über Buch- und Druckwesen in der alten Türkei“ S.597f
Der preußische Gesandte von Schladen drückt dies so aus: „So rege, so muthig und rastlos aber auch das Streben der Bessern unter den Neugriechen ist, so tief ist die Mehrzahl gesunken, so zahlreich und so schwer zu besiegen sind die Hinderniße, welche sich der Aufklärung widersetzen.“ (ebenda S.597)
Während der kurzfristigen französischen Besetzung der Ionischen Inseln (1797/8 und 1807/14) bombardierte man die ‚griechische Nation‘ mit Appellen an ‚ihre‘ antike Größe und versprach aus taktischen Gründen Hilfe bei einer Rebellion gegen den Großherrn. (Siehe: Lewis „The Impact of the French Revolution on Turkey“ S.120) Zudem scheinen beide genannten Geheimbünde finanzielle Unterstützung durch französische Agenten erhalten zu haben. Siehe: Wilharm Die Anfänge des griechischen Nationalstaates S.49-51
“Through their control of the instrument of credit, Phanariote bankers and businessmen came to determine not only the choice of bishops but of Ottoman governors and judges.” (Stoianovich „The Conquering Balkan Orthodox Merchant“ S.293) Es gelang den christlichen Bankiers sogar, der Pforte 1795 eine offizielle Sanktionierung des im Islam geächteten Zinsnehmens für Kredit abzuringen, was auf ganz erheblichen Einfluß schließen läßt. (Siehe: ebenda S.303) Die Herleitung des griechischen Nationalismus bei Shaw und Shaw (History of the Ottoman Empire. Vol.II S.17f) scheint mir dagegen in ihrer Kürze etwas zu mechanistisch.
Siehe: Karpat An Inquiry into the Social Foundations of Nationalism S.73f
Siehe: Steinhaus Soziologie der türkischen Revolution S.21f und S.27; Owen The Middle East in the World Economy S.46
Der Schritt vom Händler zum Bourgeois ist ein weiter, und wenn Weber (Die Protestantische Ethik S.12) bemerkt: „‚Erwerbstrieb‘, ‚Streben nach Gewinn‘, nach Geldgewinn, nach möglichst hohem Geldgewinn hat an sich mit Kapitalismus gar nichts zu schaffen“, dann geht es ihm vor allem darum zu zeigen, daß der neue ‚bürgerliche Geist‘ sich aus anderen Quellen speist als aus der Gier nach Geld, die kaum jünger ist als das Geld selbst.
Ich stütze mich hier auf die Darstellung Wilharms (Die Anfänge des griechischen Nationalstaates S.45); siehe auch: Jorga Geschichte des Osmanischen Reiches Bd.5 S.250. Weniger glaubhaft finde ich Wilharms Behauptung, der orthodoxe Metropolit von Bukarest habe mittels einer „Philologischen Gesellschaft“ die schon erwähnte nationalistisch-literarische Zeitschrift Hermis o Loghios in Wien gefördert. (Siehe: Wilharm Die Anfänge des griechischen Nationalstaates S.46) Der zeitgenössische Bericht des preußischen Gesandten von Schladen stellte nämlich fest, daß bewußter Metropolit die ihm unterstehende Druckpresse (eine von dreien im ganzen Osmanischen Reich, die überhaupt griechische Lettern drucken konnten) scharf zensierte und ausschließlich den Druck von Gebetbüchern und Gesetzesblättern zuließ. Siehe: Heffening „Über Buch- und Druckwesen in der alten Türkei“ S.598
Siehe: Lewis „The Impact of the French Revolution on Turkey“ S.116-118
Siehe: Mardin „The Influence of the French Revolution“ S.18
Siehe: Shaw History of the Ottoman Empire and Modern Turkey. Vol.I S.261-264
„Wenn auch Mathematik und Geographie gefördert wurden, so doch nur in ihrer begrenzten Funktion als militärische Hilfswissenschaften. Reduziert auf Nautik, Ballistik und Kartographie [...] sollten [sie] [...] die türkischen Soldaten befähigen, in der Führung des Land- und Seekrieges mit den ‚Ungläubigen‘ Schritt zu halten.“ (Steinhaus Soziologie der türkischen Revolution S.27) Welche langfristigen Effekte dies trotzdem hatte, erläutert Shaw: „Abgesandte des revolutionären Frankreich in Istanbul, die ihre revolutionären Vorstellungen unter den Osmanen zu verbreiten suchten, fanden kaum einen Widerhall, denn Begriffe wie ›Menschenrechte‹ und ›Demokratie‹ paßten einfach nicht in das Gedankengebäude selbst der gebildetsten und liberalsten Osmanen der damaligen Zeit. Erst die langsamere, aber grundlegende Ausbildung in fremden Sprachen und westlichen Techniken, wie sie den wenigen Osmanen, die die neuen Schulen besuchten, vermittelt wurde, vermochte die neuen Reformideen im Lauf der Zeit im Osmanischen Reich einzupflanzen.“ (Shaw „Das Osmanische Reich und die moderne Türkei“ S.117)
Verhandlungen mit den abendländischen Großmächten hatte man in früheren Jahrhunderten prinzipiell nur mit deren in Istanbul ansässigen Gesandten geführt, die man — ganz im Stile eines Weltenherrschers — als Bittsteller huldvoll empfing. Nur in besonderen Ausnahmefällen wurden Delegationen mit speziellen Verhandlungsaufträgen entsandt, insgesamt jedoch seit Beginn der schriftlichen Quellen nicht mehr als zwanzig. (Siehe: Lewis „The Impact of the French Revolution on Turkey“ S.111) Gegen Ende des 18. Jahrhunderts jedoch konnte auch die Pforte nicht mehr die Augen davor verschließen, daß das Schicksal des Osmanischen Reiches zunehmend in Europa bestimmt wurde, was die Einrichtung ständiger diplomatischer Vertretungen in den wichtigsten Hauptstädten Europas (ab 1792) nachdrücklich verdeutlicht. Siehe auch: Davison Turkey. A Short History S.47f und S.76
“The result of all this was to create a new social element — a class of young army and naval officers, familiar with some aspects of Western civilisation through study, reading, and personal contact [...]” (Lewis „The Impact of the French Revolution on Turkey“ S.110)
Shaw „Das Osmanische Reich und die moderne Türkei“ S.117
Stoianovich „The Conquering Balkan Orthodox Merchant“ S.300; ähnlich Heyd: “[...] the Serbs [...] in 1804 had launched the first national uprising in the Balkans.” “The ideas of liberty and nationalism engendered by the French Revolution found a fertile ground among these peoples, who [...] were encouraged by Christian powers to fight for their national liberation.” (Heyd „The Later Ottoman Empire“ S.357)
Siehe: Zinkeisen Geschichte des Osmanischen Reiches. Siebenter Theil S.293
„Auch hatte die Pforte selbst über sie [die Janitscharen, G.B.] so gut wie gar keine Gewalt mehr, und die von ihr dorthin geschickten Paschas wurden angenommen oder verweigert, je nachdem wie sie den Janitscharen angenehm und zu Willen waren oder nicht. Ihre Führer betrachteten und benahmen sich wie die Herren des Landes [...] Es war eine vollständig ausgebildete Militärdespotie, eine zügellose Wirthschaft [...]“ (ebenda S.294) “In Serbia [...] bandit chiefs seized the reins of government, challenged the authority of the Sultan, and attempted to expropriate Serbian peasants of their properties, extend corvée labor and other features of serfdom (the čiftlik system of property relations) [...]” (Stoianovich „The Conquering Balkan Orthodox Merchant“ S.253)
Siehe: Stoianovich „The Conquering Balkan Orthodox Merchant“ S.307
“The Serbian uprising originated in the gradual disintegration of the Ottoman administrative system and the resulting inability of the Sublime Porte's imperial officials to govern the European provinces of the empire effectively. [...] By resorting to armed insurrection, the Serbian dissidents only sought to redress their legitimate local grievances within the existing institutional framework of the imperial Ottoman government: no thought was given to challenging the Sultan's authority.” (Meriage „The First Serbian Uprising“ S.189f) Es herrscht über diesen Punkt große Übereinstimmung bei allen AutorInnen. Siehe: Shaw History of the Ottoman Empire and Modern Turkey. Vol.1 S.271; Anderson The Eastern Question, 1774-1923 S.48; Schafberg „Einleitung“ S.13; Miller The Ottoman Empire and Its Successors S.46 und S.49
„[...] er trieb einen sehr einträglichen Handel mit Schweinen vorzüglich nach den österreichischen Staaten [...]“ (Zinkeisen Geschichte des Osmanischen Reiches. Siebenter Theil S.301)
Siehe: Anderson The Eastern Question, 1774-1923 S.48f; Meriage „The First Serbian Uprising“ S.193f
Siehe: Schafberg „Einleitung“ S.14
“[...] after becoming masters of the Belgrad pashalik, Karadjordje and his vojvode began to treat the military districts under their jurisdiction as personal fiefs. Indeed, they behaved not unlike the deposed Turkish authorities.” (Meriage „The First Serbian Uprising“ S.193)
“[...] the Sublime Porte grants a complete amnesty to the Serbians and promisses that their tranquillity shall not be disturbed because of past events. [...] In addition, the Sublime Porte [...] shall also give them a proof of its magnanimity in leaving to them the care of their country's internal administration [...]” (“Treaty of Peace (Bucharest): The Ottoman Empire and Russia, 16/28 May 1812” in: Hurewitz The Middle East ... in World Politics. Vol.1 S.193-197; hier: S.195)
“[...] in 1815, there was a new revolt, and a new livestock dealer, Milosh Obrenovich became its leader. Rather than fighting, he came to an understanding with Constantinople to act as a loyal local governor. He proceeded to use his power to seize a monopol[...]y of the pig trade for himself and his henchmen. Using this as an economic base, be became the wealthiest Serb, and paid off the Ottomans who received more than if they had been obliged to deal with insubordinate Muslims.” (Chirot/Barkey „States in Search of Legitimacy“ S.34f) Siehe auch: Shaw/Shaw History of the Ottoman Empire and Modern Turkey. Vol.II S.14f
Siehe: Stokes „The Absence of Nationalism in Serbian Politics“ S.86f
“National sentiments had not penetrated the consciousness of the insurgent leaders, let alone that of the rank and file. The rebels were motivated primarily by the desire to obtain local and provincial political and economical security and stability. The Serbians shared no belief that a national polity would provide such objectives except within administraive structure of one of four existing imperial systems — Russian, Austrian, French, or Ottoman.” (Meriage „The First Serbian Uprising“ S.198)
“Milos had simply established himself as the new pasha of Serbia, just as arbitrary, capricious, and grasping as many who had preceeded him. Indeed, eventually this is exactly how he was accepted by the surrounding Turkish authorities, as an equal, the ruler of a Turkish pashaluk.” (Stokes „The Absence of Nationalism in Serbian Politics“ S.85)
“The banditry and disorders of the half-century after 1769 brought ruin to almost the entire countryside of Morea [Peloponnes, G.B.] and to many small market towns [...]” (Stoianovich „The Conquering Balkan Orthodox Merchant“ S.253)
“By the end of the eighteenth century ‘old’ Greece (i.e., what became newly independent Greece) was afflicted by increasing banditry and by the rise of a class of military Christian warlords who fought for or against the Porte, among themselves, for or against insurgent pashas like Ali of Janina, or for whatever side the occasion demanded.” (Chirot/Barkey „States in Search of Legitimacy“ S.39)
Siehe: Anderson The Eastern Question, 1774-1923 S.50
Selbstverständlich war so etwas nur mit dem Einverständnis oder wenigstens der stillschweigenden Duldung Petersburgs möglich. Die Errichtung einer „griechischen Militärschule“ in Petersburg (siehe: Matuz Das Osmanische Reich S.217) spricht eher für ein Einverständnis, die Verärgerung des Zaren über Ypsilantis' Vorgehen und seine sofortige Entlassung aus der russischen Armee (siehe: Miller The Ottoman Empire and Its Successors S.67; Jorga Geschichte des Osmanischen Reiches Bd.5 S.253f) eher für eine stillschweigende Duldung.
Ypsilantis's invasion of the Principalities had no chance of success. His army was small (only about 3,000 men when he advanced on Bucharest in March 1821) and a battalion of Greek students was the only disciplined force at his disposal. [...] On 7 June Ypsilantis and his followeres were totally defeated [...] at Dragatsani [...] Within a few weeks the remnant of his followers had been driven from the Principalities; and the collapse of the invasion meant the collapse of the now discredited Hetairia Philiké, which lingered on for only a few months as an organised body.” (Anderson The Eastern Question, 1774-1923 S.53)
Übrigens trafen sich die Ziele der Exilaktivisten von Korais bis zur Philiké Hetairia mit der alten Vision der Phanariotenclique von einem neuen Byzanz: Die Exilkreise strebten nämlich nicht nach einem National-Griechenland, sondern nach einem großen Balkanreich, dessen verbindende Elemente die überall akzeptierte Handelssprache koiné (auf Grundlage des Altgriechischen) und der orthodoxe Glaube hätte sein sollen. Siehe: Apostolidis-Kusserow „Die griechische Nationalbewegung“ S.127 und S.132f; Wilharm Die Anfänge des griechischen Nationalstaates S.53
Siehe: Miller The Ottoman Empire and Its Successors S.74f; Apostolidis-Kusserow „Die griechische Nationalbewegung“ S.140
“Rival leaders — Alexander Mavrocordatos, a member of one of the great Phanariot families; George Kondouriotis, a wealthy shipowner [...]; Theodore Kolokotrones, the most important of the mainland leaders — soon emerged and competed violently for power. [...] These factional struggles grew rapidly worse, and by the end of 1823 civil war raging between Kolokotrones and a would-be government controlled by Mavrocordatos and Kondouriotis.” (Anderson The Eastern Question, 1774-1923 S.55) Siehe auch: Apostolidis-Kusserow „Die griechische Nationalbewegung“ S.142
“The key fact about the Greek revolt of 1821 is that by 1827 it had failed.” (Chirot/Barkey „States in Search of Legitimacy“ S.39) “The decisive factor in establishing Greek independence was the intervention of the European powers. The Greek rebels, despite some impressive successes, proved unable during six years of struggle (1821-27) to gain full control over any major region, much less force the Porte to come to terms.” (McGrew Land and Revolution in Modern Greece S.41)
Für wenig überzeugend halte ich daher Sarides Behauptung, man müße das Gesamtgeschehen von Karađorđe über Ypsilantis bis zum peloponnesischen Aufstand als Ergebnis der „Strategie Englands und Frankreichs“ interpretieren: „[...] ein Szenarium, das unter der teils offenen, teils geheimdienstlichen Regie Englands und Frankreichs die durch die russische und französische Expansionspolitik in Bewegung geratenen Völker der Balkanhalbinsel zu Abschlußhandlungen nötigte, deren Zweck der Abfall des ersten Teils der europäischen Territorien der Pforte und seine Überführung unter ihre informelle Herrschaft war. Zum Gelingen des Unternehmens waren Insurrektionen und andere, Ähnliches bezweckende Unruhen sowohl auf dem Gebiet des später zu Griechenland deklarierten Teils der Balkanhalbinsel, des Peloponnes, als auch in

den Donau-Fürstentümern, in Serbien, in Epeirus, auf dem Gebiet des späteren Bulgarien, aber auch in Ägypten und in Persien [erforderlich]. Betrachtet man sie alle im Nachhinein unter de[m] Aspekt ihrer konzertierten Funktion im Dienste einer bestimmten Strategie Englands und Frankreichs, so erweisen sich die meisten von ihnen als Ablenkungsmanöver, die die Aufmerksamkeit der Pforte auf sich ziehen sollten, um den Mächten und Kräften die Gelegenheit zu geben, am geographisch günstigsten Teil des Balkans, dem Peloponnes, dem ‚Aufstand‘ zum Erfolg zu verhelfen.“ (Sarides Zum Verhältnis von Befreiungsbewegungen ... S.236) Sarides scheint Frankreich und England als monolithische Akteure anzunehmen, die mit jedem Franc, mit jedem Pfund, mit jedem gedruckten Buch und mit jeder diplomatischen Note nur eines wollen: das kapitalistische Weltsystem schaffen. Letztlich ist das die ‚antiimperialistisch‘ gewendete Variante zur „Geschichte der großen Männer“: „Geschichte als kapitalistische Weltverschwörung“.
Das diplomatische Tauziehen hinter den Kulissen ist ausführlich bei Anderson geschildert, siehe: Anderson The Eastern Question, 1774-1923 S.73-76; ähnlich: Shaw/Shaw History of the Ottoman Empire and Modern Turkey. Vol.II S.31f
Zitiert nach: Wilharm Die Anfänge des griechischen Nationalstaates, 1833-1843 S.53
Wenn Ypsilantis sich 1821 brüstete, von 600 000 Mitgliedern der Philiké Hetairia als Präsident berufen zu sein, so war das ganz normales Propagandagetrommel — inhaltlich etwa äquivalent mit „Wir sind viele und sehr mächtig“. Daß diese völlig aus der Luft gegriffene Zahl gut 150 Jahre später im wissenschaftlichen Kontext als Indikator dafür akzeptiert wird, daß die Philiké Hetairia auch die unteren Bevölkerungsschichten erreicht haben müsse, ist überraschend. Siehe: Wilharm Die Anfänge des griechischen Nationalstaates S.54; ebenso: Schafberg „Einleitung“ S.38; Apostolidis-Kusserow „Die griechische Nationalbewegung“ S.131
Siehe: Matuz Das Osmanische Reich S.216f bzw. S.217; Tzermias Neugriechische Geschichte S.77 bzw. S.87; Apostolidis-Kusserow „Die griechische Nationalbewegung“ S.87
Chirot/Barkey „States in Search of Legitimacy“ S.40 (meine Übers.; Original im A.)
Dies trifft besonders auf die Rebellion in Serbien (1804) zu, aber auch auf die Anfänge des „griechischen“ Aufstandes: “The rebellion was clearly more of a spontaneous and uncoordinated uprising than the result of any deliberate plan, even though designs for revolt were not lacking. A growing sense of outrage at the injustices which Christians suffered under Turkish rule and the perception that the Ottoman regime was weakening, spurred the vastly more numerous Greeks to a series of violent acts in the early spring of 1821. Though largely unintended as such, random attacks on Moslems and their properties in various districts spread to assume the proportions of a general uprising. In striking out against a still mighty empire, the rebel Greeks, to the extent that they had any conscious objective at all, must have hoped mainly to improve their social and economic position.” (McGrew Land and Revolution in Modern Greece S.53)